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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

zu einer Kindtaufe gegangen, und es war ganz still in Haus und Garten. Stefan holte sich einen Krug Wein und ein Stück Kukuruzbrot heraus auf den Tisch unter dem Maulbeerbaum und trank, vergaß aber das Essen; denn er war durstig und müde; es war sehr heiß gewesen und noch jetzt warm. Zur andern Seite der Gartenbank stand ein Fliederbusch, der duftete süß und einschläfernd; eine wonnige Traurigkeit beschlich zum ersten Mal in seinem Leben den jungen Burschen, und dabei pochte sein Herz in unbestimmtem Sehnen. Auf der andern Seite des Gartenzauns sang eine junge, süße Stimme leise ein schwermüthiges Liebeslied. Sonst war Alles ganz still. Die sanften Töne kamen herübergeschwommen, wie der Duft des Flieders hinüberzog. Das mußte der junge Bursch denken, und daß jenseit des Zauns die Sängerin den Flieder nicht blühen sehen konnte, dessen Duft sie athmete, wie er diesseits nur die Töne hörte, ohne die Sängerin zu sehen. Und es kam eine starke Sehnsucht über ihn, mit dem unsichtbaren Wesen da drüben, welches jung war wie er, das unbestimmte Etwas zu theilen, das ihn mit so seliger Unruhe erfüllte.

Er pflückte einen großen Strauß von dem Flieder; dabei fiel sein Blick auf einen Strauch jener frühen weißen Rosen mit leichtem rothen Anhauch, welche man dort „Jungfernrosen“ nennt. Seine Blumen hatten am Morgen noch alle in der Knospe gesteckt; jetzt blühte er über und über. Da brach Stefan die schönsten Rosen ab und steckte sie sammt dem Flieder in seine weiten Hosentaschen; dann klomm er eilig, als hätte er ein Versäumniß nachzuholen, auf den Maulbeerbaum und schaute hinunter in den Nachbargarten. Drin saß auf ihrem Lehnstuhl die Großmutter und schlief, und neben ihr, auf der Bank, saß die blonde Riza, hatte die Hände in den Schoß gelegt und sang mit halb geöffneten Lippen wie ein träumendes Vögelchen. Doch saß sie so dicht am Zaun, daß Stefan ihr gerade auf den Kopf sah und folglich nichts mehr erblickte, als ihr gelbblondes Haar, das in zwei starken Zöpfen über die Schulter herabhing. Weil ihn aber eine sonderbare Ungeduld plagte, in ihr Gesicht und namentlich ihre Augen zu sehen, so zog er ein paar Rosen aus der Tasche und ließ sie hinabfallen. Sie sanken auf Riza’s Köpfchen; die griff danach und betrachtete sie mit bewunderndem und mitleidigem Ausruf: „Die schönen Rosen! Und so kurz am Kelch ohne Stengel abgepflückt!“

Dabei sah sie in die Höhe und lachte.

„Hast Du noch mehr?“ fragte sie.

„Ja,“ rief er hinunter, „darf ich sie Dir bringen?“

„Warum nicht? Wenn Du artig sein und die Großmutter nicht aufwecken willst,“ lachte sie hinauf.

Mit einem Satz sprang Stefan in den Garten, und die Großmutter mußte wahrlich einen festen Schlaf haben, daß sie von dem Geräusch des Sprunges und Riza’s Schrei nicht erwachte.

„Jesus Maria!“ sagte der Blondkopf halb lachend, halb vorwurfsvoll, „Du bist noch immer der Alte, Stefan! Konntest Du nicht zur Thür hereinkommen? Mußt vom Himmel fallen wie ein Unwetter?“

Dabei ließ sie die Augen über ihn schweifen und sagte:

„Wie groß Du geworden bist! Du bist ja ein Mann!“

Er aber stand und sah sie an; denn er meinte, noch nie so etwas Schönes gesehen zu haben, wie sie mit ihren welligen goldenen Haaren, den lachenden, goldbraunen Augen und dem weißen Gesichtchen, in welchem bei dem kleinsten Lächeln Grübchen in Wange und Kinn erschienen. Er war völlig verwirrt und wußte nichts zu sagen, sondern kramte nur Flieder und Rosen aus den Taschen auf den Gartentisch, und Riza, die, im Herzen noch völlig Kind, ganz unbefangen war, schlug ein über das andere Mal die Händchen zusammen, bald aus Freude über die Fülle der schönen Blumen, bald aus Entrüstung über den grausam zerdrückten Zustand derselben. Doch suchte sie sich die schönsten Rosen heraus, wand sich davon einen Kranz und setzte ihn sich aufs Blondhaar, unter dem ihr Gesichtchen unglaublich lieblich hervorlachte, so daß Stefan den Athem anhielt, als könne der das schöne Bild fortblasen.

Weil nun die Beiden so völlig mit einander beschäftigW waren, hörten sie nicht drüben im Hause die Thür klappen, welchen nach der Straße führte und sehr selten benutzt wurde; denn man hatte sich daran gewöhnt, durch den Hof zu gehen, in welchem sich im Sommer das häusliche Leben abspann, und von welchemn eine Thür ins Feld, eine gegenüberliegende auf die Straße führte. Diesmal aber war Terka zufällig durch die Hausthür ins Haus und von da ans Fenster getreten und hatte den unerwarteten Anblick des Feindessohnes, der ganz still, aber – der Terka argwöhnischem Blick blieb das nicht verborgen – auch ganz verliebt ihr einziges, schönes, für ein großes Glück bestimmtes Kind anstarrte. Freilich belehrte ein zweiter Blick die Terka, daß dieses Kind noch völlig unbefangen sei; indeß – das Dirnlein war fast eine Jungfrau, und die Rosen brechen über Nacht auf.

(Fortsetzung folgt.)

Im deutschen Böhmerwalde.

Reiseskizzen von Karl Pröll.0 Mit Originalzeichnungen von R. Püttner.
III.

Die Stadt Prachatitz, am Fuße des 1100 Meter hohen, schönbewaldeten Libin gelegen, ist das mittelalterliche Schatzkästlein des Böhmerwaldes. In den erhaltenen Baudenkmälern und dem malerischen Schmucke vieler Häuser zeigt sich der Abglanz früherer Tage des Reichthums und der Fülle, welche längst dahin geschwunden. Einst war Prachatitz die Hauptstadt des Handels im südwestlichen Böhmen, und auf dem „güldnen Steige“, dem berühmten Handelsweg nach Passau, flossen ihm Macht und Ansehen zu. Heute suchen die Tschechen die Stadt zu erobern. Die Beseda, die tschechische Privatschule ist bereits vorhanden, und etwa ein Viertel der 4000 Bewohner giebt die letzte Volkszählung als Tschechen an. Denselben Erscheinungen begegnet man in den anderen Städten an der seit hundert Jahren ohnedies stark zurückgeschobenen Sprachgrenze, in Winterberg, Bergreichenstein. Der „deutsche Böhmerwaldbund“ hat seine Bestrebungen am besten gekennzeichnet, als er die erste Generalversammlung im September v. J. in dem schwer bedrohten Prachatitz abhielt.

Unsere Illustrationen (S. 729) veranschaulichen: eine Partie des alten Stadtwalles und die denselben flankirenden Thürme; das zinnengekrönte, kastellartige, große Stadt- oder Piseker-Thor, auf dessen Außenfront das vor wenigen Jahren restaurirte riesige Reiterwappen der Rosenberg, der früheren Schutzherren der Stadt, in lebhaften Farben prangt; endlich das aus dem 16. Jahrhundert stammende alte Gemeindebrauhaus mit vorspringenden Arkaden und Sgraffito-Malereien, welche an der Breitseite eine kühn komponirte figurenreiche Römerschlacht, an der Eckseite ein mittelalterliches Zeltlager, zwischen den Fenstern Landsknechtsfiguren in derbem Holzschnittstile darstellen. Im Hintergrunde der zwei letzten Ansichten erblickt man den pavillonartigen Aufsatz, womit man einen der Thürme verunziert hat, welche zu der schönen spätgothischen Stadtkirche Sankt Jakob gehören. In der alten Sakristei sind die eisernen Fenstergitter verbogen. Hier ließ Ziska nach Erstürmung der Stadt am 12. November 1420 neunzig gefangene deutsche Bürger durch Pechkränze verbrennen. Zweihundert Jahre später (28. September 1620) richtete der Sieger vom „Weißen Berge“, Graf Buquoy, ein Blutbad unter den Anhängern Friedrich’s von der Pfalz an, dem 1800 Menschen zum Opfer fielen. Noch von verschiedenen anderen Gräueln, welche finsterem Religionshasse entsprangen, erzählt die Chronik der ihrer einstigen Herrlichkeit beraubten Stadt, die uns als ein verfallenes Klein-Nürnberg erschien.

Auf der Fahrt von Prachatitz nach Winterberg kommt man in einschneidendes tschechisches Sprachgebiet und sieht im Markte Hussinetz das Geburtshaus des bitter gerächten Reformators Johannes Huß, der neben dem reinen Glauben leider auch den, Deutschenhaß predigte. Winterberg ist ein schöngelegenes Bergstädtchen mit einem Schlosse der Schwarzenberg, in deren ungeheuren Besitzungen ich mich seit Krumau fast immer befand. Die nationalen Verhältnisse sind hier denjenigen in Prachatitz gleich; die slawische Propaganda sucht sich auch dieses Sitzes der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_728.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2022)