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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

seine Leute bei einem Brunnen rasten ließ. Die erschöpften Briganten liefen auf das Wasser zu, ohne die schnell zusammengeduckten Soldaten zu gewahren, und wurden wehrlos festgenommen. Die nachrückende Kompagnie begegnete gleich darauf dem gefesselten Trupp und hatte nichts mehr zu thun, als dem Sergeanten zu seinem glücklichen Fang und der leichterworbenen Medaille zu gratulieren.

„Es ist jammerschade,“ unterbrach sich der Kapitän von Zeit zu Zeit, „daß Niemand diese Ereignisse noch unmittelbar unter dem frischen Eindruck aufgezeichnet hat. Soll ich Ihnen die Geschichte von Franz Moor erzählen?

In dem Städtchen Giffone im Salernitanischen lebte der alte Gutsbesitzer M., einer der reichsten Männer des Landes, mit seinen beiden Neffen, den Söhnen seiner Schwester, die außer ihrem eigenen sehr bedeutenden Vermögen nach seinem Tode eine ungeheure Erbschaft zu gewärtigen hatten. Da geschah es, daß ein junges Bauernmädchen von ungewöhnlicher Schönheit im Haus Dienste nahm. In dem Alten erwachte bei ihrem Anblick eine jener unwiderstehlichen Leidenschaften, die aller Vernunft spotten: er warb um die Schöne und fand Gehör. Ein Sohn war die Frucht dieser Verbindung, und der nicht mehr erhoffte Segen hob den alten Mann auf den Gipfel der Seligkeit. Wie verjüngt von Glück ging er umher; er überhäufte die junge Mutter mit allen Kostbarkeiten und setzte den Knaben zum Universalerben seines unermeßlichen Besitzes ein, indem er jedem seiner Neffen ein ansehnliches Legat sicherte. Aber die Beiden waren nicht gesonnen, des fetten Bissens verlustig zu gehen: eines Tages, als der Kleine die ersten Gehversuche machte, fiel er in einen Kessel siedenden Wassers und kam jämmerlich ums Leben. Der alte M. war in Verzweiflung, und kaum vermochte er sich an der verdoppelten Liebe und Aufmerksamkeit seiner Neffen etwas aufzurichten. Jedoch das Jahr darauf wurde ihm zum Ersatz für den verlorenen ein zweiter Sohn geboren.

Der Schwarzensee.
Nach einer Photographie gezeichnet von R. Püttner.

Nun wurde die Lage für die Neffen schwierig; der siedende Kessel war nicht zum zweiten Male in Anwendung zu bringen, und auf welche Weise auch der Knabe verschwunden wäre, immer wäre der Verdacht der Staatsanwaltschaft wachgerufen worden. So ersannen sie einen andern Ausweg. Sie setzten sich mit dein Bandenführer Mauzi, der gerade damals das Salernitanische unsicher machte, in Verbindung und veranlaßten ihn, den Alten selber wegzufangen.

Eines schönen Sommerabends brach Manzi mit den Seinigen in Giffone ein und nahm den alten M. im Tabakladen, der zugleich Kaffeehaus war, fest. Die Neffen waren nicht zugegen, und keine Hand rührte sich zu seiner Vertheidigung. Ja, sobald die Briganten mit ihm auf freiem Felde waren, lief das Landvolk, das immer und überall mit den Räubern gegen den Gutsherrn Partei nahm, zusammen, klatschte Beifall und ließ den Hauptmann Manzi hoch leben. Der arme M. wurde ins Gebirge geschleppt und ein enormes Lösegeld für seine Freilassung verlangt. Die Neffen als Verwalter zahlten die Summe aus und theilten mit den Briganten den Raub. Aber diese hielten den unglücklichen Greis fest, um unter beständigen Drohungen immer neue Summen von ihm zu erpressen; M., in Todesangst, willigte in Alles. Endlich wurden die Behörden benachrichtigt, und unsere Abtheilung erhielt den Befehl, zu marschiren. Wir machten scharfe Jagd und ließen die Briganten nicht mehr zu Athem kommen; von Schlupfwinkel zu Schlupfwinkel wurden sie aufgetrieben, bis sie den gebrechlichen Greis auf ihrer Flucht nicht länger mit sich schleppen konnten. Eines Tages erblickten wir auf einer Anhöhe in geringer Entfernung einen Trupp Bersaglieri mit blinkenden Waffen und wallenden Federbüschen, in ihrer Mitte einen alten Mann in Civil; wir waren jedoch bereits unterrichtet und wußten, wen wir vor uns hatten. Ich ließ meine Leute Feuer geben und stürmte den Hügel; die Bande stob aus einander, und der alte Mann blieb allein zurück, zum

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_732.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)