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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

den sogenannten Tellen zu gehen, wo er einen noch nicht beim Mutterwild stehenden, von der böhmischen Grenze herübergetretenen guten Hirsch abzuschießen gedachte. Er hatte schon seit Wochen getrachtet, ihn auf dem Birschgang zu erwischen, doch ohne ihn bisher je bei Büchsenlicht zu Schuß bekommen zu haben. Trat der Schlaue doch nur spät Abends, erst bei völliger Dunkelheit heraus ins Freie und zog auch vor Morgengrauen schon wieder zu Holze. Darum wollte mein Herr es heute einmal unter meiner Beihilfe, also zu Zweien versuchen, dem Patron Abbruch zu thun. Wir wollten uns dazu an einer großen und sehr festen Fichtenschonung, in welcher der Hirsch gewöhnlich tagsüber steckte, vorstellen, und ‚Waldmann‘, der Teckel, sollte sie durchkriechen und uns, nach Umständen, den Burschen bringen.

So rückten wir denn ohne Säumen mitsammen nach ihm aus. Draußen angekommen, hatten wir auch alsbald die Genugthuung, die frische Fährte des Gesuchten im Thau eines uns vorliegenden, von Schmälen[1], Heide und Beerenkräutern überwucherten Gehaues weithin sich kennzeichnen zu sehen. Als wir dann derselben folgten, führte sie auch richtig, nach einigen Widergängen, hinein in die von meinem Herrn ins Auge gefaßte Dickung. Zu aller Vorsicht kreisten wir dieselbe aber doch noch erst ein, dabei sorgfältig abspürend, ob der Schleicher nicht doch vielleicht nur durchgezogen wäre. Allein bei unserem Wiederzusammentreffen auf entgegengesetzter Seite der umgangenen Schonung bestätigte es sich, daß er wirklich drin sitzen geblieben war. Nun schritt Meister Pommerich unverzüglich zur Ausführuug seines entworfenen Jagdplanes und gebot mir zu diesem Zwecke, gleich am Platze, wo wir uns eben befanden und von wo aus man rechts und links volle Flucht zum Schießen hatte, mich anzustellen; er aber wollte zurückgehen, um den Rückwechsel zu besetzen, und von dort aus auch ,Waldmann’ auf die Fährte setzen. Brächte dieser darauf hin den Hirsch zu mir heraus, bemerkte er, dann sollte ich nur dreist darauf schießen, ginge jedoch die Jagd rückwärts – nun, in diesem Falle stände ja er am rechten Flecke. ‚Wer geschossen hat, bleibt ruhig auf seinem Stande und wartet, bis der Andere zu ihm kommt,‘ fügte er beim Abgehen noch hinzu, und fort stakelte mein Gebieter, mir dabei ‚Waidmanns Heil‘ zubrummend.

Wie späh’te und horchte ich jetzt, da ich allein war, nach allen Seiten hin, um ja nicht etwa vorzeitig sich Ereignendes zu verpassen! Denn voraussichtlich mußte ich noch lange warten, ehe mein schon etwas wackliger Alter nur seinen Stand erreicht haben und ich zum Zeichen, daß dies geschehen, das ‚Kiff paff‘ des anjagenden Hundes zu hören bekommen würde. Um so wonniger erklang mir endlich der heißersehnte Ton, und das Herz schlug mir hörbar dabei, als ‚Waldmann‘ nun, fort und fort laut wie eine Glocke, die Jagd gar auf mich zu brachte. Ja, ich stand bei deren Annäherung bereits so in vollem Hirschfieber, daß mir thatsächlich die Zähne auf einander schlugen und ich ordentlich Gott dankte, als ‚Männel‘ plötzlich verstummte. Er mußte von der Fährte abgekommen sein. Doch nur kurze Zeit währte dies, dann gab der Unermüdliche von Neuem hellen Hals, doch diesmal wandte die Flucht sich links ab, dann plötzlich wieder nach rechts herüber, bis sie endlich in geradem Strich zurück auf meinen Herrn losging. Der Hirsch hatte wahrscheinlich nach ein paar Wiedergängen den Rückwechsel angenommen. Jetzt war ich voraussichtlich darum, den Hirsch vor das Rohr zu bekommen. Und richtig! Kaum einige Minuten später ertönte draußen ein Schuß, daß der Knall davon an den hinter mir liegenden Wänden als vielfaches Echo wiederklang und knatternd durch Wald und Geklüft sich fortsetzte. Dies aber hören – und es gab kein Halten mehr bei mir. Im Laufschritt ging’s meinem Vorgesetzten zu, und bald stand ich neben dem Glücklichen. Ohne lange Rede, sondern nur mit der Bemerkung, daß er auf den sehr flüchtig vor dem Hunde Gekommenen geschossen habe, führte er mich auf den von ihm bereits verbrochenen Anschuß und ließ mich hier die absichtlich zu meiner Belehrung liegengelassenen Schnitthaare und weiterhin den zuerst gefallenen Tropfen Schweiß (Blut) aufsuchen. Nun erst, nachdem ich Beides schnell und sicher wahrgenommen, verfolgten wir gemeinschaftlich die Fährte weiter. Zunächst führte diese über dasselbe Gehau zurück, auf welchem wir den noch vor Kurzem Gesunden eingespürt hatten. Beim Weitersuchen, wobei mein Lehrherr, der Hirschgerechte, Alles, auch das Geringfügigste, mit besonderer Sorgfalt ins Auge faßte und mich jedes Mal darauf aufmerksam machte, kam mein Meister unter Anderem auch zu der Ueberzeugung, daß der Getroffene die Kugel hoch sitzen haben müsse, denn da, wo er bei seiner Flucht lange Schmälen berührt oder an Strauchwerk angestrichen war, saß auch meistens in ziemlicher Höhe Schweiß daran. Unter solchen Beobachtungen seinerseits, die mir zu lehrreichsten Erfahrungen wurden, kamen wir denn bis zu einem alten vergrasten Wege. Derselbe führte weiter hin in die Felsen und lief dort, wie wir Beide wußten, zuletzt nur noch als schmaler Steig an abfallenden Wänden hin nach einem etwa stubengroßen Vorsprung aus, welcher über einer tief hinunterreichenden bewaldeten Schlucht hing.

Da wir zuletzt nur noch wenig Schweiß gefunden, an schon erwähntem Graswege aber das letzte Tüpfelchen davon verspürten, so machten wir hier Halt, um nun erst wieder einmal nach dem Hunde zu horchen, der noch immer hinter dem kranken Hirsch her war. Und nicht vergeblich lauschten wir ihm, vielmehr recht bald hörten wir den braven Teckel, und zwar fest Standlaut geben – der Hirsch hatte sich ihm also gestellt. Dem Klange nach aber war es ganz in der Richtung nach besagtem verlorenen Felsenwechsel zu. So folgten wir denn auch diesem noch ein Stück, doch nur bis zu jener Stelle, wo er sich bis zum schmalen Grat an den Schroffen hin gestaltete. Hier, an der Felswand, fand sich auch wieder hochangestreifter Schweiß vor, so daß uns daraus die volle Sicherheit ward: der Verfolgte sei wirklich auf der kleinen Platte, die wir aber wegen Vorliegen mächtiger Gebirgsecken noch immer nicht in Sicht hatten. Da dem Versprengten da draußen aber ein Entkommen nach vorwärts geradezu unmöglich sein mußte, so durften wir uns auch keinen Schritt weiter entgegen wagen. Denn wir würden durch unser Erscheinen den nun schon so lange vom Hunde Bedrängten zu einer verzweifelten Flucht nach rückwärts, also auf uns zu, veranlassen, wobei der Geängstete uns auf dem engen Felspfade nothwendig überrennen und rettungslos in den Abgrund stürzen mußte. Darum zogen wir uns wieder so weit zurück, daß wir ungefährdet auf ihn schießen konnten, wenn der Hirsch auch ohne unser Entgegentreten sich über den Hund weg den Rückwechsel erzwingen sollte. Mit bewährter Ausdauer aber hielt ‚Waldmann‘ den in die Enge Getriebenen auch noch ferner auf der Klippe fest, und hierauf stützte denn mein nie verlegener Principal jetzt einen neuen Plan zum Gelingen der weiteren Jagd.

,Du, mein Junge,‘ wandte sich plötzlich der sonst so Barsche in seiner zwar immer noch derben, doch heute in fast väterlichem Tone gehaltenen Art an mich: ,Du gewinnst mit Deinen jungen Knochen allemal noch Zeit dazu, über den ,Zumsteig‘ an der ,Herztanne‘ vorüber und durch die ‚Martertelle‘ hinauf nach dem ,hohen Stein‘ zu kommen, von wo es höchstens hundert Schritte hinüber nach dem Riff sein mögen, auf welchem der Hund mit dem Hirsche steht. Und bist Du nur einmal an Ort und Stelle angelangt, dann magst Du von da aus auch in Gottes Namen auf Deinen ersten Hirsch schießen. Halt aber gut hin und nimm Dir darum ruhig Zeit dabei, denn hat er bis dahin dem ‚Waldmann‘ noch Stand gehalten, dann kommt’s auch auf ein paar Minuten mehr oder weniger, die Du noch aufs Verschnaufen verwendest, nicht an. Also recht bequem gemacht und um so sicherer hingehalten, damit der Beschossene womöglich im Feuer und auf dem Flecke zusammenbricht, denn sonst stürzt der Racker wohl gar ab! Ich aber bleibe hier, um ihm für alle Fälle den Rückzug zu verlegen. Und nun Waidmanns Heil zu guter Jagd, und Hals- und Beinbruch noch dazu!‘[2]

Freudigst dankte ich meinem noch nie so leutselig gegen mich gewesenen Herrn für das mir Gewährte, und jubelnden Herzens eilte ich von dannen. Nur flüchtig hörte ich dabei noch seinen Warnruf: ,Sachte, sachte, sachte!‘ Dann war ich um die Ecke verschwunden und bereits auf dem vorgeschriebenen Wege, der mich, bei meiner Eile, schon in etwa einer guten Viertelstunde auf meinen Posten brachte. Als ich auf diesem angekommen war, richtete sich mein erster Blick zur Klippe hinüber, nach meinem ersehnten Ziele, dem Hirsche, der wirklich noch immer vor dem Hunde aushielt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_670.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2022)
  1. Dünnes, langhalmiges Gras.
  2. Hals- und Beinbruch gewünscht bekommen, gilt dem Jäger als ein besonders gutes Zeichen zum Gelingen der Jagd.