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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

vollen Jahre bin ich nun im Ministerium und werde noch immer mit den unbedeutendsten, erbärmlichsten Kleinigkeiten geplagt. Ein Graf Steinrück gilt unserem Chef grade so viel wie der erste beste seiner bürgerlichen Beamten, ja vielleicht noch weniger, wenn Jener zufällig eine größere Arbeitskraft hat. Da heißt es, von der Pike auf dienen.“

„Ja, man ist bei Euch sehr gründlich in solchen Dingen,“ sagte Clermont ironisch. „Bei uns pflegt es schneller zu gehen, wenn man Namen und Verbindung hat. Also man vertraut Dir noch immer nichts Wichtiges an?“

„Nein!“ Raoul’s Blick flog ungeduldig nach der Thür, die in die inneren Räume – führte, als erwarte er dort etwas. „Höchstens einmal eine Uebergabe oder Abschrift bei Vertrauenssachen, wo Name und Stellung des Betreffenden die Bürgschaft für sein Schweigen geben – und das kann noch Jahre währen!“

„Wenn Du es aushältst! Denkst Du denn im Staatsdienste zu bleiben?“

Der junge Graf sah erstaunt auf.

„Gewiß, was denn sonst?“

„Eine seltsame Frage für Jemand, der im Begriff steht, eine der reichsten Erbinnen zu heirathen. Du kannst ja künftig als souveräner Herr auf Deinen Gütern leben. Wie ich Dich kenne, würdest Du das freilich nicht ertragen: Du brauchst das Leben, die Gesellschaft, das Wogen und Treiben der Großstadt. Nun, so laß Dich doch der Gesandtschaft in Paris attachiren, wie es einst Dein Vater that. Das kann ja nicht schwer zu erreichen sein, wenn man die Hebel an der richtigen Stelle einsetzt, und Deiner Mutter erfüllst Du jedenfalls einen Lieblingswunsch damit.“

„Und mein Großvater? Er würde es nun und nimmermehr zugeben.“

„Wenn er gefragt wird, gewiß nicht, aber seine Macht reicht doch nur so weit, wie seine Vormundschaft über Deine künftige Gemahlin. Das Testament weist ja wohl Bestimmungen darüber auf. Wann wird Gräfin Hertha mündig?“

„An ihrem zwanzigsten Geburtstage, im nächsten Herbst.“

„Nun wohl, dann hast Du doch nichts mehr zu fragen, als höchstens nach den Wünschen Deiner jungen Frau, und die wird sich sicher nicht weigern, mit Dir in der Hauptstadt Europas, im Mittelpunkt des Glanzes zu leben. Ein etwaiger Einspruch des Generals kommt nicht mehr in Betracht für Dich und sie.“

„Du kennst meinen Großvater nicht,“ sagte Raoul finster. „Er wird selbst dann noch seine Autorität behaupten, und ich – wird denn Madame de Nérac heute gar nicht sichtbar?“

„Sie ist noch bei der Toilette, wir fahren zu einem Diner. Wo wirst Du denn heute Abend sein?“

„Bei meiner Braut.“

„Und das sagst Du mit einer solchen Miene?“ spottete Clermont. „Alle Welt beneidet Dich ja um die glänzende Partie, und mit Recht. Gräfin Hertha ist schön, reich und –“

„Kalt wie Eis!“ ergänzte Raoul bitter. „Ich kann Dir versichern, daß ich nicht so beneidenswerth bin, wie man glaubt.“

„Ja, in der Launenhaftigkeit scheint die junge Gräfin allerdings etwas zu leisten. Das ist nun einmal das Vorrecht schöner Frauen.“

„Wenn es nur Launen wären – das ist mir nichts Neues, das lag von jeher in ihrer Art. Aber seit unserer Verlobung hat sie einen Ton angenommen, ist sie von einer Unnahbarkeit, die meine Geduld auf die äußerste Probe stellt. Lange halte ich das nicht mehr aus.“

Es sprach in der That die äußerste Gereiztheit aus diesen Worten, Clermont zuckte gleichmüthig die Achseln.

„Wer von uns kann ganz nach seiner Neigung wählen? Ich kann es auch nicht, wenn ich früher oder später zu einer Verbindung schreite, und meine Schwester wurde mit sechzehn Jahren an einen Mann vermählt, der bereits in den Fünfzigen stand. Man beugt sich eben der Nothwendigkeit.“

Raoul hörte die letzten Worte kaum; sein Blick bewachte noch immer ungeduldig die Thür, und plötzlich fuhr er empor, denn diese Thür öffnete sich und ein Seidenkleid rauschte über die Schwelle.

Die Dame, welche jetzt eintrat, eine schmächtige, mittelgroße, aber ungemein graziöse Gestalt, war nicht mehr in der ersten Jugendblüthe; sie mochte schon am Ausgange der Zwanzig stehen. Das Gesicht konnte nicht schön, vielleicht nicht einmal hübsch genannt werden, aber es hatte einen eigenthümlichen, pikanten Reiz. Das schwarze Haar, das in kurzen, krausen Locken den Kopf umgab, ließ diesen jugendlicher erscheinen, als er in der That war; die dunklen Augen hatten etwas Weiches, Verschleiertes, und doch konnten sie blitzähnlich aufsprühen, wie in dem Augenblick, wo sie auf den jungen Grafen fielen. Man fragte sich vergebens, welcher Zauber denn eigentlich in diesen völlig unregelmäßigen und nicht einmal edlen Zügen liege, aber er war nun einmal vorhanden, und wenn sich das Antlitz vollends beim Sprechen belebte, erschien es geistvoll und interessant in jeder Linie.

Raoul hatte sich rasch erhoben und war der jungen Frau entgegengeeilt, deren Hand er an seine Lippen zog.

„Ich komme heute nur im Fluge,“ sagte er. „Ich wollte Sie doch wenigstens begrüßen, da ich von Henri höre, daß Sie im Begriff sind, auszufahren.“

„O, wir haben immerhin noch eine halbe Stunde Zeit,“ versicherte Frau von Nérac mit einem Blick auf die Uhr. „Sie sehen ja, Henri ist noch nicht einmal im Gesellschaftsanzuge.“

„Es wird aber wohl Zeit sein, daß ich auch Toilette mache,“ fiel Clermont ein. „Du entschuldigst, Raoul, ich bin sogleich wieder da.“

Er verließ das Zimmer, und Raoul schien durchaus nichts dagegen zu haben, daß er mit der Schwester seines Freundes allein blieb. Er nahm ihr gegenüber Platz, und schon in der nächsten Minute waren Beide in ein äußerst lebhaftes Gespräch vertieft, welches sich im Grunde um gleichgültige und alltägliche Dinge drehte und aus dem doch eine Fülle von Witz, von Geist und Uebermuth wie ein Raketenfeuer aufsprühte. Frau von Nérac schien Meisterin in diesem Tone zu sein, und der junge Graf zeigte sich ihr darin völlig gewachsen. Die Wolke, die vorhin auf seiner Stirn lag, war bis auf die letzte Spur verschwunden; er lebte und webte jetzt in seinem Elemente.

Auf einmal aber nahm die Unterhaltung eine andere Wendung. Raoul erwähnte zufällig Schloß Steinrück, und der Name rief sofort ein halb spöttisches, halb boshaftes Lächeln auf die Lippen der jungen Frau.

„Ah, das Schloß in den Bergen!“ sagte sie nachlässig. „Henri und ich hätten es gern kennen gelernt, leider verhinderte die – Erkrankung der Frau Gräfin unseren beabsichtigten Besuch.“

„Meine Mutter leidet öfter an diesen Nervenzufällen, die ganz plötzlich eintreten und sehr angreifend sind,“ erklärte Raoul, rasch seine Verlegenheit bemeisternd. „Sie raubten ihr auch diesmal das Vergnügen, so liebe Gäste bei sich zu sehen.“

Frau von Nérac lächelte wieder, unendlich liebenswürdig und unendlich boshaft.

„Ich fürchte nur, daß diese Gäste selbst den ,Nervenanfall‘ hervorgerufen haben!“

„Gnädige Frau!“

„Oder vielleicht auch der General. Jedenfalls waren wir die unschuldige Ursache davon.“

„Sie lassen mich noch immer den unglücklichen Vorfall büßen,“ sagte Raoul gepreßt. „Henri thut das nicht; er kennt die schwierige Stellung, in der ich und meine Mutter uns befinden, und trägt ihr Rechnung.“

„Das thue ich gleichfalls, ich habe die Gräfin trotzdem aufgesucht. Wir mußten uns freilich auf einige flüchtige Besuche beschränken, denn der Herr General fand sich auch später nicht zu einer Einladung veranlaßt. Seine Excellenz scheinen ein sehr absoluter Herrscher zu sein und haben jedenfalls einen sehr gehorsamen Enkel.“

„Was bleibt mir denn Anderes übrig, als zu gehorchen!“ rief Raoul mit unterdrückter Heftigkeit „Meine Mutter hat Recht; sie wie ich stehen unter einem eisernen Willen, der gewohnt ist, rücksichtslos Alles zu beugen und zu brechen, was sich nicht beugen will. Wenn Sie wüßten, wie demüthigend es ist, immer noch bevormundet, examinirt, ausgescholten zu werden wie ein Knabe – ich habe es satt und übersatt!“

Er war in voller Erregung aufgesprungen, während Frau von Nérac, graziös zurückgelehnt, mit ihrem Fächer spielte und jetzt mit vollkommener Ruhe sagte:

„Nun, das wird ja ein Ende nehmen mit Ihrer Vermählung.“

„Ja – mit meiner Vexmählung!“ wiederholte der Graf langsam.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_666.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)