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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

ihr eigen war, und spielte nachlässig mit dem Fächer – eine äußerst pikante Erscheinung, die durch die geschmackvollste Toilette noch mehr gehoben wurde. Ihr Lächeln war von bezaubernder Anmuth, und das Aufsprühen der dunklen Augen hatte einen fast dämonischen Reiz. Leider schien Hauptmann Rodenberg gegen diesen Zauber gänzlich unempfindlich zu sein; so oft die sprühenden Augen den seinigen auch begegneten, sie trafen immer wieder den kalten, forschenden Blick, und Heloise fühlte, daß es kein Blick der Bewunderung war.

Endlich hatten Clermont und Hans ihre Debatte beendigt Und traten wieder heran. Die Unterhaltung wurde noch einige Minuten lang gemeinschaftlich geführt, dann empfahlen sich die beiden jungen Männer, und Henri nahm wieder den Platz neben seiner Schwester sein.

„Nun, was ist’s mit diesem Rodenberg?“ fragte er. „Er war sehr einsilbig, so viel ich bemerken konnte. Du sprachst ja fast allein, vermuthlich ein schwerfälliger, pedantischer Deutscher.“

Heloise zuckte kaum merklich die Achseln.

„Den Mann gieb auf, Henri, ein für alle Mal. Der ist starr und unzugänglich wie ein Fels.“

Um die Lippen Clermont’s spielte ein halb spöttisches, halb verächtliches Lächeln.

„Unzugänglich ist Niemand; man muß nur die rechte Seite zu finden wissen, und gerade die Schroffsten sind am leichtesten zu nehmen.“

„Diesmal könntest Du Dich doch täuschen. Dieser Rodenberg hat etwas in der Haltung und in den Zügen, was mich unwillkürlich an den General Steinrück erinnert. Es ist dasselbe Eiserne, Unerbittliche, derselbe kalte, stahlharte Blick, wie bei dem alten Grafen – mir ist er unerträglich!“

„Mir ist er wichtig!“ sagte Henri trocken. „Hast Du ihn eingeladen?“

„Nein, und er würde auch schwerlich kommen; es müßte denn sein, um zu beobachten, wie er während der ganzen Unterredung beobachtet hat. Ich habe nicht Lust, diesen Augen noch einmal Rede zu stehen. Nimm Dich in Acht vor ihnen, Henri!“

Clermont schien kein besonderes Gewicht auf diese Warnung zu legen, denn er sah, daß Heloise übler Laune war, und kannte auch den Grund davon. Sie ertrug es nun einmal nicht, durch irgend Jemand in Schatten gestellt zu werden, und am heutigen Abende erblich jedes andere Gestirn vor der strahlenden Sonne, die Alles in ihren Bannkreis zog. Gräfin Hertha Steinrück feierte Triumphe, die selbst die verwöhnteste Eitelkeit befriedigen mußten. Wo sie nur erschien, umdrängte man sie von allen Seiten; wohin sie sich wandte, folgten ihr die bewundernden Blicke, und sie nahm die Huldigungen, die man ihr verschwenderisch zu Füßen legte, in der That wie eine Fürstin hin, gnädig, aber höchst souverän.

Raoul befand sich fast unausgesetzt an der Seite seiner Braut. Es schien ihm heut doch voll und ganz zum Bewußtsein zu kommen, wie hoch der Preis war, den er mühelos gewonnen, und die alte Neigung, die schon seit den Knabenjahren in ihm wurzelte, flammte wieder hell auf. Es war einer jener Wendepunkte, wo es in Hertha’s Hand lag, ihn zurückzugewinnen. Ein warmer Blick aus ihren Augen, ein herzliches Wort aus ihrem Munde hätte ihn vielleicht jenen gefährlichen Banden entrissen und eine Brücke über die Kluft geschlagen, die sich mit jedem Tage weiter zwischen ihnen öffnete. Aber auch heute lag wieder in ihrem Wesen jene für Fremde unmerkliche, eisige Abwehr, die ihn bis in das Innerste verletzte und erkältete und seinen ganzen Trotz wach rief.

Augenblicklich befand sich die junge Gräfin nicht im Saale, sondern im Zimmer der Frau von Reval. Sie war, wie alle bei der Vorstellung Mitwirkenden, im Kostüm geblieben, und der Schleier, der von ihrem Haupte niederfloß, hatte sich gelöst. Er mußte von Neuem befestigt werden, wobei ihr die Jungfer der Frau vom Hause hilfreiche Hand leistete. Die Sache war bald wieder in Ordnung gebracht und das Mädchen entlassen, aber Hertha, anstatt in die Gesellschaft zurückzukehren, saß noch im Armsessel und blickte träumend vor sich hin.

Die Wohnzimmer lagen auf der andern Seite des Hauses, getrennt von den Gesellschaftsräumen, und wurden heute nicht benutzt; sie waren nur matt erleuchtet, eine stille, angenehme Zuflucht für Jemand, der sich auf einige Minuten der Hitze und dem Gewühl entziehen wollte, und die junge Gräfin schien in der That ermüdet zu sein, ermüdet von Triumphen und Huldigungen.

Der heutige Abend war ja nur ein einziger fortgesetzter Triumph für sie gewesen, sie beugten sich Alle der siegreichen Macht ihrer Schönheit, Alle – bis auf Einen! Nur Einer wagte es, ihr zu trotzen; nur der allein behielt mitten im Sturme der Leidenschaft Kraft und Besinnung genug, das Netz zu zerreißen und sich „freie Bahn“ zu schaffen. War er doch auch heute so fremd und kalt an sie herangetreten, hatte so artig und eisig mit ihr gesprochen, als sei jene Stunde von Sankt Michael für ihn ausgelöscht und vergessen.

Um so lebhafter stand sie in Hertha’s Erinnerung. Der Zorn wallte noch immer heiß in ihr auf, wenn sie daran dachte, daß jener Mann es gewagt hatte, ihr ins Gesicht zu sagen, daß er sie für eine Kokette halte, daß er die Liebe zu ihr als etwas Unwürdiges aus seinem Herzen reißen werde. Aber mitten in der Empörung darüber erhob sich eine Stimme, die ihr zuflüsterte, daß er Recht gehabt! Ja, sie hatte ein rücksichtsloses Spiel mit ihm getrieben. Es war der Uebermuth einer vom Glück verwöhnten, von einer schwachen Mutter zur schrankenlosen Willkür erzogenen Natur, die es nur zu früh gelernt hatte, die Huldigungen der Männerwelt zu verachten oder mit ihnen zu spielen. Freilich, damals war sie noch frei gewesen! Das stolze, eigenwillige Mädchen erkannte jenen Familienbeschluß, der über ihre Hand verfügte, nicht als eine Fessel an; es stand ja bei ihr, Nein zu sagen, wenn die Entscheidung an sie herantrat. Statt dessen hatte sie Raoul ihr Jawort gegeben, freiwillig, ohne Zwang, allerdings auch ohne Liebe! Aber gab es denn überhaupt eine Liebe? Hatte sie es nicht selbst gesehen, daß eine große, glühende Leidenschaft, welche die ganze Seele eines Mannes auszufüllen schien, sterben und vergehen konnte in wenig Monaten?

Das Oeffnen der Thür des Nebenzimmers und nahende Schritte weckten Hertha aus ihrer Träumerei und mahnten sie, daß es Zeit sei, zu der Gesellschaft zurückzukehren. Sie wollte sich erheben, als eine Stimme, die nebenan ertönte, sie an ihren Platz fesselte.

„Hier sind wir ungestört! Ich werde Sie nur wenige Minuten in Anspruch nehmen, Graf Steinrück.“

„Sie wünschten mich allein zu sprechen, Hauptmann Rodenberg, ich stehe Ihnen zu Diensten,“ ließ sich jetzt auch Raoul’s Stimme vernehmen.

Hertha konnte die Eingetretenen nicht sehen und auch von ihnen nicht gesehen werden, aber sie lauschte betroffen. Was sie hörte, klang seltsam schroff und feindselig.

Jm Nebenzimmer standen sich in der That die beiden jungen Männer gegenüber mit einer Feindseligkeit, die keiner mehr zu verbergen sich bemühte, aber Raoul war erregt und gereizt, Michael kalt und ruhig, und das gab ihm von vorn herein eine Überlegenheit.

„Es handelt sich nur um eine Frage,“ nahm er wieder das Wort. „War es Zufall oder Absicht, daß Sie mich vorhin, als Sie mit meinem Freunde sprachen, so vollständig – übersahen?“

Um die Lippen des jungen Grafen spielte ein sehr verletzendes Lächeln, und noch verletzender war sein Ton, als er fragte: „Legen Sie so großen Werth darauf, von mir bemerkt zu werden?“

„Nicht den mindesten! Ich geize überhaupt nicht nach der Ehre, mit Ihnen bekannt zu sein. Da wir uns aber nun doch einmal kennen, so fordere ich, daß Sie mir gegenüber die Formen der guten Gesellschaft beobachten, die Ihnen allerdings nicht geläufig zu sein scheinen.“

„Herr Hauptmann Rodenberg!“ fuhr Raoul drohend auf.

„Herr Graf Steinrück?“ klang es eisig zurück.

„Sie scheinen mich zwingen zu wollen, von Beziehungen Notiz zu nehmen, die nun einmal für mich nicht vorhanden sind. Auf diese Weise werden Sie nichts erreichen.“

Michael zuckte verächtlich die Achseln.

„Ich glaube hinreichend gezeigt zu haben, welchen Werth ich auf die Beziehungen zu der gräflich Steinrück’schen Familie lege. Fragen Sie den General danach: er wird es Ihnen bestätigen. Aber ich bin nicht gesonnen, noch länger ein Benehmen zu dulden, das von Anfang an darauf berechnet war, mich zu beleidigen. Werden Sie dies Benehmen in Zukunft ändern? Ja oder Nein?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_718.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)