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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Ihr jetzt vergießen wollt, und das wird nicht geschehen. Ich fordere als Haupt der Familie, als Großvater unbedingten Gehorsam von meinen Enkelsöhnen!“

Sein Ton und seine Haltung hatten etwas so Gebietendes, daß jeder Widerstand unmöglich schien; das alte Familienhaupt der Steinrück wußte sich Gehorsam zu schaffen. In der That widersprach auch keiner der beiden jungen Männer. Raoul stand starr und gänzlich fassungslos, vor dem, was er hörte. „Meine beiden Enkelsöhne!“ und „mein Blut, das in Euch Beiden fließt!“ – das war ja eine Anerkennung in aller Form!

Auch Michael fühlte das, denn es blitzte auf in seinem Auge, aber es war kein freudiger Strahl, der daraus hervorbrach, und seine Haltung wurde nur noch unbeugsamer, doch er schwieg.

„Raoul ist der Schuldige, er gesteht, es selbst zu,“ nahm Steinrück wieder das Wort. „In seinem Namen erkläre ich Dir, Michael, daß er jede etwa gefallene Beleidigung zurücknimmt; dagegen wirst Du die schroffe Haltung aufgeben, die auch eine Art von Herausforderung ist. Genügt Dir das?“

„Wenn Graf Raoul es mir bestätigt – ja.“

„Das wird er thun – Raoul!“

Der junge Graf antwortete nicht. Er stand da, mit zusammengebissenen Zähnen, die Hand geballt, und schleuderte einen Blick des tiefsten Hasses auf seinen Gegner. Er war augenscheinlich entschlossen, dem Großvater Trotz zu bieten.

„Nun?“ fragte dieser nach einer Pause. „Ich warte.“

„Nein – ich will nicht!“ sagte Raoul aufbrausend, aber jetzt trat der General dicht vor ihn hin, das Auge fest auf ihn geheftet.

„Du mußt wollen, denn Du bist im Unrecht! Wäre Michael der Beleidiger gewesen, so würde ich das Gleiche von ihm verlangen, und er würde gehorchen; da Du es warst, so ist es an Dir, nachzugeben. Ich verlange nur ein einfaches Ja, nichts weiter. Wirst Du meine Worte bestätigen oder nicht?“

Raoul machte noch einen letzten Versuch, seinen Trotz zu behaupten, aber jene flammenden Augen schienen ihn förmlich zu bannen. Es war das Einzige, womit ihn der Großvater überhaupt zwingen konnte, aber er zwang ihn in der That damit. Noch einige Sekunden vergingen, dann preßte der junge Graf das verlangte Ja heraus, halb erstickt und fast unverständlich, aber es war gesprochen.

Michael neigte das Haupt.

„Ich ziehe meine Forderung zurück – die Sache ist erledigt.“

Steinrück athmete tief auf. Er war doch nicht ganz so eisern, als er sich zeigte. Dies Aufathmen verrieth, was er ausgestanden hatte bei dem Gedanken, seine beiden Enkel könnten sich wirklich auf Tod und Leben gegenüberstehen.

„Und nun reicht Euch die Hände,“ fuhr er in milderem Tone fort, „und erinnert Euch künftig daran, daß Ihr eines Stammes seid, wenn das auch nach wie vor der Welt ein Geheimniß bleiben muß.“

Jetzt aber war Raoul’s Gehorsam zu Ende; mit einem Ausdruck offener Feindseligkeit wandte er sich ab, doch auch Michael trat zurück.

„Ich bitte um Verzeihung, Excellenz, aber in diesem Punkte werden Sie uns wohl volle Freiheit lassen müssen,“ sagte er kalt. „Der Graf ist nicht zur Versöhnung geneigt, wie ich sehe, ich bin es auch nicht. Ich gebe ihm mein Wort darauf, daß ich keinen Anlaß zu einer Erneuerung des Streites geben werde – die verwandtschaftlichen Beziehungen lehnen wir wohl Beide mit der gleichen Entschiedenheit ab.“

„Weßhalb? Ist Dir meine Anerkennung noch nicht genug?“ fuhr Steinrück gereizt auf.

„Eine Anerkennung, die nur der Nothfall, die Furcht vor einem öffentlichen Skandal erzwang, die geheim bleiben soll, weil man sich ihrer vor der Welt schämt – nein, diese genügt mir nicht! Graf Raoul hat sein Lebelang die Liebe des Großvaters genossen; er kann sich auch seinem Befehle beugen; ich war von jeher der Ausgestoßene, Verleugnete; in jeder Stunde meines Lebens habe ich es fühlen müssen, daß die Steinrück mich als unebenbürtig betrachten und mich aus ihrem Kreise bannen, wie sie das noch heute thun. Hier an dieser Stelle haben Sie es mir erklärt, daß unsere Blutsverwandtschaft für Sie nicht vorhanden ist, und ich gebe Ihnen jetzt das Wort zurück. Ich will nicht heimlich als eine Gnade empfangen, was mein Recht ist vor aller Welt, und wenn Sie mich als Ihren Enkel anerkennen, ich werde Sie nie Großvater nennen – nie! – Und jetzt bitte ich den General Graf Steinrück, mich zu entlassen.“

Er sprach das mit voller Selbstbeherrschung; aber seine Stimme hatte einen Klang, daß Raoul überrascht und betroffen aufblickte, denn er glaubte seinen Großvater zu hören. Die Aehnlichkeit war in der That noch nie so deutlich hervorgetreten wie jetzt, wo die Beiden sich hochaufgerichtet gegenüberstanden. Der Blick, die Haltung, Alles zeugte von der eben verleugneten Blutsverwandtschaft, und auch die unbeugsame Härte zeugte davon, die der Enkel von seinem Großvater geerbt hatte. Er war dessen verjüngtes Ebenbild.

„So geh’!“ sagte der General herb und stolz. „Du willst nur den Vorgesetzten in mir sehen – Du sollst ihn künftig finden.“

Rodenberg grüßte ihn ünd grüßte auch seinen Vetter, dann ging er. Im Zimmer herrschte noch einige Minuten lang ein drückendes Schweigen, endlich trat Raoul näher.

„Großvater!“

„Was willst Du?“ fragte Steinrück, dessen Auge noch immer auf der Thür haftete, die sich längst hinter Michael geschlossen hatte.

„Ich glaube, Du hast jetzt eine hinreichende Probe von dem Hochmuthe Deines ‚Enkels‘ erhalten,“ der junge Graf sprach das Wort mit dem bittersten Hohne aus. „Es war wirklich großartig, wie er die Anerkennung zurückstieß, die Du ihm botest, und uns die Blutsverwandtschaft förmlich vor die Füße warf. Und vor dem Manne hast Du mich zu einer Demüthigung gezwungen!“

„Ja, dieser Michael ist wie von Eisen!“ murmelte Steinrück zwischen den Zähnen. „Der ist nicht zu zwingen, weder mit Güte noch mit Gewalt.“

„Und dabei gleicht er Dir zum Sprechen,“ fuhr Raoul fort, der in seiner Erbitterung und Gereiztheit gegen den Großvater die Gelegenheit nicht Vorbeigehen lassen wollte, ihn nun auch zu kränken. „Ich habe es früher nie bemerkt, aber vorhin, als er Dir gegenüberstand, war die Aehnlichkeit fast erschreckend.“

Der General wandte langsam das Auge von der Thür ab und richtete es auf seinen Enkel, aber es war ein räthselhafter Ausdruck darin.

„Hast Du das auch gefunden? – Ich wußte es längst!“

Raoul wußte sich diese Ruhe nicht zu deuten, er hatte eine zornige Abwehr, ein entschiedenes Verleugnen jener Aehnlichkeit erwartet. Der Graf bemerkte seinen erstaunten Blick, und rasch abbrechend sagte er in der alten, befehlenden Weise:

„Gleichviel! Der Streit zwischen Euch ist nunmehr ausgeglichen, und ich denke, auch Du wirst keine Lust haben, ihn wieder zu erneuern. Vermeidet Euch künftig, das wird Euch nicht schwer werden, und nun laß mich allein!“

Raoul ging, aber mit kochendem Grimm im Herzen. Wenn er bisher gegen Michael nur hochmüthige Abneigung empfunden hatte, so haßte er ihn jetzt mit der ganzen Gewalt seiner leidenschaftlichen Natur. Vielleicht hätte General Steinrück doch besser gethan, ihm jene Demüthigung nicht aufzuerlegen. Er hatte, damit das Tischtuch zwischen den beiden Vettern zerschnitten; das konnte nicht vergessen werden.

(Fortsetzung folgt.)

„Gretchen weint“.

Bilder aus der Kinderstube.0 Von Dr. Gustav Klein.

Nein, länger halte ich das Geschrei nicht mehr aus!“ ruft der Herr Buchhalter in höchster Erregung, nimmt den Hut und eilt fort, während seine junge Frau trüben Blickes mit dem schreienden Liebling allein bleibt. Wie hatte sie sich gefreut, mit ihm heute Abend zu besprechen, was sie wohl ihrem kleinen Blondköpfchen zur Weihnacht bescheren wollten! Aber bevor noch das Abendbrot aufgetragen worden war, hatte Gretchen schon durch einzelne Schreiversuche sein Mißbehagen kundgegeben und trotz der zärtlichsten beschwichtigenden Liebkosungen endlich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_736.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2022)