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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

sehe in letzter Zeit den Oberst seltener in Folge gewisser politischer Meinungsverschiedenheiten, die sich zwischen ihm und dem Bruder herausgestellt, von denen er aber hoffe, daß dieselben jetzt schwinden, wenigstens für den Oberst nicht länger verhängnißvoll sein würden, seitdem – heute – der famosen ersten Broschüre eine zweite gefolgt sei, in welcher sich der Verfasser genannt und sich zugleich zu der Autorschaft der ersten bekannt habe: ein gewisser Adalbert von Werin, jedenfalls der Sohn eines excentrischen Officiers, dessen er sich wohl erinnere und der auch ein Jugendfreund des Obersten gewesen sei. Damit sei dem Oberst ein großer Dienst erwiesen. Nachdem der Verdacht, der so lange auf ihm gelastet und den er durch sein hartnäckiges Schweigen bestärkt, von ihm genommen, habe er es in der Hand, sich durch ein nur einigermaßen versöhnliches Auftreten, wenn er nur wolle, vollständig zu rehabilitiren. Und er müsse es ja wollen. Mein Gott, was solle daraus werden, wenn nun gar ein Vogtriz, noch dazu in solcher Stellung, sich zu den Königsfeinden schlüge! Die ganze Familie sei ja dadurch auf das Heilloseste kompromittirt, die Dutzende von Vogtriz in der Armee und im Civildienst in ihrer Karrière gefährdet. Und was solle aus der Verbindung zwischen Ellinor und Astolf werden, die doch nun einmal beschlossene Sache sei, obgleich er für sein Theil kein wesentliches Interesse an dem Zustandekommen derselben habe – im Gegentheil! Die Universalerbschaft Ellinor’s stehe und falle mit dieser Verbindung; mithin könnten bei einem eventuellen Zurücktreten Astolf’s die Chancen für ihn und seinen Sohn nur steigen. Womit er nicht gesagt haben wollte, daß er das Zurücktreten wünsche – Gott bewahre! Dazu habe er einen zu ausgeprägten Familiensinn! Er spreche über das Alles ganz offen mit mir, weil meine Anhänglichkeit an die Familie so allgemein bekannt sei, daß man mich fast zu derselben rechnen dürfe, und ich speciell das Ohr des Bruders habe, dem ich nicht verfehlen möchte, mitzutheilen, was er (der Sprecher) ihm selbst gesagt haben würde, hätte er dazu heute Abend die erhoffte und nun leider verfehlte Gelegenheit gehabt.

Ich hatte während dieser langen Auseinandersetzung dem Präsidenten scharf in das bartlose, hagere, von diplomatischen Falten durchschlängelte Gesicht gesehen und die Ueberzeugung gewonnen, daß er aus Herzensgrunde zweierlei wünschte, einmal: es möchte der Oberst einen decenten Abschied nehmen, der die Familie nicht bloßstellte, und zweitens: es möchte so oder so zu einem Bruch zwischen Ellinor und Astolf kommen und einer seiner Söhne an des Letzteren Stelle treten. Aber was ging das mich an? Was hatte ich hier zu suchen, wo Jeder gegen Jeden intriguirte und Einer nach dem Anderen geschäftig war, mich in das Netz hineinzuspinnen, in welches ich mich schon so weit hatte hineinspinnen lassen, daß es mir wie ein Alp auf der Brust lag und ich ersticken zu müssen meinte? Aber wer oder was konnte mich halten, wenn ich mich nicht halten lassen wollte? Und konnte ich mich halten lassen wollen, ohne zum Verräther zu werden an mir selbst?

(Fortsetzung folgt.)




Aus Heidelbergs Jubeltagen.
Mit Illustrationen von H. Kley.


Auffahrt des Großherzogs von Baden und des Kronprinzen des Deutschen Reiches vor der Festhalle.

Herrliche, unvergeßliche Tage waren es, die vom 2. bis 9. August in Heidelberg gefeiert wurden. Die Augen der civilisirten Welt waren auf die kleine Stadt am Neckarstrande gerichtet, wo eine Woche lang das Herz Deutschlands schlug. Ist ja doch Heidelberg Allen ins innerste Herz gewachsen, Allen, denen es vergönnt war, auf seinen Bergen und in seinen Straßen zu Wandeln und die wunderbare Harmonie von Natur und Kunst, von Geist und Geselligkeit, die seinen Hauptvorzug bildet, auf sich wirken zu lassen. Aber auch solche, die Heidelberg nie betraten, haben doch so viel von ihm gehört, daß ihre sehnsüchtige Aufmerksamkeit fortan darauf gerichtet blieb und daß sie es uns Dank wissen werden, wenn wir eine Reihe von Jubiläumsbildern vor ihren Augen entrollen.

Eine Kette von Kleinodien, so könnte man die Tage der Festwoche betiteln, von Kleinodien, jedes besonders in seiner Art, aber keines gern dem andern die Palme des Glanzes und der Pracht zugestehend. Zehntausend Gäste aus allen Gauen Deutschlands und auch aus den benachbarten Ländern kamen nach Heidelberg, und durch die festlich geschmückten Straßen flutheten und drängten die Massen nach der Festhalle auf dem Lauerplatz, vor deren Eingang wir auf dem ersten unserer Bilder die höchsten der Gäste, den Kronprinzen des Deutschen Reiches in Begleitung des Großherzogs erblicken. Die rothen Livréen der Hofkutscher und Lakaien geben dem Empfang einen farbenbunten Anstrich, während die nach Hunderten zählende Volksmenge es nicht an begeisterten Hurrahs fehlen läßt. Von dem Entrée bis zur Front der Halle im Hintergrund zieht sich der mächtige, von Rasen umsäumte und mit Wimpeln, Wappen, Guirlanden, Lampions und stattlichen Studentenfiguren gezierte Vorplatz, und dann erscheint die Westfront, architektonisch einen ebenso imposanten wie harmonischen Eindruck hervorrufend. Die hochragenden Thürme mit ihren vergoldeten Dächern, ihren von Putten getragenen Wappen, ihrem Spruch „Fröhlich Pfalz, Gott

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_624.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2021)