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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

dem hohen Holz hinter mir thätig waren. Dann begann endlich das Geläut der Hunde in der Dickung, bald näher – bald ferner. Es ließ sich das Schwarzwild im Kreise umhertreiben und war, wie gewöhnlich bei dieser Jagdart, nicht vor die Schützen zu bringen. Schon eine volle halbe Stunde währte die Jagd und noch immer war kein Schuß gefallen.

Eben ließ sich der rauschende Ton vernehmen, welcher den Sturz eines gefällten Baumes begleitet, worauf das bekannte Krachen der auf den Boden schlagenden Aeste folgte.

Unwillkürlich wandte ich meinen Blick rückwärts in der Richtung, von welcher das Geräusch kam, um im nächsten Augenblick mich langsam zu erheben und vorsichtig seitwärts hinter einen mich deckenden Wachholderbusch zu treten. Deutlich konnte ich einen dunklen Gegenstand, zum Theil durch das Gestrüpp verdeckt, unmittelbar vor dem Saum des hohen Holzes wahrnehmen. Derselbe bewegte sich, schob sich hin und her; doch war die Entfernung noch zu bedeutend; ich vermochte nicht zu erkennen, was ich eigentlich vor mir hatte.

Ein Thier war es; vielleicht ein von der Herde abgekommenes Stück Rindvieh? Für ein Schwein schien es mir zu lang, der dunkle Rücken ragte jetzt deutlich sichtbar über den Büschen hervor. Eben begann wieder das Geräusch der Holzschläger, und fast gleichzeitig damit das Geläut der Hunde, dessen Echo in dem hohen Holz eine eigenthümliche Täuschung hervorrief: klang es doch, als käme die Jagd gerade aus entgegengesetzter Richtung her. Auch das von mir beobachtete Wesen mochte durch den Widerhall beirrt werden, es sicherte[1] einen Augenblick rückwärts; dann nahm es seinen Wechsel geradewegs auf mich zu, anfänglich langsam trollend, um danach in eine beschleunigtere Gangart überzugehen.

Die eigenartige Bewegung des Thieres ließ mich jetzt sofort erkennen, daß ich einen Schwarzkittel, und zwar ein Hauptschwein vor mir hatte. Der wehrhafte Recke rückte näher heran, der Wind stand mir günstig; er hatte keine Ahnung von meinem Dasein. Nur noch fünfzig Schritte mochten mich von ihm trennen, und doch kommte ich nicht schießen, weil er spitz auf mich zukam. Und die Entfernung verminderte sich immer mehr, kaum zwanzig Gänge betrug sie jetzt. Ich mußte zum Entschlusse kommen, schnell trat ich aus meiner Deckung hervor; ein erschrecktes Grunzen; der mächtige Körper flog zur Seite; in demselben Augenblicke knallte aber auch mein Schuß, und in vollster Flucht wechselte der Keiler in die Dickung hinein. Wegen des hohen Gestrüpps konnte ich meine zweite Kugel nicht anbringen, allein ich wußte, daß die erste saß.

Wenig Schritte hinter dem Anschuß fand ich Schweiß, anfänglich in einzelnen Tropfen, dann in größerer Menge. Mein jugendlicher Jagdeifer erhielt durch diesen Beweis des erfolgreichen Schusses neue Nahrung; ich wartete nicht das Krankwerden des Schweines ab, sondern folgte sofort der deutlich erkennbaren Fährte. Eine Weile war ich in der Dickung mit zu Boden gehefteten Blicken weitergeschlichen, als ich plötzlich in unmittelbarer Nähe den Standlaut zweier Hunde vernahm, dem sich in demselben Augenblicke eine menschliche Stimme zugesellte.

„Husu! – hier sitzt er!“

Endlich hatte ich mich durch die dichte Wand der Mischholzkultur durchgedrängt und befand mich nun am Rande eines kaum einen Morgen großen Bruches; vor mir stand ein Treiber, mit dem Stocke winkend und rufend:

„Heran, Herr! – hier sitzt er.“

Und da saß er wirklich, von meinen beiden Dickköpfen „waidwund verbellt“; vor ihm Flick, ohne Unterlaß mit seiner hellen Stimme Laut gebend; hinter ihm Flock, nur selten in tieferer Lage einstimmend. Ich brauchte nur seitwärts von hinten den Fangschuß zu geben, und der alte Recke brach polternd verendet zusammen.

„Heiliger Hubertus, das ist das stärkste Schwein, welches mir in meiner Jägerpraxis vorgekommen ist! Vier Centner Gewicht und darüber – wette ich. Und dabei haben die Dickköpfe mitgewirkt? – Man sieht, das Aeußere täuscht wie bei den Menschen, so auch bei den Hunden; die dürfen Sie mir nun nicht mehr zu Hause lassen.“

Der Oberförster schüttelte mir glückwünschend die Hand, und wirklich haben Flick und Flock uns noch öfter treffliche Dienste auf Sauen geleistet. E. F.


Blätter und Blüthen.

„Moderne Wunder.“ Unter diesem Titel hat einer der eifrigsten Gegner der neuen Geisterseher und Geisterbeschwörer, Karl Willmann, ein Werk (Otto Spamer, Leipzig) veröffentlicht, in welchem er alle Geheimnisse derselben, alle ihre Kunststücke und ihren Schwindel aufzudecken bestrebt ist. Natürlich sieht er auch den sogenannten „Antispiritisten“ auf die Finger, um auch ihre Kunst, mit welcher sie ja ebenfalls als geschickte Taschenspieler überraschen, zu erklären. Es ist erstaunlich, wie groß das Register solcher Wunder ist, welches uns in Willmann’s Schrift aufgeführt wird: Bindeproduktionen, Durchdringung der Stoffe, Geisterschrift, Gedankenlesen, Tischrücken, Geistererscheinungen – nur die magnetische Heilkraft und das Hellsehen der Somnambulen möchten wir mit allen jenen Taschenspielereien nicht in eine Linie gesetzt sehen. Man weiß, welchen Eindruck das Knotenbinden des Herrn Slade auf einen so gelehrten Naturforscher gemacht hat, wie es Herr Zoellner in Leipzig war und bedauert, daß derselbe nicht die einfachen Erklärungen lesen konnte, die hier von jenen Wundern gegeben werden: er hätte sich dann jene merkwürdige Lehre von der „vierten Dimension“ erspart, die durch ihren sonderbaren Tiefsinn so großes Aufsehen erregte.

Sehr ergötzlich sind die mitgetheilten Geschichten der Entlarvungen der geheimnißvollen Geister. Bekannt ist ja, wie der Erzherzog Johann in Wien Bastian in die Mäusefalle gelockt hat; weniger bekannt, wie Betty Tamke, die in Wilhelmsburg, auf einer kleinen Elbinsel bei Hamburg, ihr Wesen trieb, eines Tages ebenfalls entlarvt wurde. Betty ist die achtzehnjährige Tochter des Bauers Tamke, in dessen Hause wöchentlich mindestens zwei Sitzungen abgehalten wurden. Zahlreiche Geister abgeschiedener Menschen erschienen dort, von Cagliostro bis zum Professor Zoellner, und brachten den Anwesenden Mittheilungen aus dem Jenseits, auch sonstige Offenbarungen, Recepte gegen Krankheiten und sogar Geschenke von Blumen und Kuchen. Einmal schon wurde in einer solchen Sitzung ein Handtuch erfaßt: doch der kontrollirende Geist erklärte durch den Mund der Betty, daß Jemand die Schürze des Geistes erfaßt habe, und bat, dieselbe gefälligst loszulassen. Als aber ein anderes Mal Betty Tamke erklärte, daß sie kein weißes Zeug bei sich verberge und bat, sie darauf hin zu untersuchen, gingen zwei anwesende Damen sehr energisch zu Werke und förderten aus dem Korsett des Mediums zwei Betttücher und ein Handtuch zu Tage. Nun sollten die Geister in diesem Falle ihrem Abgesandten einen Schabernack gespielt haben! Aehnlich erging es der Leipzigerin Valeska Töpfer, die, nachdem sie sich leicht der Fesseln entledigt hatte, die ihr bei Beginn der Sitzung angelegt worden waren, ihre beliebten Geistergestalten, die sie auf dem Repertoire hatte, den Geist eines Kindes, Namens Abilla, dann einer schlanken Frauengestalt Adrienne kunstgerecht vorführte, bei einer dritten Verwandlung aber die Unvorsichtigkeit beging, einem der Zuschauer die Hand zu reichen. Diese wurde nun ergriffen, indem zugleich einer der Verschworenen ihren Stuhl hinter dem Vorhang besetzte. Bei der Untersuchung fand man ein großes weißes Mullkleid, welches sie versteckt an sich trug, in dem Dunkelraum verschiedene von ihr abgelegte Toilettenstücke.

Interessant ist die Schilderung, wie es in den Dunkelsitzungen der Geisterbeschwörer zugeht. Bastian setzte sich in den Kreis mitten in sein Publikum, ließ das Licht auslöschen und die Fenster so dicht verschließen, daß nicht der geringste Schein von außen hereindringen konnte. Mindestens ein Theilnehmer war in die Geheimnisse des Mediums eingeweiht.

Anfangs wird die Unterhaltung im Flüstertöne geführt, bis das Medium der Gesellschaft empfiehlt[,] sich ganz ruhig zu halten. Nun hört man nichts, als das gleichmäßige Klatschen der Hände desselben, welches den Beweis liefern soll, daß es nicht betheiligt sei an den nun folgenden Erscheinungen. Da die Geister den Gesang lieben und sich dann viel gefälliger zeigen, beginnen nun alle zu singen. Da ertönt ein Schreckensruf und man erfährt, daß einer der Anwesenden soeben von unsichtbarer Hand am Ohr gezupft und ein anderer gekitzelt worden sei.

Die Geister treiben solchen Hokuspokus wahrscheinlich, weil sie sonst auf Erden nichts zu thun haben. Das Medium klatscht inzwischen ununterbrochen fort, nur mit dem Unterschied, daß es mit der linken Hand jetzt auf die linke Backe klatscht, um die rechte für seine künstlerischen Leistungen frei zu halten. Nun erfahren die Anwesenden, daß, wenn die Geister in ihrer Mitte erscheinen, sich das durch einen kühleren Luftzug an[k]ündigt. Bald wird auch diese Wahrnehmung gemacht; denn der Geistermann hat die rechte freie Hand nicht unbenützt gelassen, sondern mit ihr ein im Rockfutter verborgenes Papierrohr hervorgeholt, dasselbe leicht aufgeblasen und so den Luftzug aus dem Geisterreich hervorgerufen. Durch das Papierrohr ertönen auch die Stimmen aus dem Jenseits. Auf einmal fliegen kleine Flammen in der Nähe des Mediums umher: das ist die Materie, aus der sich die Geister bilden, indem sie dieselbe allmählich dem Gehirn des Mediums entziehen. Das Medium hat die Fingerspitzen mit Phosphoröl oder leuchtender Balmaynfarbe versehen, die, auf ein Lederläppchen aufgetragen, vorher mit Magnesialicht beleuchtet, unter dem Rockfutter verborgen gehalten wurde. Mit Hilfe eines weiten Handschuhs, dessen Fingerspitzen in ähnlicher Weise vorbereitet werden, einer mit Phosphoröl getränkten Maske und ähnlicher Vorrichtungen erscheinen dann die Geister selbst. Das wird Alles in Willmann’s Werk aufs genaueste beschrieben.

Man mochte anfangs den Geistergläubigen jenseit oder diesseit des Oceans jene Visionen und Verzückungen zutrauen, wie sie den Mystikern aller Zeiten eigen waren: jetzt ergiebt es sich, daß man es nur mit handgreiflichen Taschenspielerkunststücken zu thun hat und daß die ganze Geisterseherei in die Meßbude eines Professors der Magie gehört.

Ein schwieriger Brief. (Mit Illustration S. 745.) Der Himmel mag wissen, was sie zu schreiben haben und an wen? Sicherlich handelt es sich um eine Sache, welche zugleich ihre ernsthafte und ihre launige Seite hat und welche von einer geschickten Hand behandelt sein will; und was die Adresse betrifft, so erlaubt ebenfalls der Umstand, daß die mit dem Kalbe ihrer Freundin pflügende Briefstellerin eine ländliche Schönheit ist, mit einiger Wahrscheinlichkeit, Jemanden von den „Hulanen“ oder von der „Attollerie“ als Adressaten zu vermuthen. Man kann ein sehr nettes und kluges Bauernfräulein sein und braucht gar nicht zu Denen zu zählen, die d[e]s Lesens und Schreibens unkundig sind, um trotzdem bei gewissen Anlässen an der eigenen Fähigkeit zu verzweifeln, so briefstellern zu können, wie man es sich wünschen mochte. Mitunter ist Schönschreiben allein schon wichtig; und nun gar die Orthographie und der Stil! „Er“ braucht ja nicht zu wissen, wer geschrieben hat: wenn er wieder da ist, hat man nicht nöthig, Briefe zu schreiben. Es ist ein Glück, daß man diese Trine zur Busenfreundin hat, welche in der Schule immer die Erste war, welche Tinte besitzt, die nicht eintrocknet, und eine Feder, die ihr der Herr Kantor schneidet, sobald der vorige Schnitt abgenutzt ist – der Herr Kantor gehört noch zu der alten


  1. Das Wild „sichert“, wenn es durch Umheräugen oder Wittern sich überzeugt, ob ihm Gefahr droht.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_754.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2019)