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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Sankt Michael.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Hans Wehlau, der an jenem Abende klüglich die Nähe seines Vaters mied, hatte sich Michael’s bemächtigt und hörte mit augenscheinlichem Interesse einem kurzen Bericht desselben zu.

„Du hast sie also gesehen und gesprochen?“ fragte er gespannt.

„Gesehen – ja, gesprochen – nein. Die Gräfin stellte mich allerdings dem Fräulein von Eberstein vor, aber ich erhielt keine Antwort auf meine Anrede, nur einen ganz unglaublichen Knix. Es ist ja fast noch ein Kind und viel zu jung, um schon in die Gesellschaft geführt zu werden.“

„Mit sechzehn Jahren ist ein junges Mädchen kein Kind mehr,“ sagte Hans ärgerlich. „Wie hat sie Dir denn sonst gefallen?“

„Es ist ein sehr liebliches Gesichtchen. Von den Augen habe ich allerdings nichts gesehen, da sie hartnäckig gesenkt blieben, und es war auch nicht möglich, Rede und Antwort zu erhalten. Das kleine Burgfräulein, wie Du sie nennst, scheint doch etwas beschränkter Natur zu sein.“

Der junge Künstler sah seinen Freund mit einem Blick der tiefsten Verachtung an.

„Michael, an Deinem Geschmack habe ich stets gezweifelt; jetzt zweifle ich auch an Deiner Urtheilskraft. Beschränkt! Ich sage Dir, Gerlinde von Eberstein ist klüger als die Anderen all’ zusammen.“

„Das ist eine etwas gewagte Behauptung,“ sagte Michael trocken. „Du nimmst es ja gewaltig übel, wenn man ein Wort gegen die junge Dame sagt. Hast Du wieder einmal Feuer gefangen? Zum wievielten Male?“

„Davon ist diesmal gar keine Rede, mein Interesse an diesem holden kindlichen Geschöpf ist ein ganz selbstloses.“

„So?“

„Michael, ich verbitte mir dies spöttische: So?“ erklärte Hans gereizt. „Aber ich vergesse ganz, Dich Frau von Nérac vorzustellen, Clermont hat mich ausdrücklich darum ersucht.“

„Clermont? Ah so, der junge Franzose, dessen Haus Du öfter besuchst! Du wolltest mich ja auch einmal veranlassen, mitzugehen.“

„Und Du schlugst es mir ab, wie gewöhnlich.“

„Weil ich weder Zeit noch Neigung zu einer so ausgebreiteten Bekanntschaft habe, zumal in diesem Winter. Mit Dir ist das etwas Anderes, Du bist Künstler. Kennst Du diesen Clermont schon längere Zeit?“

„Nein, ich lernte ihn erst im Laufe des Winters kennen und wurde mit großer Liebenswürdigkeit eingeladen. Er und seine Schwester haben mich auch schon einige Male ersucht, Dich mitzubringen.“

Rodenberg stutzte bei den letzten Worten.

„Mich? Das ist seltsam; sie kennen mich ja gar nicht.“

„Gleichviel, es wird wohl Höflichkeit gewesen sein. Jedenfalls wirst Du in der jungen Wittwe eine interessante Frau kennen lernen, vielleicht auch eine gefährliche Frau.“

„Wirklich?“ Die Frage klang sehr gleichgültig.

„Nun, selbstverständlich nicht für Dich,“ spottete Hans. „Deine Eisnatur hält ja sogar der schönen Gräfin Steinrück Stand, ohne zu schmelzen, und Heloise von Nérac ist nicht einmal schön; trotzdem könnte sie ihr den Rang ablaufen an einer Stelle, die selbst die stolze Hertha empfindlich verletzen würde. Ich sprach Dir doch einmal die Vermuthung aus, daß Graf Raoul in ganz anderen Banden liege, als in denen seiner Braut – er ist ein täglicher Gast im Clermont’schen Hause.“

„Und Du glaubst, daß Frau von Nérac Antheil daran hat?“ fragte Michael plötzlich aufmerksam werdend

„Sehr wahrscheinlich. Jedenfalls macht der Graf ihr mehr den Hof, als es sich mit seinen Bräutigamspflichten verträgt. Wie weit die Sache geht, kann ich natürlich nicht – still, da ist er selbst!“

Raoul kreuzte in der That soeben ihren Weg, er kannte Hans Wehlau nur oberflächlich, trotzdem blieb er jetzt stehen und begrüßte ihn in der verbindlichsten Weise. Es sah fast aus wie eine Demonstration, denn während er angelegentlich mit dem jungen Künstler sprach und ihm Komplimente über die so äußerst gelungene Vorstellung machte, ignorirte er den Hauptmann Rodenberg, der dicht daneben stand, so andauernd und beharrlich, daß die Absicht unverkennbar war. Michael betheiligte sich mit keiner Silbe an dem Gespräche und schien ganz ruhig zuzuhören, aber er sah dem Grafen, als dieser sich, endlich entfernte, mit einem Blicke nach, der Hans veranlaßte, rasch, wie in erwachender Besorgniß, die Hand auf seinen Arm zu legen.

„Du wirst dieser Unart doch keine Wichtigkeit beilegen?“ fragte er, während sie weiter gingen. „Zwischen Dir und den Steinrück herrscht ja nun einmal Feindschaft –“

„Die hier einen sehr kindischen Ausdruck fand,“ ergänzte Michael. „Graf Raoul müßte es doch nun nachgerade wissen, daß ich mir dergleichen nicht bieten lasse.“

„Was meinst Du?“ fragte Hans unruhig, aber er erhielt keine Antwort, denn sie standen bereits vor Clermont und seiner Schwester und er mußte seinen Freund vorstellen.

Beide empfingen den Hauptmann mit vollendeter Artigkeit, und Henri trat ihm sofort seinen Platz neben Heloise ab, während er selbst Hans in Beschlag nahm. Er stellte über ein Gemälde, das ihnen gegenüber an der Wand hing, eine Behauptung auf, welcher der junge Künstler mit Lebhaftigkeit widersprach, blieb aber hartnäckig bei seiner Meinung, und endlich traten Beide vor das Bild, um dort den Streitpunkt zu entscheiden. Auf diese Weise erhielt Frau von Nérac die Freiheit, sich gänzlich ihrem Nachbar zu widmen, was sie auch mit großer Liebenswürdigkeit that.

Das Gespräch drehte sich anfangs noch um die Gesellschaft, und die junge Frau sagte unbefangen, während sie auf Hertha wies, die wieder den Mittelpunkt eines bewundernden Kreises bildete: „Gräfin Steinrück ist wirklich eine Schönheit ersten Ranges! Allerdings etwas sehr souverän; die ganze Gesellschaft liegt ihr zu Füßen, und sie nimmt das mit der Miene einer Fürstin hin, die den schuldigen Tribut empfängt. Ich bin überzeugt: sie wird auch dem künftigen Gemahl gegenüber ganz Herrscherin sein.“

„Die Frage ist nur, ob der Gemahl sich dieser Herrschaft beugt,“ warf Rodenberg ein.

„Einer schönen und geliebten Frau beugt sich der Mann immer! Sie scheinen freilich sehr unbeugsam zu sein.“

„Vielleicht bin ich nur ruhiger und nüchterner als Andere; denn ich pflege selbst schönen Frauen gegenüber die Besinnung zu behalten. Ich weiß allerdings nicht, wie Graf Steinrück in dieser Hinsicht veranlagt ist. – Sie kennen ihn ja wohl näher, gnädige Frau?“

„Er ist ein Freund meines Bruders, und da sehe ich ihn gleichfalls öfter.“

Die Antwort klang eben so harmlos wie die Frage; aber dabei kreuzten sich die Blicke der Beiden, der eine kühl beobachtend, der andere aufblitzend, wie im erwachenden Mißtrauen. Das dauerte freilich nur einen Augenblick, dann lächelte Heloise und ging mit einer leichten Wendung auf andere Dinge über.

Sie sprach viel und lebhaft, während Michael, der zwar kein elegantes, aber ein fließendes Französisch sprach, sich mehr auf das Zuhören beschränkte. Es war ein heiteres, zwangloses Geplauder, das alle möglichen Gegenstände berührte und bei keinem verweilte, aber trotzdem zu fesseln wußte. Politik, Tagesneuigkeiten, Kunst und Gesellschaft: das Alles wurde nur wie im Fluge gestreift, aber es waren sehr originelle Streiflichter, die darauf fielen, ein Blitzen und Sprühen von Gedanken und Bemerkungen, das etwas Blendendes hatte. Frau von Nérac war offenbar eine Meisterin in der Unterhaltungskunst.

Rodenberg hatte es auf den ersten Blick bemerkt, daß sie nicht schön war, aber nach fünf Minuten hatte er bereits begriffen, daß diese Frau der Schönheit nicht bedurfte, um gefährlich zu sein; schon in ihrer bloßen Nähe lag etwas Bestrickendes. Sie lehnte in ihrem Sessel mit jener unnachahmlichen Grazie, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_716.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2022)