Seite:Die Gartenlaube (1886) 749.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Ihrem Vorgange folgten die Pharaonen der neunzehnten und zwanzigsten Dynastie, indem sie die große Schlucht hinter dem sogenannten Sargberge, welcher das Flachland des Memnonienviertels nach Westen zu abschließt, benutzten, um sich ewige Ruhestätten in derselben auszuhöhlen.

Im alten Reiche war es den Pharaonen Ehrensache gewesen, sich bei ihrer Residenz Memphis eine möglichst hohe Pyramide zu erbauen; von der achtzehnten Dynastie an boten die Könige bei der Herstellung ihrer Ruhestätten Alles auf, um möglichst tief in die Felsen zu dringen. Ein mächtiger Herrscher, wie Seti I., und ein reicher Fürst, wie Ramses III., stellten Grüfte für ihre Leichen her, welche eine Längenausdehnung von wenigstens 60 Meter besaßen und dabei über und über mit schön ausgemalten Skulpturen und Inschriften bedeckt waren.

Statue des Ehepaares Rahetep und Nefert aus einem Grabe zu Medum.

In diesen Theil der Nekropole, welcher heute Biban el-Muluk oder Pforten der Könige genannt wird, und in dem ausschließlich gekrönte Häupter bestattet werden durften, führten zwei Wege: eine Fahrstraße in der Ebene und ein Fußweg, welcher den Berg überschreitet, an den sich das Memnonium von Der el-bahri lehnt.

Die Großen und Reichen aus der Zeit, welche der Vertreibung der Hyksos folgte, ließen sich wie die Könige, denen sie dienten, in Felsengrüften bestatten; diese finden sich aber weitab von den Fürstengräbern im östlichen Abhänge des Sargberges, und ihre Pforten öffnen sich nach dem Flachlande der Todtenstadt hin. Ihre Zahl ist groß, und wenn man, etwa vom Ramesseum aus, nach dem libyschen Gebirge hinschaut, so gewährt dies an vielen Stellen den Anblick einer Honigwabe oder der Rinde des Korkbaumes; denn eine Gräberöffnung gähnt neben der andern aus dem hellen Kalkstein dem aufwärts Schauenden entgegen.

Wie im alten Aegypten jedes Einzelding einem vorgeschriebenen Typus, einem fest normirten Gesetze zu folgen hatte, so wurden sowohl die Gräber der Könige wie die der Privaten nach einem bestimmten Plane angelegt, von dem nur geringe Abweichungen gestattet waren.

In den Pharaonengrüften schließt sich Raum an Raum, oft so, daß die ganze Gruft schräg abwärts führt und man bald auf geneigten Flächen, bald auf Treppen zu ihrem Ende niedersteigen muß. Je mächtiger, langlebiger oder frömmer der zu Bestattende war, desto mehr Säle und Kammern gab es, desto reicher ward die Ausschmückung des Grabes mit Bildern und Inschriften.

Darstellung des Todtengerichtes der alten Aegypter. 125. Kapitel des Todtenbuches.

Diese beziehen sich sämmtlich auf das Leben nach dem Tode, die Dua-t oder Tiefe, die Fahrt der Sonnenbarke, in der auch die Seele des Verstorbenen Aufnahme gefunden hat, durch alle Stunden des Tages und der Nacht. An den Sternbildern des oberen und unteren Himmels gleitet der Nachen vorüber; flinke Schakale ziehen ihn, treue Gefährten halten die Schlange zurück, über deren Windungen das Boot in der Unterwelt vorwärts zu streben hat. Dort beleuchtet die Sonne die Sitze der Verstorbenen und der Dämonenwelt in der Dua-t, und wer die finsteren Felsenräume der Königsgräber mit der Fackel in der Hand durchschreitet und die Augen über die Bilder an den Wänden und Decken Hinschweifen läßt, der meint in einer sinnverwirrenden Zauberwelt zu verweilen; denn gar befremdlich ist das rege Treiben im Reiche des Todes, und wenn er an Schlangen und Nattern, den menschlich gebildeten Trägern höchst wunderlicher Geräthe, an Männergestalten ohne Kopf, an den Barken, welche über den Rücken unermeßlich langer, wellenförmig gekrümmter Kriechthiere hingleiten, an Personen, die auf dem Kopfe stehen und deren Füße gen Himmel weisen, vorbeigekommen ist und die barocken Namen all dieser Phantasiegebilde gelesen hat, sieht er sich zu Häupten seltsam geordnete Sternbilder auf gekrümmten Barken auf und nieder fahren, beugt sich eine weibliche Riesengestalt über ihn hin, die Himmelsgöttin, deren blauer Leib mit Gestirnen besäet ist, auf deren Rücken sich das Sonnenschiff von Osten nach Westen oder, wenn der nächtliche Himmel gemeint ist, von Abend nach Morgen fortbewegt.

Schön ist der Gedanke, daß Seele (ba) und Herz (ab) verantwortlich sind im Jenseits für die Gesinnung und sittliche Führung während der Zeit ihrer Vereinigung mit dem Körper, dem sie Leben, Bewegung, Selbstbewußtsein, Willenskraft, Empfindung und Denkvermögen verliehen hatten. Vor dem Todtenrichter Ofiris und seinen 42 Beisitzern wird das Herz des Verstorbenen, der Träger der Gesinnung und der Regungen des Gemüthes, gewogen, und zwar mit der Straußenfeder, welche die Wahrheit symbolisirt. Ist das Ergebniß dieser Wägung günstig ausgefallen und festgestellt worden, daß der Erdenbürger sich enthalten hat die 42 Todsünden zu begehen, welche das 125. Kapitel des sogenannten Todtenbuches aufzählt, und die sich auch auf den Wänden mancher Königsgruft eingemeißelt finden, dann wird der Seele gestattet, zu dem lichten Weltgeist zurückzukehren, von dem sie ausgegangen ist, und als Theil des Ra und Eins mit ihm die Welt zu beleuchten und sie zu regieren, oder auf die Erde zurückzukehren und sich in jede Gestalt zu kleiden, die ihr genehm ist. Vor ihrem Aufgehen in Gott muß sie ganz frei sein von jedem Makel; denn der kleinste Flecken würde die vollkommene Reinheit dessen, der sie in sich aufnehmen soll, trüben. Darum hat sie Wohl, bevor sich die Vergöttlichung vollzieht, „durch Feuer und Wasser“ zu gehen und dann in den Gefilden der Seligen zu verweilen, dort an klaren und vollen Strömen Felder von wunderbarer Fruchtbarkeit zu bestellen und Aehren von einer Größe zu ernten, wie sie die Erde nicht kennt. – Die Mühe der Bewässerung der Aecker, des Pflügens und Säens wird den Seligen von gehorsamen Dienern abgenommen, den Schebti oder Uschebtifiguren, Püppchen aus gebranntem Thon, Holz oder Stein in Mumiengestalt mit Hacke und Pflug in den Händen, dem Saatbeutel auf dem Rücken und dem sechsten Kapitel des Todtenbuches, das ihre Bestimmung erläutert und ihre Hilfe anruft, auf der vorderen Seite des Körpers.

Nach seinem Hingang trennen sich die verschiedenen Theile des menschlichen Organismus. Der Körper, welcher der Erde und gemeinen Materie angehört, heißt Chat; er wird aber durch die Mumisirung in eine höhere Existenzordnung erhoben und empfängt dann, nachdem er durch Amulete, Ceremonien und Sprüche Reinheit erlangt hat, die Erlaubniß, die Pforten der Dua-t als Sahu zu überschreiten. Ba und ab – Seele und Herz – kennen wir bereits. Der Schatten oder Chaib-t wird selten erwähnt. Sehr eigenthümlich ist die Idee des Ka oder Genius, welcher als Doppelgänger des Menschen betrachtet werden darf und die körperliche und geistige Form darstellt, die ihn auf Erden von anderen Individuen unterschieden hat. Dieser Ka ist gewissermaßen das Vorbild, das der Gestaltung des Einzelnen zu Grunde gelegen hat. Nach dem Tode löste er sich von dem Körper ab, diente, gleichsam als luftiges Spiegelbild des Lebenden, seiner Seele zum Gefäße und vereinte sich nach der Apotheose derselben mit dem Sahu oder der geheiligten Mumie, auf die er paßte wie die Todtenmaske auf das Gesicht, wie der Schuh auf den Fuß, von dem er sich selbst abgezogen. Wie dem Entschlafenen selbst sah er der portraitähnlichen Statue desselben gleich, und mit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_749.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2018)