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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

umher, bis er gewahrte, daß unweit von Riza ein Herr ebenfalls in entzückte, aber keineswegs fromme Bewunderung Riza’s versunken war; denn seine kleinen, schwarzen Aeuglein funkelten unausgesetzt auf die Knieende herab und ein schmunzelndes Behagen verzog die dicken Lippen, welche ein dünner, rothblonder Bart, der in zwei langen Franzen über die Brust herabhing, nur wenig verdeckte.

Ueberhaupt war dieser Mann – mindestens in Stefan’s nicht ganz vorurtheilslosen Augen – ein unangenehmer Geselle. Er war schon „alt“, das heißt, er mochte am Ende der Dreißiger stehen, hatte eine Menge kleiner Fältchen um die Augen und auf den hervorstehenden Backenknochen; seine Figur war hochschultrig und hager, steckte aber in ausgesucht eleganter Kleidung, welche der unbillige Stefan geckenhaft schalt; seine Bewegungen waren geziert, und selbst seine augenscheinliche Bewunderung für Riza vermochte es nicht ganz, den Stolz auf seine Bartfranzen aus seinem Gemüth zu drängen; denn er fuhr oft mit der behandschuhten kleinen Hand sanft liebkosend darüber hin oder zauste sie zu größerer Breite aus einander, wobei jedesmal ein Zug von Hochmuth und Eitelkeit seine Nasenflügel blähte.

Mit klopfendem Herzen beobachtete Stefan, daß Riza freilich ihren Bewunderer nicht zu bemerken schien, daß aber ihre Mutter immer öfter zu ihm hinschaute und jedesmal immer stolzer lächelte und sich in die Höhe reckte.

Als nun das Hochamt beendet war und Riza sich erhob, setzten sich auch ihre beiden Verehrer in Bewegung. Stefan drängte sich rücksichtslos durch die murrende Menge dem Ausgang zu und wartete dort, um dicht hinter der Geliebten hergehen zu können. Dieses Vergnügen genoß er denn auch; aber es bekam einen unangenehmen Beigeschmack. Sein klügerer Nebenbuhler hatte sich, da er als Einer der Ersten im Freien anlangte, den besten Platz in jener Gasse erobert, welche die jungen Männer Szegedins an Sonn- und Festtagen zu beiden Seiten der Kirchthür bilden, um die Schönen Revue passiren zu lassen. Als nun Stefan dicht auf Riza’s Fersen in die Gasse hinaustrat, hatte er das Vergnügen, seinen Nebenbuhler die beiden Frauen in so tiefer Ehrerbietung grüßen zu sehen, daß ein Murmeln durch die lebendige Gasse lief.

Riza erröthete darüber so sehr, daß selbst der schmale Streifen des Nackens, welchen Stefan über der Halskrause erblicken konnte, sich purpurn färbte, und die Mutter schaute sich um, ob auch Viele die ihnen erwiesene Ehre bemerkt hätten. Als sie dabei gerade in Stefan’s grimmiges Gesicht blickte, lächelte sie ganz abscheulich spöttisch. Natürlich schauten nun alle Herren sehr interessirt auf das so auffallend ausgezeichnete Mädchen, und selbst ungenirte Ausrufe, wie „schön! bildsauber! aufbrechendes Rosenknöspchen!“ und dergleichen drangen zu Stefan’s Ohren, der alle diese frechen Menschen, welche seine Heilige anzustarren wagten, hätte umbringen mögen. Als er nachher Riza’s Weg absichtlich kreuzte und sie grüßte, blickte sie nur flüchtig auf, ohne durch irgend eine Bewegung tiefern Antheil an ihm zu verrathen; ihre Gedanken waren entschieden noch bei der ersten Huldigung, die ihrer Schönheit geworden – oder am Ende gar bei „diesem abscheulichen Gecken“, der an der ganzen Scene schuld war. Stefan ballte die Fäuste bei diesem Gedanken.

Terka aber that Besseres. Zuerst erkundigte sie sich nach den näheren Verhältnissen des Bewunderers ihrer Tochter und erfuhr, daß er Perfy Viktor heiße, Advokat sei und aus vornehmer, wenngleich verarmter Familie stamme. Da die Advokaten nun außer dem Obergespan, dem Oberbürgermeister und wenigen anderen Vornehmen den ersten Rang in Szegedin einnehmen, so schwoll Terka’s Herz in der noch zaghaften Hoffnung, eine unerhörte Ehre und ein überschwängliches Glück könne vielleicht ihrem Hause widerfahren.

Sie beschloß, Perfy Viktor Gelegenheit zur Annäherung zu geben, miethete sogleich eine Loge und führte schon am ersten Osterfeiertag ihr Kind ins Theater, wo sich sofort alle Operngläser auf die junge Schönheit richteten, die eine Bäuerin zur Mutter hatte, aber in einer Loge saß und sich wie eine Dame bewegte. Perfy Viktor stand während des ganzen ersten Aktes im Parquet, mit dem Rücken gegen die Bühne, das Opernglas nach Terka’s Loge gewandt, und kaum fiel der Vorhang, so betrat er dieselbe. Stefan war auch im Theater und folgte wie ein Schatten den Bewegungen Riza’s, ohne jedoch von ihr beachtet werden zu können, denn er saß in angeborenem Sparsamkeitsbedürfniß und weil es immer sein Schicksal war, der Riza auf den Kopf zu schauen, hoch oben im Olymp. Doch hatte er sich zu dem Platz durchgedrängt, welcher Terka’s Loge gerade gegenüberlag, und seine Falkenaugen gewahrten sehr wohl, wie tief Riza erglühte, und wie der Mutter Gesicht strahlte, als „der storchbeinige Advokat“ um die Ehre bat, sich „den Damen“ vorstellen zu dürfen. Und nun begann eine sehr lebhafte Unterhaltung – das heißt der Advvkat sprach, und Riza hörte mit gesenktem Köpfchen zu. Was er ihr nur Alles sagen mochte?

Nun, er sprach angelegentlich von seiner Tante, der Tochter des verstorbenen Obergespans, welche er ins Theater begleitet hatte, erzählte den Lebenslauf seiner Dido, des schönsten Pferdes, das je einen Szegediner Kavalier getragen, sprach von seiner Juno, dem famosen riesengroßen Bernhardiner, dem größten Hunde Szegedins – „Fräulein kennen das Thier wirklich noch nicht? Aber wie schade! Wollen Fräulein die Gnade haben, morgen um zwölf Uhr Mittags die schönen Augen auf den Platz vor Ihrem Fenster zu richten? Es würde mich glücklich machen, und Dido und Juno verdienen, daß die reizendste Dame Szegedins sie einen Moment ihrer Aufmerksamkeit würdige. Mein seliger Großonkel, der Obergespan Teleky Viktor, behauptete immer, kein Kavalier Ungarns habe einen so sicheren Blick und eine so glückliche Hand in Auswahl und Zucht von Rassepferden und -Hunden, wie ich – und in der That: Dido und Juno sind zu einiger Berühmtheit in Szegedin gelangt. Es ist so meine Gewohnheit, immer das Rarste zu haben. Daß Fräulein noch nichts von den Thieren gehört haben! Aber was will das sagen gegen die viel wunderbarere Thatsache, daß meinen scharfen Augen bis vorgestern die größte Schönheit Szegedins entgangen war. Gnädige sagen, Fräulein wären so lange im Institut gewesen? Ach, das erklärt Alles! Diese neidischen Mauern welche so lange solchen Liebreiz versteckten! Aber man holt nach. Spielen Fräulein vielleicht Pianoforte? Nur wenig? O, das thut nichts, wenn man einen guten Partner hat. Ich bin nämlich, wie man sagt, in Szegedin der beste, wie ich sage, ein ziemlich guter Musiker. Ich hoffe, in allernächster Zeit das Urtheil und den Rath des größten Klaviervirtuosen der Welt – doch st! das ist noch tiefstes Geheimniß! – Ja, die Musik ist meine Leidenschaft, Fräulein; sie narkotisirt so reizend die Sinne, und man erholt sich dabei vom Denken – mon dieu, man wird allmählich ein gesuchter Advokat, und das strengt an. Aber es ist fad, mit einer schönen Dame von solchen ernsthaften Dingen zu plauschen. Ja, was ich sagen wollte: Fräulein werden doch unsere Gewerbe-Ausstellung anschauen? Ich gehöre natürlich zum Komité – man hat die Pflicht, seinem Lande aufzuhelfen. Ich kann Fräulein ganz im Vertrauen verrathen, daß es meinen Anstrengungen vielleicht gelingen wird, einen illustren Gast –“

„Ruhe da unten in der Log’; Eins will im Theater die Schauspieler hören, nicht die Advokaten!“ schrie plötzlich von der Galerie herab eine wüthende Stimme, und der Advokat richtete seine Gestalt, welche er tief über Riza gebeugt hatte, auf und schaute mit einer Miene hochmüthigen Erstaunens auf den Schreier, welcher sich mit dem ganzen Oberkörper über die Brüstung herabbeugte.

„Mon dieu, wie frech jetzt die Bauernbuben werden!“ sagte er, gelassen seinen schönen Bart arrangirend; dann aber erschrak er ein wenig; denn Riza war dunkelroth geworden, und Perfy Viktor fiel es ein, daß hinter dem schönen Mädchen eine Bäuerin saß, welche dessen Mutter war. So gerieth er denn ein wenig in Verlegenheit über seinen Mißgriff und empfahl sich ziemlich eilig, zum großen Aerger der Terka, welche in Wonne über die Herablassung des Edelmanns schwamm und in einem fort sagte: „Jesus, wie schön der halt plauschen kann! Eins glaubt gar nicht, welchen Unterschied es macht, ob ein Kavalier von Hunden und Pferden plauscht, oder ein Bauer! Wär’ nur nicht der dalkete Lump, der Stefan, dazwischen gekommen, der Unverschämte –“

„Aber, Mutter, er hat doch eigentlich Recht,“ fiel Riza ein, noch immer roth wie eine Rose, denn in ihr stritten Aerger und eine Art freudigen Respekts über Stefan’s dreistes Eingreifen,

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