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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Wie das?“ fragte ich erstaunt.

Das schöne Mädchen schürzte die vollen Lippen.

„Er ist eifersüchtig,“ sagte sie kurz.

„Ah!“

„Ich habe ihm kein Recht dazu gegeben,“ fuhr sie eifrig fort; „aber er ist es. Er will nicht, daß ich auf die Bühne komme, damit andere Leute mich nicht auch sehen. Als ob ich nicht Schauspielerin werden will, daß sie mich sehen! Er ist toll!“

„Er liebt Dich, Christine! das ist doch nicht toll. Ich kenne mehr als einen Schauspieler, die ihre Frau um keinen Preis spielen lassen.“

„Ich bin nicht seine Frau. Ich werde es nie werden. Ich liebe ihn nicht mit seinen schwarzen Judenaugen.“

Sie hatte das mit einer Leidenschaft gesagt, die ihre blauen Augen blitzen machte, daß sie mich an ein anderes Paar blauer Augen erinnerten, die allerdings nichts Jüdisches hatten. So war die alte völlig hoffnungslose Liebe doch noch mächtig in ihr und zerstörte ihr ein Glück, das manches andere Mädchen unbedenklich ergriffen hätte!

„Lamarque ist ein großer Künstler,“ sagte ich „und ein braver Mensch.“

„Wie man das nehmen will,“ erwiderte sie spöttisch. „Er ist eben ein Jude.“

Dagegen war denn freilich nicht aufzukommen. Auch wurde ich einer Antwort überhoben, indem jetzt zwei von den Herren, welche im Stücke mitgewirkt hatten, herantraten, um Christine zu begrüßen und mir zu sagen, daß beim Souper ein „Künstlertisch“ reservirt sei, an welchem außer uns nur noch die Frau vom Hause mit ihrem Vetter, Herrn Simmen, einen Platz beanspruchen zu dürfen bitte. Ich konnte mir das Glück eines Souper, vermuthlich an der Seite der vielsprachigen Dame, nicht als ein Ungetrübtes vorstellen und beklagte im Stillen, daß es mir nicht vergönnt sei, mit meiner Mutter aufzubrechen, die mich jetzt zu sich winkte, mir zu sagen, daß sie sich „auf französisch“ empfehlen werde. „Ellinor erwartet mich,“ fügte sie hinzu. „Ich sehe Dir an, Du gingst gern mit, aber noblesse oblige. Also adieu, mein Junge! Unter uns: ich habe schon bessere Gesellschaften gesehen.“

Ich hatte mich, nachdem ich mich von Christine getrennt, aus dem Gewoge in ein stilleres Nebengemach gerettet, wo ich die herrlichen Bilder, welche dort hingen, in Muße mit Entzücken betrachtete, als ich das Rauschen eines seidenen Kleides hörte, welches ich dann auch durch die Blätter einer in der Nähe des Fensters aufgestellten Wand von hohen Blattgewächsen schimmern sah. In demselben Augenblicke vernahm ich auch schon die Stimme der Dame, die in athemloser Hast zu Jemand sagte:

„Wie konntest Du kommen, da Du wußtest, daß ich hier war – und er!“

„Ich wollte Dich wieder einmal sehen – das ist doch Grund genug.“

„Ich bitte Dich himmelhoch – geh’! sofort! Es giebt ein Unglück, wenn Du bleibst!“

„Für wen – für Dich?“

„Ich weiß es nicht. Was quälst Du mich?“

„Sage nur offen heraus: Du willst den Menschen heirathen!“

„Nein! nie!“

„Dann bleibe ich.“

In das sonst verlassene Zimmer drang ein Schwarm von Gästen, an ihrer Spitze ein Kunstgelehrter, wie es schien, der eine neue Acquisition – ein Bild, vor welchem ich vorhin bewundernd gestanden – den Herrschaften zeigen wollte. Laute Ahs! und Ohs! und „wundervoll!“ und dazwischen die Stimme des Docenten. Ich aber dachte nur der beiden Unglücklichen, Ulrich und Christine, deren kurzes Zwiegespräch ich unfreiwillig genug hatte mit anhören müssen, und mein Entschluß war gefaßt. Mochte denn der neue Spahn aus einem neuen Kerbholz gehauen werden! Ich mußte es darauf ankommen lassen.

Er überragte fast die ganze Gesellschaft um Kopfeslänge, und so hatte ich ihn bald gefunden: in einem Saale, den ich bis jetzt noch nicht betreten, dem Musiksaale, dessen Stuckmarmorwände nur über den Thüren mit Fresken geziert waren, aber jedes anderen Schmuckes ermangelten, wie der parkettirte Fußboden des sonst obligaten Teppichs. Er stand an eine Säule gelehnt mit untergeschlagenen Armen, offenbar wenig des Gesanges achtend, der Frau Lili’s vibrirenden Lippen entströmte und von irgend einem Virtuosen begleitet wurde, während Mister Fred Simmen die Notenblätter umwandte, sondern Christine fixirend, die in einer der letzten Reihen des auf vergoldeten Stühlen sitzenden, zahlreichen, andächtig lauschenden Publikums saß. Ich berührte seinen Ellbogen und winkte ihm schweigend aus dem Saale. Er folgte mir sofort. Wir geriethen wieder in die kleine Galerie, die jetzt von dem Kunstgelehrten und seiner Zuhörerschaft verlassen war. Ich deutete auf die Fensternische hinter den Blattgewächsen und sagte:

„Da habe ich gesessen. Ich mußte Euch hören, ob ich wollte oder nicht. Ihr ließt mir auch keine Zeit, mich bemerklich zu machen. So viel zu meiner Entschuldigung.“

„Wo soll das hinaus?“ fragte er mit rauher Stimme.

„Das wird ganz auf Dich ankommen,“ erwiderte ich. „Du hast mir zwar ganz folgerichtig Deine Freundschaft gekündigt, seitdem Du weißt, daß ich Dein illegitimer Verwandter bin. So laß mich denn Dein einfaches Menschengefühl anrufen, mit dem Du, scheint mir, in Konflikt geräthst, wenn Du ein Verhältniß fortsetzen willst, aus welchem, wie Du mir selbst zugegeben, nur Unglück für das Mädchen erwachsen kann. Ich vermag das weder mit Deinem Wesen zu vereinbaren, wie ich es sonst kannte und liebte, noch mit der Loyalität, zu der Du Dich bekennst und die man, däucht mir, einem hilflos schwachen Geschöpf in erster Linie zu Gute kommen lassen muß.“

„Bist Du zu Ende?“

„Ich wüßte wenigstens nicht, was ich Jemand, der ein Ohr hat zu hören, mehr sagen könnte.“

„Noch eine Vorfrage: kommst Du im Auftrage von Herrn Lamarque?“

„Ich habe keinen Auftrag von Herrn Lamarque, auch würde ich einen solchen nicht annehmen. Es handelt sich für mich in der ganzen Angelegenheit nur um Dich.“

„Ich habe also nur mit Dir zu thun. So erlaube mir denn die Bemerkung, daß Alles, was Du da über eine Sache, die Dich schlechterdings nichts angeht, vorgebracht hast, von A bis Z eine bodenlose – Unverfrorenheit ist.“

„Du wolltest ein derberes Wort gebrauchen. Ich mußte leider darauf gefaßt sein. Es ist auch sicher in Deinen Augen die elendeste Feigheit, daß ich nicht mit einer Herausforderung antworte. Glücklicherweise bin ich ein und das andere Mal in der Lage gewesen, mir zu beweisen, daß ich mein Leben nicht höher achte, als es einem anständigen Menschen erlaubt ist. Ich meine, Du solltest das wissen und mich nicht abfertigen wie den ersten Besten, der Dir über den Weg läuft.“

„Auf deutsch: Du kneifst?“

„Ich kenne den eleganten Ausdruck nicht; wenn er so viel bedeutet als: daß ich mich mit Dir nicht schlagen will, so hast Du allerdings Recht.“

„Dann bleibt mir leider nichts Anderes übrig, als Dir in Gegenwart von ein paar einwandsfreien Zeugen, wie sie da eben zur Thür hereintreten –“

Ich wich nicht zurück, sondern blickte ihm nur fest in die rollenden Augen. Der Löwe konnte den Blick nicht aushalten und etwas wie ein dumpfes Stöhnen brach aus seiner breiten Brust.

„Schlagododro!“ sagte ich leise.

Die rollenden Augen waren starr geworden, und jetzt lag es über ihnen wie ein feuchter Nebel, den er unwillig rasch wegzuwischen suchte.

„Lieber Schlagododro!“ sagte ich noch einmal, seine Hand ergreifend. „Ich danke Dir. Es ist besser so. Es wäre zwischen Dir Riesen und mir Krüppel ja doch nur ein amerikanisches Duell möglich gewesen. Und nun thue mir die Liebe und geh’! Geh’ auf der Stelle! Ich würde Dich begleiten; ich könnte es nicht ohne die größte Unhöflichkeit, da die Gesellschaft ja doch einmal nominell mir zu Ehren gegeben wird.“

„Adieu dann!“ sagte er. „Ich besuche Dich morgen. Es kann auch in der anderen Sache – der Familiensache – nicht so zwischen uns bleiben. Wir müssen da einen Ausweg finden.“

„Und werden ihn finden. Aber jetzt geh’!“

„Also noch einmal adieu! Auf Wiedersehen!“

Er hatte mir – sehr vorsichtig, der liebe Kerl! – die Hand geschüttelt und stürmte davon. Ich blickte ihm nach, das Herz voll Jubel. So hatte ich ihn doch noch nicht verloren, den

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