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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

geringste Wirkung hervorgebracht hat? Narrenspossen hat er getrieben. Der Junge wird mich noch ins Grab bringen.“

„Onkel, sei nicht ungerecht,“ sagte Michael vorwurfsvoll, „Du weißt es ja, daß Hans an einem größeren Werke arbeitet, und ich versichere Dir, daß er sehr fleißig ist, aber Du verweigerst es hartnäckig, auch nur einen Blick darauf zu werfen. Ich sollte meinen, er hätte Dir und uns Allen schon eine Probe seines Talentes gegeben. Das Bild des Professor Walter hat allseitige Anerkennung gefunden: es war nur eine Stimme des Lobes darüber, und die Zeitungen sprachen sogar –“

„Von dem genialen Sohn des berühmten Vaters!“ fiel ihm Wehlau grimmig in die Rede. „Kommst Du mir auch damit? Was für Beglückwünschungen habe ich schon deßwegen ausstehen müssen und was für Grobheiten habe ich den Leuten darauf gesagt! Aber es nützt nichts. Alle Welt nimmt ja Partei für den Jungen; alle Welt ist im Komplott mit ihm und amüsirt sich köstlich über den Streich, den er mir auf der Universität gespielt hat.“

„Sogar Professor Bauer, als er neulich auf der Durchreise hier war,“ schaltete Michael ein.

„Ja, das war nun vollends das Aergste. ,Kollege!‘ habe ich ihm gesagt, ‚wissen Sie denn, was mein gottloser Bube in Ihren Vorlesungen getrieben hat? Karikirt hat er Sie und das ganze Auditorium! Eine Skizze hat er gezeichnet, auf der Sie, zum Sprechen ähnlich, angethan mit allen Attributen der Naturwissenschaft, die vier Elemente in einem Hexenkessel zusammenrühren, während Ihre Studenten das Feuer schüren.‘ Was giebt mir der Mann zur Antwort? ‚Ich weiß, bester Kollege, ich weiß! Ich habe das Bild sogar gesehen, und es ist bei allem Uebermuth so genial hingeworfen, daß ich herzlich gelacht und meinem fahnenflüchtigen Schüler verziehen habe – machen Sie es auch so!‘“

„Du solltest den Rath befolgen, Onkel, das wäre wirklich das Beste. Uebrigens wollte ich Dich nur begrüßen; ich muß jetzt zu Hans in das Atelier.“

„In das Atelier!“ spottete ihm der Professor nach. „Es mag eine schöne Wirthschaft da drinnen sein. Ich wollte, der Gartenpavillon wäre stockfinster, oder das Wasser liefe von den Wänden, dann würde der Herr Maler es schon bleiben lassen, darin zu pinseln. Jetzt hat er sich häuslich dort niedergelassen, mir gerade vor der Nase, als ob sich das von selbst verstände. Nun, so geh’ Du denn meinetwegen in das ,Atelier’! Die große Sehenswürdigkeit wird ja sogar von der Aristokratie in Augenschein genommen, aber ich setze keinen Fuß hinein; das sage ich Euch.“

Er wandte sich grollend wieder zu seinen Büchern, und Michael, der aus Erfahrung wußte, daß es das Beste war, wenn man ihn in solcher Stimmung allein ließ, ging zu seinem Freunde.

Der Pavillon, wo der junge Künstler seine vorläufig noch sehr bescheidene Arbeitsstätte aufgeschlagen hatte, lag am Ende des Gartens. Er enthielt nur einen einzigen, aber genügend großen Raum; man hatte hier ein Fenster verdeckt, dort eins erweitert, hatte ein Oberlicht hergestellt und auf diese Weise das Atelier hergestellt, das dem Professor ein Dorn im Auge war, um so mehr, als er gar nicht um Erlaubniß gefragt wurde.

Hans befolgte dem Vater gegenüber stets die gleiche Taktik; er widersprach ihm niemals offen, und das „Jawohl, Papa!“ war eine stehende Redensart bei ihm. Dabei that er aber in aller Gemüthsruhe regelmäßig das Gegentheil von dem, was der Vater verlangte, und in der That war es die einzig richtige Art, den cholerischen alten Herrn zu behandeln.

Wehlau hatte seinem Sohne in schroffster Weise die Mittel zu einem eigenen Atelier versagt, und Hans, der noch keine eigenen Einnahmen besaß, mußte sich fügen, aber er ergriff noch an demselben Tage Besitz von dem Gartenpavillon, ließ Maurer und Zimmerleute kommen, ließ Alles genau nach seiner Angabe einrichten und legte dem Vater, der soeben von einer kleinen Reise zurückkehrte, die Rechnung auf den Arbeitstisch. Der Professor war natürlich außer sich darüber, erklärte, er dulde dergleichen nicht auf seinem Grund und Boden, und schaute das Atelier tagtäglich mit wüthenden Blicken an, aber er bezahlte die Rechnung, und Hans hatte wieder einmal seinen Willen durchgesetzt.

Augenblicklich stand der junge Künstler vor seiner Staffelei und malte an einem größeren Bilde, während Michael ihm gegenüber mit verschränkten Armen an einem Eckpfeiler lehnte. Die Unterhaltung schien ins Stocken gerathen zu sein, denn es vergingen wohl an zehn Minuten, ohne daß Einer der Beiden ein Wort sprach, plötzlich aber hielt Hans mit seiner Arbeit inne und sagte: „Höre, Michael – Du gefällst mir gar nicht!“

Michael schien ganz vergessen zu haben, daß er seinem Freunde als Modell diente. Es lag etwas von der alten Knabenträumerei in seinem Blick und etwas von der alten Starrheit in seinen Zügen. Beim Klange der Stimme fuhr er wie erwachend auf.

„Ich? Weßhalb nicht?“

„Da haben wir es! Du schreckst auf wie ein Nachtwandler, den man anruft. Woran hast Du denn eigentlich gedacht? Du bist der richtige Hans Träumer geworden, seit wir aus den Bergen zurück sind; ich erkenne Dich gar nicht mehr wieder.“

Der junge Hauptmann fuhr mit der Hand über die Stirn und erzwang ein Lächeln.

„Ich glaube, mir fehlt der Waffendienst; vielleicht habe ich mich auch etwas überarbeitet in den letzten Monaten.“

„Wahrscheinlich! Du bist ja ein wahrer Arbeitsfanatiker, was mein Fehler nun grade nicht ist. Jetzt aber thue mir den Gefallen und mache ein anderes Gesicht, diese melancholische Miene kann ich nicht brauchen.“

„Wie soll ich denn aussehen?“

„Möglichst wüthend! So etwa wie mein Papa aussieht, wenn er sich auf zweihundert Schritt Entfernung mein Atelier anschaut, aber großartiger, heroischer! Du kannst doch so aussehen, das weiß ich. Ich quäle mich nun schon seit Wochen, um den rechten Ausdruck zu finden, aber es will nicht glücken. Ich muß ihn in der Wirklichkeit suchen, und Du mußt ihn mir schaffen.“

„Ich begreife nicht, weßhalb Du so hartnäckig darauf bestehst, grade meinen Kopf zu benutzen,“ sagte Michael unmuthig. „Er paßt nun einmal nicht zu einem Idealbilde, und es ist ja auch ein ganz anderes Gesicht, was Du da auf die Leinwand gebracht hast.“

„Das verstehst Du nicht,“ erklärte Hans überlegen. „Dein Kopf ist mir mehr werth als das beste Modell. Natürlich soll es kein Portrait werden, aber was ich von Deinen Zügen brauchen kann, das habe ich auch auf dem Bilde. Nur der Ausdruck, die Augen – da fehlt es! Ich wollte, ich könnte Dir einmal einen grenzenlosen Aerger bereiten, Dich über irgend etwas in Wuth bringen, daß Du dies Etwas gleich zehnmalhunderttausend Klafter tief in den Abgrund schmettern möchtest, wie Dein Namensvetter da den Gottseibeiuns – dann wäre mir geholfen!“

„Das ist ja ein recht uneigennütziger Wunsch. Leider wird er nicht in Erfüllung gehen, denn ich bin gar nicht in der Stimmung, mich zu ärgern.“

„Nein, Du bist in einer höchst langweiligen Stimmung und machst das entsprechende Gesicht dazu; wir müssen es für heute aufgeben. Schade, ich hätte meinem Erzengel gern noch einen charakteristischen Zug gegeben, da er heute doch vor dem erlauchten Geschlecht paradiren soll, dessen Schutzpatron er ist.“

Er legte mit einem Seufzer Pinsel und Palette nieder, Michael aber war bei den letzten Worten aufmerksam geworden.

„Vor wem soll das Bild paradiren?“ fragte er rasch.

„Vor der Gräfin Steinrück und ihrer Tochter – was hast Du denn?“

„Nichts, ich wundere mich nur, daß sie in Dein Atelier kommen. Hast Du sie eingeladen?“

„Nicht geradezu, aber es machte sich so gesprächsweise. Ich traf die Damen gestern bei Frau von Reval, sie fragten nach meinen Arbeiten; der Gegenstand schien sie zu interessiren, und da wurde mir der heutige Besuch zugesagt. Ich wittere so etwas von einem Auftrag für die Patronatskirche, und das wäre mir sehr erwünscht. Dann könnte ich meinem Papa beweisen, daß meine Farbenkleckserei auch einen praktischen Erfolg hat, bis jetzt hält er sie immer noch für Spielerei. – Willst Du etwa schon wieder fort?“

„Gewiß, ich denke, Du brauchst mich nicht mehr.“

„Nein, aber ich habe der Gräfin, die sich nach Dir erkundigte, gesagt, Du seiest um diese Zeit stets zu Haus und würdest Dir ein Vergnügen daraus machen, sie zu begrüßen.“

Michael’s Stirn verfinsterte sich; einige Sekunden lang schien er mit sich zu kämpfen, dann sagte er kalt:

„Dann muß ich freilich bleiben.“

„Wenn Du Dein unverantwortliches Benehmen vom Sommer einigermaßen wieder gutmachen willst, allerdings. Gräfin Hertha hat es Dir entschieden übelgenommen; ich sah es deutlich, als von Dir die Rede war. Sie war übrigens gestern auffallend ernst und verstimmt.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_646.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)