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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Riza lachte, lachte, lachte, und fortgeblasen von diesem Lachen war das Traumgespinnst aus ihrem Herzen; die Wirklichkeit trat ja in so lächerlichen Gegensatz zu ihrer feierlichen Stimmung.

Stefan war ein Bauer und trug weite Linnenhosen; also würde man nicht mehr an ihn denken; denn man war ein feines Fräulein mit französischer Bildung und großen Aussichten auf die Zukunft. Und dachte man einmal an ihn, so würde man immer lachen müssen. Wie aber könnte man zugleich lachen und träumen? Man würde also nicht mehr träumen, wenigstens nicht mehr von ihm.

Die Mutter verstand nicht den Grund dieses Umschlags von Riza’s Stimmung; doch begriff sie leicht, daß ein Verehrer, über den ein Dirnlein lacht, ihm nicht mehr gefährlich ist. So hatte sie denn vollkommen erreicht, was sie erstrebt; sie legte sich mit dem stolzen Bewußtsein ihrer erfolgreichen Weisheit zu Bette und träumte, daß der Sohn des Obergespans um ihre Riza freite und Janos oder Stefan, sie konnte nicht erkennen, wer von Beiden, in weißen Linnenhosen auf dem Maulbeerbaum säße und vor Staunen und Aerger immerfort die Hände über dem Kopf zusammenschlüge. Darüber mußte Terka so lachen, daß sie erwachte, und da die Uhr die fünfte Morgenstunde zeigte, so sprang sie aus dem Bett, blieb aber, ehe sie an ihre Arbeit ging, noch einen Augenblick vor ihrem schlafenden Töchterchen stehen. Das lag, ein Lächeln auf den rothen Lippen, in so holdselig erblühter Schönheit da, die goldenen, krausen Härchen auf der reinen Stirn, die weißen Händchen auf der Brust: der Terka kamen Thränen des Stolzes in die Augen, sie schlug andächtig ein Kreuz über die Schlafende und flüsterte:

„Einen Prinzen für Dich, Liebchen – aber wo ihn herkriegen? – Nun, schlaf’ ruhig, mein Täubchen, Deine Mutter besorgt Dir doch einen!“

Nun ist es aber eine alte Geschichte, daß selbst Sonnenschein und Mädchenlachen nicht allen Menschen erfreulich sind; und so hatte auch gestern die Person, welche dieses lustige Lachen verursacht, nämlich unser Freund Stefan, zuerst ein ganzes Weilchen stillgestanden und verdutzt der lachenden Riza nachgeschaut. Dann schlug er wüthend auf seine Pferde ein, daß sie im Galopp nach dem Hofe liefen; er selbst aber rannte hinauf in sein Giebelzimmer, warf sich auf einen Stuhl, sprang wieder auf, lief zum Tisch, auf dem ein halb Dutzend Bücher lagen, ergriff diese unschuldigen Herbarien menschlicher Weisheit und schleuderte sie, eins nach dem andern, mit Wucht auf die Erde. Nun warf er sich wieder auf einen Stuhl, stützte die Ellenbogen auf den Tisch, vergrub das Gesicht in die Hände und heulte wie ein wüthender Schulbube. Dann ergriff er die unglücklichen Bücher, schleppte sie zum eisernen Ofen und stopfte sie ihm in den schwarzen Schlund. Als er sie eben in Brand setzen wollte, kam ihm der Gedanke, zusammenzurechnen, wie viel sie ihm gekostet hatten, um seiner Wuth durch die Einsicht in die unnütze Verschwendung neue Nahrung zu geben. Aber das Rechnen, welches seine schwächste Seite war, ernüchterte ihn; er ließ die Bücher vorläufig unverbrannt im Ofen und warf sich, ohne gegessen zu haben, angekleidet aufs Bett, als solle sein armer Leib die Wunde seiner Seele büßen.

Daß Stefan aber seine Wuth an den Büchern ausließ, hatte einen triftigen Grund. Was hatte er sich mit ihnen herumgequält und abgearbeitet! Als er vor zwei Jahren gehört, daß Riza plötzlich ins Institut gesteckt worden, war ihm nach Ueberwindung des Schreckens über die Trennung die Ahnung aufgegangen, daß sie, von dort zurückgekehrt, nichts von ihm halten werde, wenn er nicht Schritt halten könne mit der entsetzlichen Bildung, welche man ihr dort aufpfropfen würde. Da hatte der arme gute Junge in seiner Liebe und Angst den schweren Kampf mit seinem harten Kopf aufgenommen, beim Antiquar für schweres Geld eine lateinische Grammatik, ein paar Toussaint-Langenscheidt’sche Briefe, den zweiten Theil einer fünfbändigen ungarischen Geschichte, einen „ungarischen Staatsbürger“ eingekauft und deren Inhalt auswendig gelernt. Und wann hatte er das gethan? Wenn er spät Abends, todmüde von der schweren Feldarbeit, nach Hause gekommen war, ihm die Augen zufielen und der Verstand wie zugeklappt war. Bald nach Riza’s Entfernung war Stefan’s Mutter, die alte Martscha, gestorben, zur großen Erleichterung des Janos, der nun seinen Tag mit Essen, Trinken und Schlafen hinbrachte. Der fleißige Sohn mußte Vater und Mutter in Feld und Hof ersetzen. Das war dem Stefan eine selbstverständliche Sache; die Arbeit ging ihm leicht von der Hand, und das Anwesen blühte unter dem tüchtigen jungen Bauern; aber das Lernen – lieber zwölf Stunden pflügen, als eine Stunde lang Zahlen oder Regeln pauken! Und doch bekam er’s zuletzt in sich hinein, wann, wo und wie oft König Stefan die Türken schlug und wie die Geschichte mit den verflixten unregelmäßigen lateinischen Verben war; denn hinter all der Quälerei stand der Gedanke, daß Riza, wenn sie seine Gescheitheit merken würde, ihn freundlich und vielleicht mit einigem Respekt anschauen müßte. Und während ihm zu Anfang der Trennungszeit das liebliche Köpfchen nur als etwas allgemein Schönes vorgeschwebt hatte, das man gern immer hätte anschauen mögen, etwa wie vornehme Leute gar viel Wesens von den Rosen und dem Sonnenschein machten, so hatte er im Laufe der Jahre, da er seinen eigenen dicken Kopf gar sehr für dieses Köpfchen plagte, sich dasselbe sammt der knospenden Gestalt in Gedanken immer mehr zugeeignet. Er war schließlich zu dem Glauben gekommen, daß alle diese Holdseligkeit allein für ihn blühen müsse und werde. Und mitten in diesen festen und ehrbaren Heirathsgedanken wurde er plötzlich durch ein helles Lachen ernüchtert.

Was hatte Riza zu lachen über ihn, den saubern, kräftigen, tüchtigen Stefan, über ihn, der sie seit, er wußte nicht, wie vielen Jahren treu liebte, der auf die Kunde ihrer Heimkehr eine halbe Stunde zu früh vom Felde gekommen war, bloß um sie zu sehen? – über ihn, der eben so gescheit war wie sie?

Armer Stefan! es kam ihm gar nicht der Gedanke, daß junge Mädchen allzu oft nicht danach fragen, was in einem Kopfe sei, der von außen häßlich aussieht, und wenig von einem treuen Herzen halten, das in einem ungeschlachten Körper oder auch nur in schlechten, lächerlichen Kleidern steckt.

Und weil Stefan das nicht verstand, wüthete er gegen Riza, gegen sich selbst und vor Allem gegen die Bücher, die Zeugen seiner aufopfernden Liebe. Doch entschloß er sich nach einer Nacht guten Schlafes – sein junger Liebeskummer schlug mehr nach außen um sich, als daß er sich nach innen hineinfraß – die Riza zu „stellen“ und von ihr selbst herauszubekommen, ob es nun für immer aus sein solle zwischen ihm und ihr. Er hatte sich mit der Zeit so in seine Heirathspläne hineingedacht, daß er die Riza nicht als passive, sondern als aktive Theilhaberin derselben ansah und ihr Betragen als Abfall und Untreue empfand.

Da aber ein Stelldichein vom Maulbeerbaum aus in so fern seine Schattenseiten hatte, als sich, wie dem Stefan trotz seiner Aufregung beifiel, eine Liebeszwiesprach’ am Ende nicht gut ausnehmen würde, wenn sie herauf- und hinuntergeschrieen werden müßte, und da er nach der gestrigen Enttäuschung doch nicht recht wagte, der Riza gleich wieder vom Himmel herab vor die Füße und zwar in den Garten ihrer bösen Mutter zu fallen, so beschloß er, vor allen Dingen sein Herz am Anblick der Geliebten zu ersättigen und dabei eine Gelegenheit abzupassen, ihr ein paar Worte zuzuraunen.

Da nun heute Karfreitag war, so that Stefan seinen schönsten Anzug an, und als er seine jungkräftige Gestalt, welche die reiche, knappe Kleidung vortheilhaft hervorhob, in dem großen Pfeilerspiegel betrachtete, durchlief ihn das frohe Gefühl, daß er ein schöner Bursch und der Riza werth wäre.

Er hatte auch wirklich das Glück, Riza in der Kirche neben ihrer Mutter in der Menge zu sehen, wenn es ihm auch nicht gelang, bis zu ihr zu dringen. Wie das zarte Dirnlein im lichtblauen Kleidchen da kniete, das reiche blonde Haar noch wie ein Institutsmädchen zum kindlichen Flechtenkrönchen aufgesteckt, die Händchen in demüthiger Bitte auf dem Busen gefaltet und die sonst so lachenden goldbraunen Augen in frommer Andacht zu dem celebrirenden Priester aufgehoben, erweckte sein Anblick in Stefan eine fromme Rührung und zarte Scheu, sich diese kindliche Holdseligkeit auch nur in Gedanken zuzueignen.

Leider wurde seine andächtige Verehrung bald getrübt, als er den Blicken der Terka folgte, die neben Riza kniete, aber ihre Augen oft verstohlen zur Seite wandte und dabei aufgeregt lächelte. Stefan wurde nun ebenfalls unruhig und spähte

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