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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Er hätte sich dabei zu meiner Mütter gewandt, über deren ernstes Gesicht der flüchtige Schimmer eines höflichen Lächelns flog.

„In der That!“ sagte sie.

„In der That!“ rief der, Herzog. „Sie müssen nämlich wissen, gnädige Frau, daß ich die kleinen lyrischen Allotria, mit denen ich, Wie’ Sie sich vielleicht erinnern, meine paar müßigen Stunden zu vertreiben pflege, habe zusammendrucken lassen – in usum Delphini! Will sagen: um unserem jungen Freunde Gelegenheit zu geben, das kritische Richteramt, welches ich so oft mit freundlicher Grausamkeit gegen ihn übte, auch einmal gegen mich in Anwendung bringen zu können. Ich versichere Sie, daß ich meinen Zweck vollkommen erreichte und er mir darob eine Lektion ertheilte, die ich natürlich mit dem.Stirnrunzeln der gekränkten Dichtereitelkeit entgegennahm – wahrlich ein Triumph mimischer Kunst in Anbetracht der herzlichen Freude, die ich empfand, ihn als Kritiker so brav zu finden wie als Dichter. Erinnern Sie sich, Lothar?“

„Wie könnte ich es vergessen haben, Hoheit!“ murmelte ich.

„Die kleine Scene spielte sogar hier in diesem Zimmer,“ fuhr er fort, „das damit zu den gemeinschaftlichen Erinnerungen, welche mir mit Ihrer Frau Mutter auszutauschen vergönnt war, eine weitere hinzugefügt hat.“

Seine Stimme hatte bei dem letzten Worte wieder den erregten Klang von vorhin; ich wußte, daß er jetzt in sein wirkliches Thema eingetreten war.

„Es ist mir ein wahrer Schmerz gewesen,“ fuhr er fort, in demselben Tone, der vergeblich nach Sicherheit rang, „daß gerade diese Erinnerung für Ihre Frau Mutter keine erfreuliche war und sein konnte. Ich gestehe, ich wußte das zum Voraus. Aber es war mir ein Herzensbedürfniß, Ihrer Frau Mutter gerade an dieser Stelle noch einmal zu danken für den Sonnenschein, welchen ihre Freundschaft in das Leben eines einsamen glücklosen Mannes gebracht hat; ihr zu sagen, daß ich auf diese Freundschaft stolz war und bin und immer sein werde, hoffend und bittend, sie möge mir dieselbe nimmer entziehen. Es hat Ihrer Frau Mutter nicht gefallen, die Vorschläge zu genehmigen, welche ich ihr vor einiger Zeit unterbreitete, und deren Tendenz wesentlich dahin ging, mir die Abtragung einer alten Schuld zu ermöglichen; Ihnen aber und mir, lieber Lothar, eine Wiederanknüpfung der herzlichen Beziehungen, die einst zwischen uns bestanden, und die ich ebenfalls zu den wenigen Lichtblicken meines Lebens zähle. Ihre Frau Mutter wird mir, nicht zürnen, wenn ich ausspreche, daß die Gründe, welche sie gegen meine Vorschläge geltend gemacht, mich nicht überzeugt haben. Aber Ihre Frau Mutter hat hier zu entscheiden, nicht ich; und ich bescheide mich, wenngleich trauernden Herzens. Müssen wir, die wir das Unglück haben, Fürsten zu sein, uns doch von früh auf bescheiden lernen! Ich hatte Ihre Frau Mutter gebeten, diesen Empfindungen in Ihrer Gegenwart, lieber Lothar, Worte leihen zu dürfen. Indem sie mir die Erlaubniß dazu gewährte, hat sie mir freilich in erster Linie eine Wohlthat erwiesen; aber, ich sollte meinen, auch sich selbst und Ihnen, lieber Lothar – uns Allen eine Stunde bereitet, welche das Geschehene nicht ungeschehen macht, aber uns doch die Kraft giebt, fortan ohne Bitterkeit desselben zu gedenken. Noch einmal, gnädige Frau, ich danke Ihnen!“

Er hatte, sich weit überbeugend, die Hand meiner Mutter ergriffen und an seine Lippen gezogen. Mein Herz krampfte sich zusammen. Wie gut, wie rührend hatte das geklungen! Und doch – fürchterlich, es zu denken! grauenvoll, es sich sagen zu müssen: es waren Worte, Worte – Worte!

Meine Mutter hatte sich erhoben; wir uns mit ihr. Sie war sehr bleich, und während der Herzog nun auch mir zum Abschiede die Hand gab, ruhten ihre schönen Augen auf uns mit einem Ausdruck, der mir durch die Seele schnitt. Es mußte ja sein; aber – mein Gott, sie wäre kein Weib gewesen, wenn sie das entsetzlich Herbe dieser Scheidung für immer nicht grausam empfunden hätte!

Im nächsten Augenblick hatte sie aber auch bereits die volle Herrschaft über sich wieder erlangt.

„Ich habe Hoheit gebeten,“ sagte sie, sich halb zu mir wendend, „uns zu erlauben, die Gastfreundschaft, welche er uns anzubieteu die Güte hatte, ausschlagen und sofort zurückkehren zu dürfen. Der kurze Spaziergang durch den Park nach der Mühle, wo der Wagen uns erwartet, wird uns eben nicht aufhalten. Ich habe Hoheit ersucht, uns diesen kleinen Umweg zu verstatten, um ein paar alte Freunde begrüßen zu können, die es mit Recht schwer empfinden würden, gingen wir scheinbar theilnahmlos an ihnen vorüber.“

Auf eine Bewegung, die sie machte, hatte ihr der Herzog den Arm gereicht und führte sie so über den Marmorboden der mittleren der drei mächtigen Fensterthüren zu. Indem ich ihnen langsam folgte, schweiften meine Blicke unwillkürlich durch das weite Gemach, das ganz wie damals vom letzten Abendschein und von dem Licht der Lampen, welche erst jetzt bei tiefer herabsinkender Dämmerung zu wirken begannen, erfüllt war. Die röthlich blitzenden Reflexe von den Kanten der breiten goldenen Rahmen, die Gesichter bärtiger Männer und schöner Frauen, die aus dem dunklen Hintergründe auf mich herab und mir nachzublicken schienen, als gehörte ich zu ihnen, und sie wollten mich zurückrufen; die hohen Gestalten, die eben noch grau und gleichgültig auf ihren hohen Piedestalen gestanden hatten und jetzt zu gleißen anfingen wie schöne lockende Gespenster – Traum meiner Kindheit, muß ich Dich noch einmal träumen? zum letzten Male? Laß es das letzte Mal sein! Es ist ein schwermüthiger Traum, und wenn ich ihn träume, werden mir die Augen feucht.

Und so durch den Flor, der über meinen Augen hing, sah ich ihn, als er am Fuße der Treppe meiner Mutter noch einmal die Hand geküßt hatte und nun die Stufen wieder hinaufstieg, langsam, vornübergebeugt, als trüge er eine Last, die selbst für seine mächtigen Schultern zu schwer war.

Und ich wußte, die Ahnung täuschte mich nicht: es sollte das letzte Mal sein – ich würde ihn nicht wieder sehen!

Wie Wir dahin gekommen sind – ich weiß es nicht. Aber da ist der dunkle Wasserberg, über den weiße Streifen rinnen, und in welchem Etwas, was noch dunkler ist als er, sich unaufhörlich dreht. Und unter uns weg schießt der wirbelnde, schäumende Schwall so mächtig, daß der Steg, auf dem wir stehen, zittert – der schmale Steg, welcher nur eine an den beiden Enden und einmal in der Mitte gestützte Stange zum Geländer hat, über die man sich nur zu lehnen braucht, um mit ihr hinabzustürzen in den siedenden Schwall.

Und wieder halten mich zwei weiche Arme umschlungen, aber nur, um mich an ein klopfendes Herz zu drücken, aus dem ein Weinen bricht, das die mühsam zurückgehaltene Thränenfluth auch in mir entfesselt.

„Hast Du mir wirklich verziehen?“

„Mutter!“

„Auch was ich in meiner Verblendung an dem guten Mann gethan, der Dir tausendfach den Vater ersetzte, der Dich und mich da hinabstieß?“

„Geliebte Mutter!“

Als wir uns Eines aus des Anderen Armen lösten, schien uns eine lichte Klarheit zu umfließen von dem letzten Sonnengolde, das eben am Horizonte machtvoll erglänzte.

Und Hand in Hand schritten wir den beiden alten Leuten entgegen, die einst die Mutter mit ihrem Kinde gerettet hatten und in bescheideiter Entfernung, dort am Mühlsteg, der Freunde harrten.

13.

„Ich konnte es Dir gestern nicht sagen. Ich wußte, wie hart es Dich treffen würde, und Du mußtest stark sein. Er würde sich Deine gerötheten Augen anders gedeutet haben; ich gönnte ihm den Triumph nicht, Adieu, lieber Junge! Schäm Dich Deiner Thränen nicht! Aber dann: Kopf in die Höhe und dem Leben muthig die Stirn geboten! Wer weiß, auf welche Proben es uns noch stellt! Ich hoffe, daß ich morgen Abend mit Maria wieder in Berlin bin, falls Adele so lange, warten kann. Kann sie es nicht, so telegraphirst Du mir noch heute, und ich komme morgen früh. Noch einmal, adieu!“

Sie hatte mir es in das Fenster hineingesagt; der Zug setzte sich in Bewegung; ich sank in die Ecke des Wagens, den ich, dank der Vermittlung des Bahnhofsinspektors, für mich allein hatte. So konnte ich mich, von Niemand gesehen, ausweinen.

Dann nahm ich das Blatt – jenes letzte fehlende von Maria’s Brief, das mir die Fürsorge der Mutter gestern unterschlagen hatte. Wie voll mußte mein Gemüth gewesen sein von heimlicher

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