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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

er Dich auf eigene Hand, so hatte er amtlich den Oberst zu bewachen, den man hartnäckig für den Verfasser jener ersten Broschüre Adalbert’s hielt, ohne natürlich den Beweis dafür liefern zu können. Dem Menschen nun, während er in dem Studirzimmer auf Dich wartete, kam der Gedanke, ob jener Schrank wohl das Beweismaterial, womöglich in Form des Originalmanuskriptes der Broschüre, enthalten möchte. Diebsinstrumente führte er immer bei sich. Er fand nicht, was er suchte, nahm aber in Ermanglung dessen das Aktenstück, das mit ,geheim’ bezeichnet war, schon damals eingestandenermaßen in der Absicht, dasselbe an einem anderen Orte auftauchen zu lasten, um den Oberst, den er als Deinen Freund und Beschützer grimmig haßte, zu verderben, oder ihm doch einfach durch das Fehlen eines wichtigen Papiers eine schwerste Verlegenheit zu bereiten. Das Letztere trat ja nun zu des Schurken Freude alsbald ein; zu dem Hauptschlag haben aber wir ihm erst die rechte Gelegenheit geboten.“

„Ich verstehe Dich nicht,“ sagte ich.

„Es ist auch nicht so einfach,“ entgegnete meine Mutter, „und nur verständlich, wenn Du im Auge behältst, daß der entsetzliche Mensch zweien Herren zu dienen hatte, deren Angelegenheiten ursprünglich weit voneinander lagen und nur in dem Kopfe des in seiner Weise genialen Schurken zu einer zusammenwuchsen. Das geschah aber, als er – Dank unserer Unvorsichtigkeit – den von ihm längst vermutheten Aufenthalt Pahlen’s und Adele’s in Berlin endlich entdeckt hatte. Dennoch zögerte er auch jetzt noch mit der Ausführung des Bubenstücks in der Hoffnung, wir – Du und ich – würden uns besinnen, das heißt: uns mit dem Herzog versöhnen, in welche Versöhnung dann auch Pahlen und Adele eingeschlossen sein sollten. Als nun wir und ebenso Dein Schwager, dem er sich gleicherweise als Vermittler aufgedrängt, seine Dienste hartnäckig zurückwiesen, und auch die letzte achttägige Frist, die er uns gestellt hatte, abgelaufen war, ging er ans Werk. Indem er Pahlen von Stund an auf Schritt und Tritt heimlich folgte, konnten ihm die Zusammenkünfte desselben mit dem Onkel und mit Adalbert nicht verborgen bleiben.

Es handelte sich da um eine Verschwörung, oder es brauchte doch nur der Behörde der Beweis geführt zu werden, daß es sich um eine solche handle, welcher Beweis geführt war, sobald man das vermißte, viel gesuchte Aktenstück bei – Pahlen fand. Natürlich mußte dann die Behörde einschreiten und die Verschwörer verhaften.

Der Schlag mußte uns ins Herz treffen, zumal Adele, die dann, von ihrem Gatten getrennt, wohl Vernunft annehmen würde.

Wie aber das Aktenstück unter Pahlen’s Papiere schmuggeln? Das vermochte der Mann bei aller seiner Gewandtheit nicht ohne einen Helfershelfer, den er dann schließlich an – August fand.“

„Um Himmelswillen!“ rief ich.

„Du siehst,“ sagte meine Mutter, „ich konnte Dich wirklich nicht in dies traurig schmutzige Spiel blicken lassen; überdies hatte ich August feierlich versprochen, ihm Dir gegenüber die tiefe Beschämung zu ersparen. Es scheint unbegreiflich, wie der sonst so Kluge sich von dem Schurken so nasführen ließ, wenn man vergißt, daß Fanatikern seines Gleichen jedes Mittel recht ist, durch welches sie ihre Sache zu fördern hoffen. Weißfisch hatte ihm aber eingeredet, daß er im Interesse der guten Sache dem Oberst gewisse Papiere entwendet habe, welche von diesem bei seinem Abgänge dem Kriegsministerium unterschlagen und, aus Feigheit, unbenutzt gelassen worden seien, während sie in den Händen des entschlossenen Pahlen ein unschätzbares Material abgeben würden. Es handle sich nur darum, die Papiere dem Grafen, der von Allem unterrichtet und mit Allem einverstanden sei, heimlich in die Hände zu spielen. Er selbst könne das nicht, wohl aber August, der ja so zu sagen freien Zutritt zu demselben hatte. August ging in die plumpe Falle. Es war an dem Tage, als Pahlen seit dem frühesten Morgen bei dem Oberst mit Dir arbeitete, Adele draußen bei mir war. August wußte sich durch das Dienstmädchen, das ihn längst kannte, Eingang in Pahlen’s Wohnung und Arbeitszimmer zu verschaffen und das Bündel dort unter die anderen Papiere zu bringen. Am Nachmittage meldete Weißfisch, daß er den Verbleib des famosen Aktenstückes in Erfahrung gebracht habe. Natürlich förderte eine sofort angeordnete Haussuchung das Unglücksstück zu Tage. Dann – am Abend – erfolgte die Verhaftung.“

„Aber wie bist Du zur Kenntniß von dem Allen gekommen, die Du doch nur von August haben kannst?“ fragte ich.

„Allerdings von ihm,“ erwiderte meine Mutter. „Die Verhaftung Pahlen’s, der Tod Adalbert’s, die beide seine vergötterten Helden waren, hatten ihn in die äußerste Bestürzung versetzt.

Gemeinschaftliche Noth führt ja die Menschen zusammen. So kam er zu mir, ob ich das ihm Unfaßbare vielleicht erklären, ob ich Rath, Hilfe schaffen könne. Er gerieth in furchtbare Wuth, als ihm aus unserem zuerst vorsichtigen, dann immer offeneren Hinund Widerreden zuletzt völlig klar wurde, daß Weißfisch, den er für den Treuesten der Treuen gehalten, zum scheußlichsten Verräther an der Partei geworden sei und er selbst, ohne es zu ahnen, an der Büberei den schlimmsten Antheil genommen. Ich weiß nicht, welche Mittel er und seine Partei anwandten, den Schurken zu zwingen, eine vollständige Beichte seines Verrathes abzulegen und schriftlich aufzusetzen. Das Messer mag ihm dabei wohl sehr nahe an der Kehle gestanden haben –genug: zwei Tage später war das Schriftstück in meinen Händen. Ich ließ, während ich das Original behielt, zwei Kopien davon machen, deren eine ich an den Herzog schickte, die andere an den Minister.“

„Aber,“ rief ich, „es ist doch ganz unmöglich, daß der Herzog von den Schurkenstreichen des Menschen unterrichtet gewesen ist!“

„Ich habe das nicht behauptet,“ erwiderte meine Mutter. „Nur, daß leider geheime Agenten von Fürsten in solchen Fällen Instruktionen zu haben pflegen, die man – je nachdem – so oder so auslegen kann. Worauf es mir ankam, war, den Herzog zu der Erklärung, dem Minister gegenüber, zu bestimmen, daß Weißfisch allerdings noch immer eine Pension von ihm bezogen habe und er den Menschen wohl für fähig halte, dergleichen Gräuelthaten zu verüben, in mißverständlichem Eifer, seinem Herrn zu dienen.“

„Aber,“ sagte ich, „dabei mußten doch Dinge zur Sprache j kommen, die der Herzog um keinen Preis in die Oeffentlichkeit gelangen lassen durfte.“

„Eben darauf rechnete ich,“ entgegnete meine Mutter. „Aber auch der Regierung war viel daran gelegen, daß die Angelegenheit, bei der sie sich – zu ihrer Ehre muß ich es sagen – von einem Schurken auf das Gröblichste hatte düpiren lassen, geheim blieb. Der Minister, mit dem ich wiederholte Besprechungen über die Angelegenheit gehabt habe, war völlig meiner Meinung. Die Sache müsse durchaus im Kabiuetswege ihre Erledigung finden.

Er sei sicher, dabei auf keinerlei Hinderniß zu stoßen, vorausgesetzt, daß der Herzog seinen Antrag befürworte.“

„Nun, und er?“ fragte ich gespannt. „Er kann sich doch unmöglich dessen geweigert haben?“

„Du vergißt,“ erwiderte meine Mutter, „daß er durch den Widerstand, auf den er bei uns gestoßen, schwer verletzt und gekränkt war. Dazu die Aussicht, wie sie seiner sanguinischen Phantasie wenigstens erschienen sein mag, jetzt Pahlen und Adelen die Bedingungen diktiren zu können, unter denen sie fortan zu leben hatten. So erkläre ich mir wenigstens den sonst unbegreiflichen Widerstand, auf welchen ich bei ihm stieß, und den zu brechen, ich gestehe es, mir – nicht ganz leicht geworden ist.“

Die Mutter schwieg. Ein unheimliches Licht war in meiner Seele aufgedämmert, das ich gern zur vollen Klarheit gebracht hätte. Aber wie die Mutter in dieser ganzen Angelegenheit aus Gründen, die ich jetzt wohl verstand, allein gehandelt hatte – mit jener Klugheit, Umsicht, Energie und jenem vor nichts zurückschreckenden Muth, die ihre bewundernswerthen Eigenschaften waren – so ziemte es mir, nicht mehr wissen zu wollen, als sie mir mitzutheilen für gut fand. Einiges deutete ich mir freilich jetzt ohne Schwierigkeit: die plötzliche Rückkehr meines Bruders August nach Amerika, durch die mir eine rechte Last von der Seele genommen war; die hartnäckige Weigerung Adele’s, mit uns der Einladung des Herzogs, die auch an sie ergangen war, zu folgen. War die Intervention desselben zu Pahlen’s Gunsten nicht freie Güte gewesen; hatte er zu derselben, wie ich doch jetzt aus den Andeutungen der Mutter entnahm, gezwungen werden müssen: so konnte die Zusammenkunft zwischen Vater und Tochter nur eine peinliche sein, die sie sich besser gegenseitig ersparten.

Aber dann, wenn die Sache zu meinem Kummer so lag, so war ja auch meine Annahme, daß die Mutter diese Reise mit mir unternommen hatte, dem Herzog den ihm schuldigen Dankestribut darzubringen, hinfällig. Man braucht denn doch nicht Jemand zu danken für etwas, was er freiwillig nie gethan haben würde!

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