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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

die aus Böhmen und anderen Gegenden zu ihr gekommen, stärkere Connexion, als seit der Krieg geendet und Friede worden, gehabt; dann und wann sind wohl auch zeither Juden zu ihr gekommen, jedoch nicht in so großer Menge wie sonst. Sie hat bei ihren Lebzeiten sehr fleißig in der Bibel gelesen und sich das Jüdisch-deutsch, vielleicht mit Vorsatz, angewöhnt; es ist ferner wahr, daß sie den Sonnabend jeder Woche vor ihren Sabbath gefeiert und den Christen, wenn sich diese dazu brauchen ließen, am Sonntag gern etwas zu schaffen gemacht, auch ist wahr, daß sie kein Schweinefleisch, keinen im Blut erstickten Vogel oder ander dergleichen Federvieh noch einen Fisch ohne Schuppen gegessen; es besteht ferner in Wahrheit, daß sie zwar anfänglich, da sie als Arrestantin nach Stolpen gebracht worden, den hiesigen Gottesdienst besucht, seit vielen Jahren aber nicht mehr in unsere Kirche gekommen.“

So ist diese in ihrer Jugend wegen ihres Geistes gefeierte Dame, welche später alle Schriften der französischen Freidenker, eines Voltaire und Rousseau mit Eifer durchgelesen hatte, am Ende ihres Lebens auf die sonderbare Grille gekommen, den Talmud zu studiren, sich in ein hohenpriesterliches Gewand zu werfen, die jüdischen Ritualgesetze zu beobachten, kurz, wenn auch nicht in aller Form zum Judenthume überzugehen, doch in wesentlichen Hauptpunkten als fromme, glaubenstreue Jüdin zu leben: eine Kuriosität, für welche die Geschichte kein ähnliches Beispiel aufzuweisen vermag.  

Die Bestattung des Herzens König Ludwig’s II. in Alt-Oetting. Das uralte niederbayerische Wallfahrtskirchlein, dessen hochberühmtes schwarzes Madonnenbild von frühen Zeiten an gläubige Herzen von nah und fern beizog, ist seit zwei Jahrhunderten zum seltsamen Mausoleum erhoben worden für die todten Herzen der wittelsbachischen Kurfürsten und Könige. In einer kleinen Rotunde der reichgeschmückten Gnadenkapelle stehen in Mauervertiefungen die silbernen Urnen, welche jeweils nach dem Tode der Fürsten in feierlicher Procession hierhergebracht wurden, und in den ersten Augustwochen drängte sich hier die Menge vor der leeren Nische, die bestimmt war, das Herz des Königs aufzunehmen, dessen ungekannter Persönlichkeit und schrecklichem Ende das Volk in ganz Bayern den leidenschaftlichsten Antheil widmet. Zur selben Zeit drängten sich in München die Menschen vor dem Schaufenster des Silberarbeiters Wollenweber, wo die herzförmige silberne Urne ausgestellt war. Sie mißt 60 Centimeter und ist im Stile Ludwig’s XIV. verziert. An beiden Seiten mahnen außerdem noch Sträußchen von Alpenrosen und Edelweiß an die Lieblingsneigungen des unglücklichen Königs.

Am 16. August wurde durch eine Kommission das einbalsamirte Herz in eine Zinkkapsel gelegt und diese in das silberne Behältniß eingefügt, hierauf durch den Stiftsdekan Türk in sechsspännigem Wagen mit großem Geleite von Hatschieren, Militär und den Wagen der hohen Kronbeamten nach dem Münchener Ostbahnhof gebracht. Von allen Thürmen tönte das Trauergeläute, massenhaft standen die Menschen in den Straßen, entblößten ehrfurchtsvoll die Häupter und schritten vielfach laut betend hinter dem Zuge drein.

Alt-Oetting, der Begräbnißort der Herzen der bayerischen Könige.0(† Gnadenkapelle.)
Originalzeichnung von R. Püttner.

Der Weg, welcher mit den Herzen früher verstorbener Könige langsam, im Schritt, von Ort zu Ort zurückgelegt werden mußte, nahm nun durch den Eisenbahnzug nur zwei Stunden in Anspruch, um neun Uhr früh erfolgte die Ankunft in Neu-Oetting, wo eine große Menschenmenge bereit stand, das Königsherz nach dem nahen Alt-Oetting zu geleiten. Am Portal der Wallfahrtskirche erwartete dort der Bischof von Passau im großen Ornat, umgeben von seiner Geistlichkeit, die in mehreren Wagen herannahende Kommission, der große Platz vor der Wallfahrtskirche war dichtgedrängt von Scharen ländlicher Bevölkerung, die nebst ihrer Geistlichkeit hereingeströmt waren, der Ort selbst war mit Kränzen, Trauerfahnen und Bildnissen des Königs aufs Reichste geschmückt, die tiefe, allgemeine Theilnahme zeigte sich überall. Vor dem Hochaltar war der prachtvolle Katafalk errichtet mit Krone, Scepter und Wappenschildern, in welchem nun der Bischof die Urne barg, bis das feierliche Hochamt vorüber war, dem eine große Menge von hohen Beamten, Militärs und Geistlichen anwohnten, dann wurde das Königsherz in großer feierlicher Procession in die Gnadenkapelle zur letzten Ruhe getragen. Stiftsdekan Türk hielt eine einfache, ergreifende Rede, segnete das Gefäß und stellte es unter den Schutz der Gnadenmutter, bis zum Tag der Auferstehung. Ueber dem Eingang der Kapelle befand sich das Bild des Königs in der Tracht seines Hubertus-Ordens, darunter lateinisch die Inschrift: „Ludwig, König von Bayern, geboren zu München 1845, starb 1886 zu Berg, von hier kamen seine Gebeine nach München, das Herz in diese Kapelle, die Seele in den Himmel.“ Mit dieser Feier schließt die Tragödie des unglücklichen Königs. A. 

Von der Kaiser-Parade. (Mit Illustration S. 612 u. 613.) Auf der diesjährigen Jubiläums-Kunstausstelluug in Berlin befindet sich ein Oelgemälde des Malers Hünten nach einer von ihm im Jahre 1884 während der Kaisermanöver am Rhein aufgenommenen Skizze.

Wir geben in unserem Holzschnitte (S. 612 u. 613) das Bild wieder, das eine Episode aus der Kaiserparade des achten Armeekorps bei Lommersum, Kreis Euskirchen, zum Gegenstand hat und den Moment darstellt, in welchem Kaiser Wilhelm, umgeben von einer glänzenden Suite, das in der Parade stehende vierte Garde-Grenadier-Regiment (Königin Augusta) aus Koblenz besichtigt, auf dessen rechtem Flügel die Kaiserin Augusta, als Chef des Regiments, in ihrer Equipage hält.

Der Künstler selbst schreibt uns über sein Bild unter Anderem:

„Unser Kaiser, als er an den rechten Flügel der Parade-Aufstellung ritt, begrüßte zuerst seine hohe Gemahlin durch kräftigen Handdruck, worauf beide Majestäten die Front abritten, respektive fuhren.“

Die charakteristische Gestalt des fest und gerade im Sattel sitzenden Kaisers ist überaus gelungen wiedergegeben, auch fesselt das Bild der Kaiserin Augusta durch die große Aehnlichkeit.

Die sämmtlichen anderen auf dem Bilde befindlichen Personen sind ebenfalls Portraits. Beginnt man auf der äußersten Linken (vom Zuschauer aus), so bemerkt man in zweiter Reihe General von Strubberg (früher Oberst des Regiments), in erster Reihe den kommandirenden General des 8. Armee-Korps, Graf Loë; neben diesem von Pape, den kommandirenden General des Garde-Korps. Zwischen Beiden links General von Sobbe, Chef des Stabes des 8. Armee-Korps, General von Kaltenborn, Chef des Stabes des Garde-Korps, dieser nur halb sichtbar; dann, ebenfalls in zweiter Reihe, Generallieutenant von Oppell, Generalmajor Graf von Roon, beide vom Garde-Korps; ferner den Kabinetsrath der Kaiserin von dem Knesebeck, daneben Graf Beißel. Hinter dem Kaiser Fürst Wied, Oberst von Schauroth, Oberstlieutenant von Redern, Regiments-Adjutant von Strubberg jun. Dann die hohe, ritterliche Gestalt des deutschen Kronprinzen, salutirend auf seine kaiserlichen Eltern zusprengend; ferner Prinz Wilhelm in Husarenuniform, und endlich zum Schluß, ganz rechts, Generalfeldmarschall Graf von Moltke. Auch der riesige Flügelmann des unter den Klängen des Präsentirmarsches mit präsentirtem Gewehr in Linie stehenden Regiments ist Portrait.

Das Bild nimmt vermöge seiner Naturtreue das Interesse in außerordentlicher Weise in Anspruch und veranschaulicht zugleich eines jener großen militärischen Schauspiele, durch welche die deutsche Armee die Bewunderung aller übrigen Nationen auch im Frieden auf sich lenkt. H. 

Wirkung einer Riesensprengung in 385 Kilometer Entfernung. Der erste Direktor der Harvard-College Sternwarte in Boston, Professor William Bond, that einst den Ausspruch, daß der riesige Fundamentstein, auf welchem der große Reflektor aufgerichtet ist, nicht einmal durch ein Erdbeben erschüttert werden könne. Gelegentlich der Sprengung des Flood Rock in der Hell-Gate-Einfahrt des New-Yorker Hafens am 10. Oktober 1885 wurde diese Behauptung durch Beobachtungen des Professors W. A. Rogers als unrichtig erwiesen, der die Schwingungsdistanz durch ein auf den massiven Kellerboden gestelltes Schälchen voll Quecksilber ermittelte. Auf der blanken Quecksilberfläche war ein fleckiger Punkt, über welchem ein 750 Mal vergrößerndes Mikroskop so aufgestellt wurde, daß die Spinngeweblinie genau über dem Pünktchen lag. Die erste wahrgenommene Schwingung durch die Explosion betrug ungefähr ein Tausendstel Zoll und kehrte in Pausen etwa zwei Minuten hindurch wieder; die größte Erschütterung des Quecksilbers dehnte sich über ein Fünfhundertstel Zoll aus.

Die Luftlinie zwischen dem Hell-Gate und der Sternwarte beträgt 385 Kilometer. An beiden Punkten war genaueste Uebereinstimmung der Zeit. Diese Explosion von 150000 Kilogramm der kräftigsten Sprengstoffe, deren Hebekraft auf 2 1/3 Trillionen Pfund berechnet wurde, ist in dem illustrirten Artikel „Eine Riesensprengung“, Jahrgang 1885, S. 711 der „Gartenlaube“ ausführlich beschrieben. R. 



Kleiner Briefkasten.

P. K. in Berlin. Sie müssen sich an einen Specialarzt wenden; vergleichen Sie gefälligst unseren Artikel „Briefliche Kuren“ S. 138 dieses Jahrgangs.


Inhalt: Sankt Michael. Roman von E. Werner (Fortsetzung). S. 609. – Spielkameraden. Illustration. S. 609. – Am Sedantage. Gedicht von Rudolf von Gottschall. S. 614. – Aus den Schlössern König Ludwig’s II. II. Neuschwanstein. S. 615. Mit Illustrationen, S. 615 und 617. – Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 616. – Aus Heidelbergs Jubeltagen. Von G. Waltz. S. 624. Mit Illustrationen S. 621, 624, 625 und 626. – Blätter und Blüthen: Die neue Spieloper. S. 627. – Eine jüdische Proselytin. S. 627. – Die Bestattung des Herzens König Ludwig’s II. in Alt-Oetting. Mit Illustration S. 628. – Von der Kaiserparade. S. 628. Mit Illustration S. 612 und 613. – Wirkung einer Riesensprengung in 385 Kilometer Entfernung. S. 628. – Kleiner Briefkasten. S. 628.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_628.jpg&oldid=- (Version vom 23.10.2022)