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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

schon völlig Verzweifelten wurde, und wie wenig dieselbe geeignet schien unsere Hoffnungen zu beleben – er lebte noch – ein Strohhalm nur, an den ich mich doch geklammert hatte und jetzt wieder klammerte, während vielleicht die Mutter die Todesnachricht bereits in den Händen hielt. So war es denn keine leichte Aufgabe für mich, dem freundlich gesprächigen Bahnhofsinspektor Rede und Antwort zu stehen, ohne daß er meine Unruhe merkte.

„Sie haben ein Privatgeschirr beordert,“ sagte er; „aber Hoheit hat eine Equipage geschickt, die schon seit einer Stunde hier hält. Sie werden sich doch derselben bedienen? Sie wissen, es ist ein langer Weg nach Bellevue, den man bequemer in einem Hofwagen zurücklegt, und ich glaube sagen zu dürfen, Hoheit würde es recht übel empfinden, wenn der Wagen leer zurückginge.“

Ich sagte, daß ich die Entscheidung darüber meiner Mutter überlassen müsse, welche soeben aus dem Bahnhofsgebäude getreten war und langsam auf uns zukam. Ich eilte ihr entgegen.

„Lebt er?“

„Lies selbst!“

Meine Mutter hatte mir den Brief, den sie in der Hand hielt, gereicht und fügte sofort hinzu: „Es fehlt das letzte Blatt. Sie muß es vergessen haben – in der Eile und Aufregung – armes Mädchen! Doch hätte sie wohl schon depeschirt, wenn der Ausgang – aber Du wirst ja sehen –“

Meine Mutter hatte sich zum Inspektor gewandt; ich war in den Schatten des Telegraphenhäuschens getreten und las.

(Schluß folgt.)

Von einer herannahenden Küchenrevolution.

Offener Brief an eine Wißbegierige.0 Von C. Falkenhorst.

  Geehrte Frau!
Erinnern Sie sich noch jener herrlichen Herbsttage, in welchen wir vor mehr als zehn Jahren durch das reiche Franken wanderten, den gesegneten Obstgarten Deutschlands? Aus dem Grün der Gärten leuchteten in allen Farben die reifen Früchte; die Bäume brachen schier unter der köstlichen Last zusammen; auf den Chausseen schwere Wagen, auf den Flüssen zahllose Schleppkähne mit der reichen Obsternte beladen! Da lag in der lachenden Landschaft klar vor unseren Augen der überzeugendste Beweis des unermeßlichen Nutzens der Obstzucht.

Erinnern Sie sich aber auch, daß wir wenige Tage darauf die Rückseite der Medaille schauen mußten? Auf der langen Fahrt nach Frankfurt am Main, nach Köln und nach Holland faulten die Früchte, und wir waren Zeugen, wie unzählige Körbe verdorbener Waare in den Main und in den Rhein geschüttet werden mußten.

Damals kam uns diese Art des Handels mit frischem Obst wie eine Verschwendung der werthvollsten Güter vor, und wir waren einig darüber, daß auf diesem Gebiete eine Wandlung zum Besseren angestrebt werden müsse. Als eine der wichtigsten Aufgaben des Obstzüchters erschien es uns, Mittel und Wege zu finden, um den leicht verderbenden Waaren eine haltbarere Form zu geben. Obwohl wir aber im Grundsatz übereinstimmten, gingen unsere Ansichten über die praktische Ausführung desselben doch weit aus einander.

Dem getrockneten Obst prophezeite ich die beste Zukunft. Ich sehe noch das feine ungläubige Lächeln, das um Ihren Mund spielte, während ich meine wohlerwogenen Gründe entwickelte. Ich höre noch heute Ihre vernichtende Antwort – die Antwort einer praktischen Hausfrau. Auf dem Markte, in dem Kaufmannsladen und vor allem in der Küche hatten Sie sich einen Schatz von Erfahrungen gesammelt, die unbedingt gegen das gedörrte Obst sprachen, und je mehr ich Ihren Ausführungen lauschte, um so mehr überzeugte ich mich, daß das getrocknete oder gedörrte Obst zu jener Zeit eine mit vielen Mängeln behaftete Waare bildete, welche weder mit dem frischen noch mit dem von fleißiger und geübter Frauenhand eingekochten wetteifern durfte. Ihre Praxis trug einen leichten Sieg über meine Theorie davon!

Vor Kurzem sprach ich mit Ihnen wiederum über denselben Gegenstand. Ich machte dabei eine interessante Erfahrung. Die Welt ist in dem letzten Jahrzehnt in ungeahnter Weise fortgeschritten; Sie sind die konservative Hausfrau geblieben, welche an ihrer einmal gefaßten oder gar ererbten Meinung mit tapferster Zähigkeit festhält. Heute fühle ich aber, daß an mir die Reihe ist, Ihnen mit einem überlegenen Lächeln entgegenzutreten, und ich unternehme das Wagniß, als schlimmer Revolutionär in die Räume zu dringen, in welchen Sie als Alleinherrscherin – das Scepter schwingen.

Ich bin wirklich in der erfreulichen Lage, von großen Fortschritten und Erfindungen zu berichten, welche dem getrockneten Obst, dem Aschenbrödel unseres Haushaltes, zu Gute kommen. Schon zu jener Zeit, als wir zum ersten Male diese Frage erörterten, wurden die ersten schüchternen Versuche dieser großen Umwälzung vorbereitet. In Kalifornien, welches nicht mehr durch Goldminen, wohl aber durch die goldenen Früchte des Ackerbaus seinen Einwohnern unermeßliche Schätze spendet, erfand man eine neue Dörrmethode, welche jetzt überall als mustergültig nachgeahmt wird. Sie beruht auf dem einfachen Grundsatz, daß man über die mit Obst belegten Hurden einen heißen und trockenen Luftstrom streichen läßt, welcher dem Obst die Feuchtigkeit entzieht. Dieser Vorgang spielt sich selbstverständlich in eigens dazu gebauten Apparaten ab, deren Zahl dank dem Erfindungsgeist der Amerikaner eine ziemlich große geworden ist. An vielen Orten jenseit des Großen Wassers wurde bereits seit Jahren eine förmliche Obstindustrie ins Leben gerufen, und wir erblicken dort großartige Anlagen, in welchen während des Herbstes Tausende von Hektolitern verschiedenster Obstsorten getrocknet werden.

Gestatten Sie mir, daß ich Sie in ein derartiges Etablissement einführe! Treten Sie ein in dieses schlichte, aber geräumige dreistöckige Gebäude!

Im untersten Stockwerk, welches etwas vertieft liegt, finden Sie die Feuerungsanlagen, deren Einrichtung den Scharfsinn mehr als eines Technikers herausgefordert hat. Im zweiten Stock betreten Sie große Säle, in welchen ein überaus buntes und geschäftiges Treiben herrscht. Hier werden zunächst die Früchte zum Trocknen zubereitet. Der Hauptartikel, der Apfel, kommt gerade an die Reihe. Er muß zunächst geschält und geschnitten sowie von seinem Kernhaus befreit werden. Dort in jener Ecke liegen wohl über 20 Hektoliter der schönsten Baldwinäpfel aufgehäuft, und noch heute sollen sie alle in den Dörrapparat wandern. Welche Riesenaufgabe! Die wenigen Leute, die Sie in den Räumen erblicken, können dies unmöglich besorgen. O doch, verehrte Frau! Denn diese wenigen Leute werden in ihrer Arbeit durch den Zauberer und Riesen des 19. Jahrhunderts, den unermüdlichen Dampf, unterstützt. Hören Sie! Jetzt ertönt die Signalpfeife. Die Leute treten mit Körben voll Aepfel an eine Maschine; der Treibriemen setzt sich schwirrend in Bewegung, und die Arbeit beginnt. An eine hervorragende Spitze eines der Räder steckt der Arbeiter einen Apfel; sofort ergreift ihn das Triebwerk der Maschine, und in einem Augenblick wird er geschält, spiralig zerschnitten und von seinem Gehäuse befreit. Dann wirft ihn die Maschine auf den sauber geputzten Tisch, wo ihn andere Arbeiter in Empfang nehmen. Die Apfelschnitte häufen sich rasch; spielend geht die Arbeit vor sich. Glauben Sie mir: ehe die Abendglocke ertönt, wird die Maschine sicher jene 20 Hektoliter Aepfel in kunstgerechtester Weise verarbeitet haben.

Jetzt führe ich Sie nach einer anderen Abtheilung desselben Stockwerks. Hier tragen Arbeiter mit Apfelschnitten belegte Hurden herbei und schieben sie in die Oeffnung eines hohen Schachtes hinein.

Langsam steigen die obstbeladenen Hurden vermittelst einer Maschinerie in dem Dörrschachte hinauf. Wir werden ihnen im dritten Stockwerk wieder begegnen.

In ihm erreicht der Schacht sein Ende; hier werden die Hurden mit gedörrtem Obste herausgenommen. Ein köstlicher Duft durchzieht die weiten Säle, in welchen die getrockneten Aepfel in Haufen liegen, wie Getreide geschaufelt und in saubere Kisten verpackt werden. Und wie rasch geht das Alles! Jeder der Apparate dörrt ja 30 bis 50 Hektoliter Obst in 24 Stunden.

Der Amerikaner ist ein durchaus praktischer Mann. Er weiß es wohl, daß die meisten seiner Abnehmer die neue Waare nicht zu behandeln verstehen, und er legt darum in jede Kiste eine gedruckte Anweisung über die Behandlung des gedörrten Obstes in der Küche.

Kennen Sie, geehrte Frau, nach „amerikanischem System“ gedörrte Aepfel? Ich möchte es beinahe bezweifeln. In unseren Läden finden wir zwar amerikanische Aepfel in Hülle und Fülle, aber die allermeisten sind in Pennsylvanien, Maryland etc. nicht in der oben geschilderten Weise, sondern nach altem Brauch an der Sonne getrocknet. Sie können mit dem Obst, welches ich meine, keineswegs konkurriren. Dieses wird in Nordamerika allgemein „Alden-Obst“ genannt, und man sollte im Interesse der guten Sache bei solchen Anlässen nicht von amerikanischem, sondern stets von „Alden-Obst“ sprechen.

Die Behandlung des letzteren ist äußerst einfach. Man braucht es nur in porcellanenen oder thönernen Gefäßen mit kaltem Wasser zu übergießen und 12 bis 24 Stunden stehen zu lassen. Dann ist es, ohne daß das Wasser gewechselt wird, zum Kochen bereit und wie durchaus frische Früchte zu behandeln.

Und der Geschmack? werden Sie fragen. – Ich will nur das Urtheil durchaus berufener Männer anführen. Auf allen großen Ausstellungen, wo Völker um die Siegespalme in den Werken der friedlichen Arbeit rangen, wurde diesem nach „amerikanischem System“ gedörrten Obst einmüthig der erste Preis zuerkannt.

Fast scheint es mir, als ob ich Ihre Geduld erschöpft hätte, als ob Sie mit leisem Spott die Frage an mich richten möchten: „Und diese trefflichen gedörrten Apfelschnitte, die in Deutschland, nebenbei gesagt, nicht so leicht zu haben sind, sollen eine Revolution in meiner Küche hervorrufen?“

Ich bitte, bannen Sie das triumphirende Lächeln noch für einen Augenblick!

Die unternehmenden Männer, welche jenes Dörrverfahren erfunden und praktisch verwerthet haben, beschränkten sich keineswegs auf Aepfel und Birnen. Sie dörren in gleich trefflicher Weise Pfirsiche und Aprikosen, Pflaumen und Zwetschen, Weintrauben und Feigen, Kirschen und Brombeeren; sie gehen noch weiter: Rhabarber und Tomatos, Spargel und Kürbisse liefern sie in erster Qualität; sie zwingen, wenn ich so sagen darf, den ganzen Gemüsegarten und verarbeiten grüne Erbsen, Zwiebeln, Spinat, Sauerampfer, Rothkraut, Winterkrauskohl, Bohnen, Wirsing, Karotten, ebenso alle Küchenkräuter von der Petersilie an bis zum Basilikum und zur Tripemadame; ja diese Revolutionäre schrecken selbst vor dem Einmarsch in das weite Gebiet der Landwirthschaft nicht zurück, indem sie Grünmais und Kartoffeln in größtem Maßstabe dörren, und verschonen mit ihren Eingriffen auch die feine Welt nicht, denn neben Fischen und Eiern trocknen sie sogar Austern!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_682.jpg&oldid=- (Version vom 5.12.2022)