Seite:Die Gartenlaube (1886) 748.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Ein Friedhof ohne Gleichen und vierzig auferstandene Könige.

Von Georg Ebers.

Vor zwei Jahren hat der Botaniker und Afrikareisende Schweinfurth den Lesern der „Gartenlaube“ (Nr. 38, 1884) interessante Mittheilungen über den Blumenschmuck ägyptischer Mumien gemacht. Er hatte solchen an den Leichen fürstlicher Männer und Frauen gefunden, welche aus einem Versteck über dem berühmten Terrassentempel von Der el-bahri im westlichen Theben zu Tage gefördert worden waren.

Die Entdeckung der sterblichen Reste so vieler Beherrscher des Nilthales, unter denen sich die größten aller Pharaonen befanden, wurde von dem genannten Gelehrten mit Recht als der denkwürdigste von allen Funden aus dem Alterthume bezeichnet, und so wollte es dem Herausgeber der „Gartenlaube“ wünschenswerth erscheinen, den Lesern seines Blattes durch den Verfasser etwas Näheres über denselben mittheilen zu lassen, zumal bei Gelegenheit der Auswickelung gewisser Mumien im Museum von Bulak in jüngster Zeit wieder viel auf diesen Fund hingewiesen worden ist.

Je interessanter uns nun die gestellte Aufgabe erscheint, desto williger gehen wir an ihre Lösung, desto lieber wollen wir auf den folgenden Blättern die Todtenstadt von Theben, welche wir in der Ueberschrift mit Recht einen „Friedhof ohne Gleichen“ nannten, beschreiben und dann erzählen, welchen Platz Der el-bahri in demselben einnahm, wie es kam, daß die wunderbare Entdeckung, um die es sich hier handelt, gemacht wurde, welche Gegenstände sie umfaßt, und wie es geschehen konnte, daß die Leichen so vieler Fürsten, unter denen mehrere eigene große Grüfte, die längst entdeckt worden sind, besaßen, an einer einzigen Stelle beisammen gefunden werden konnten. Man denke, wie erstaunt unsere Nachkommen sein würden, wenn sie Friedrich Wilhelm’s III. von Preußen Mausoleum in Charlottenburg und Friedrich Wilhelm’s IV. Grab in Potsdam entdeckten und später die Leichen dieser Könige an einer dritten Stelle beisammen fänden.

Die Todtenstadt nahm das westliche oder linke Nilufer des hundertthorigen Theben ein und darf als ein weit ausgedehnter Friedhof von höchst absonderlichem und wechselvollem Aussehen bezeichnet werden. – Während sich auf dem rechten (östlichen) Nilufer die Wohnstadt der Bürger von Theben mit Straßen und Plätzen, Magazinen und Palästen, mit der viele Quadratkilometer bedeckenden Tempelstadt, welche die gewaltigen Reichsheiligthümer umfaßte, sowie mit den Arsenalen und Sitzen für die öffentlichen Behörden erhob, war das ganze ziemlich breite Flachland auf der anderen Seite des Stromes sammt dem nackten libyschen Kalkgebirge, das es im Westen wie eine Maner abschloß, ganz und gar dem Tode, den Verstorbenen und solchen Dingen und Bestrebungen gewidmet, die nicht von dieser Welt sind.

In der Ebene der Nekropole reihte sich ein Flecken an den anderen, und diese bestanden sämmtlich aus einem Heiligthume, um welches sich die Häuser der Priester, der Tempeldiener sowie der Handwerker, Gärtner, Landleute, Lebensmittel- und Opferverkäufer scharten, welche dem betreffenden Tempel vorstanden, zu ihm gehörten oder ihm als Fröhner dienstbar waren.

Als Stiftungen, welche sich an mehrere Heiligthümer auf dem Gebiet der Nekropole schlossen, gab es auch Lehranstalten, in denen weit ab von dem Treiben der Residenz junge Aegypter aus allen Ständen in der Ruhe der Todtenstadt erzogen und unterrichtet wurden.

Die berühmteste war das sogenannte „Haus des Ramses“, dessen Trümmer unter dem Namen des Ramesseums bekannt sind. Als ihre Vorgängerin ist das „Setihaus“ zu betrachten, der heutige Tempel von Qurna, welcher unter Ramses II. und seinem Sohne Menephtah von dem Ramseshause weit überflügelt werden sollte. An dieses schloß sich auch eine berühmte Bibliothek, welche den Namen der „Heilanstalt der Seele“ führte, und einige der besten Stücke der ägyptischen Litteratur, welche ein glückliches Ungefähr gerettet und bis auf uns gebracht hat, sind von Gelehrten dieser Hochschule verfaßt oder doch abgeschrieben worden. Sie stand sammt ihren Hörsälen, Schreibstuben, Sternwarten, Gerichtsstätten und Alumnaten in nächster Verbindung mit einem herrlichen Tempel, der von Ramses II. als Votivbau errichtet worden war, nachdem ihn in der Schlacht bei Kadesch die Truppen der Cheta, des mächtigsten Volkes im damaligen Vorderasien, umzingelt hatten und er, verlassen von all seinen Mannen, „allein geblieben war unter Tausenden“.

Schreiber. Auf dem Geräthkasten Palette und Wassergefäß.

Die Aegypter nannten diese Stiftungen in der Nekropole mennu, das heißt Erinnerungsmale oder Denkstätten, und sobald nach der Eroberung des Nilthales durch Alexander den Großen die Griechen nach Theben gekommen waren und die Monumente gesehen hatten, brachte sie ihr beweglicher Geist mit eigenen Erinnerungen und den Mythen ihres Volkes in Beziehung. Da stand vor den Pylonen der Denkstätte des Königs Amenophis III. in der Nekropolis ein Paar von Kolossen, welche die Gestalt dieses Pharao in riesigem Maßstabe zur Darstellung brachten, und als nun ein Erdbeben die nördlicher aufgestellte Statue verstümmelt und sich die Kunde verbreitet hatte, daß sie beim Aufgang der Sonne einen Klang von sich gebe, erklärten die Hellenen sogleich das von den Aegyptern mennu genannte Bildwerk für die Statue des Homerischen Helden Memnon, welcher „der herrliche Sohn der leuchtenden Eos“ genannt wird, und der den Antilochos, Nestors Sohn, in der Feldschlacht getödtet. –

Schreiber. Auf dem Kasten die Palette, vor dieser Gefäße mit Geräth zu der schwarzen und rothen Tinte, deren er bedurfte.

Dieser Memnon, das Kind der Morgenröthe, wurde bald von den Griechen in einen äthiopischen Heros verwandelt, und sie umflochten das Andenken an ihn mit einem schönen Mythenkranze. Wenn Eos, so hieß es nun, in der Frühe den östlichen Horizont rosenroth färbe, solle sein Standbild der Mutter einen Gruß entgegentönen, sie aber Thränen der Rührung, den Morgenthau, auf den geliebten Sohn niederweinen. Wie der Koloß des Amenophis den Namen der Memnonssäule, so haben alle der Erinnerung geweihten Baudenkmäler in der Nekropole, welche auf Aegyptisch „mennu“ heißen, durch die Griechen den Namen „Memnoien“ erhalten, und die ganze Todtenstadt wurde bald die Memnonienseite von Theben genannt.

Von den frühesten Zeiten an waren hier die Leichen nicht nur der Könige, sondern auch der Bürger bestattet worden, und es haben sich auf diesem Riesenfriedhofe die Gräber schon von Pharaonen aus der elften Herrscherreihe, deren Regierungszeit in der Mitte des dritten Jahrtausends vor Chr. endete, gefunden. Diese Fürsten ließen sich, anknüpfend an die Sitte ihrer Vorfahren, kleine Pyramiden am Fuße des libyschen Gebirges erbauen und im Anschluß an sie Grabkammern in den Felsen meißeln. Fürsten und Große aus jener und der ihr folgenden Zeit haben sich Grüfte in den Boden des Flachlandes der Todtenstadt ausgraben und sie zum Theil überwölben lassen: nachdem aber die Eindringlinge, welche unter dem Namen der Hyksos bekannt sind, Aegypteu vier Jahrhunderte lang geknechtet hatten und endlich wieder aus dem Lande vertrieben worden waren, suchten die ersten Befreier, welche für den verzweifelten Entscheiduugskampf aller Männerarme so dringend bedurften, daß sie dieselben nicht für die Herstellung ihrer Gruft aufrufen konnten, durch die künstlichste Ausschmückung der Mumien das gut zu machen, was ihren Grabstätten im Qurnet Murrai am östlichen Fuße des libyschen Gebirges an Größe und Schönheit abging.

Ihre Nachfolger in der achtzehnten Dynastie, denen es dann gelungen war, ihre semitischen Nachbarn zu unterwerfen und sich einen großen Theil von Vorderasien tributpflichtig zu machen, gaben die alte Sitte des Pyramidenbaues auf, und nachdem einige von ihnen noch im nördlichen Theile der Nekropole bestattet worden waren, legten sie einen neuen Friedhof an und ließen sich Felsengrüfte in das Gestein eines westlichen Querthales des libyschen Gebirges hauen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_748.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2020)