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immer, er müßte sein wie Du, vielmehr, Du seiest der Messias, denn mehr als glücklich kann er uns doch nicht machen und uns erlösen aus unserm Elend, als Juden geboren zu sein, und das hast Du für mich gethan.“

„Ich verdanke Dir auch viele gute Stunden,“ flüsterte ich.

„Nicht viele,“ erwiderte sie lächelnd, „ein paar, wenn Du Dich einmal besonders hilflos und verlassen fühltest und dann zu uns kamst, wie ein Königssohn, dem gelegentlich auch das Butterbrot bei einem seiner Dienstleute schmeckt. Ach, ich spotte nicht. Ich sage es auch ganz offen: unsre Nähe, der Umgang mit uns haben Dir wohlgethan, sie haben Dich zu dem machen helfen, wozu Du die Bestimmung in Dir trugst: ein Mensch zu werden, dem nichts Menschliches fremd ist, der durch die Masken der anderen Religion, des anderen Volksthumes, des anderen Standes immer wieder das Menschliche erkennt, hervorsucht, liebt und verehrt. Solche Menschen giebt es ja so wenig. Das weiß wohl Niemand besser als wir Juden, wenn wir es auch meistens leider dabei bewenden und uns lieber bemitleiden lassen, anstatt uns geistig und moralisch in eine Lage zu bringen, wo wir des Mitleids nicht mehr bedürfen würden.“

Auf den bleichen Wangen waren zwei brennend rothe Punkte hervorgetreten; ich blickte ihr ängstlich in die strahlenden Augen; sie lächelte und sagte:

„Laß mich immer sprechen! Wenn man so viele Jahre geschwiegen hat, und es zu Ende geht, und ein unendliches Glück uns den zuführt, dem wir verdanken, daß wir uns aus dem Wust des Aberglaubens und Vorurtheils retten durften, sollen wir da nicht sprechen?“

Und ein völlig seliger Blick war es, der in den großen Augen schimmerte, wie das Leuchten einer Sonne im Momente des Untergehens.

Und über den, wie ich noch anbetend hineinblickte, die Lider mit den langen dunklen Wimpern sanken, einer Wolke gleich, die sich über die scheidende Sonne deckt und Duft und Farbe weglöscht von der eben noch schimmernden Welt. Ich erschrak heftig, denn ich glaubte, dies wachsbleiche Gesicht mit den doch nicht ganz geschlossenen Augen sei der Tod. Aber das Gewand über der Brust hob und senkte sich noch, und da stand plötzlich die Mutter hinter ihrem Stuhl und winkte mir. Ich erhob mich leise und so folgte ich der Mutter aus dem Gemach in den Flur, in welchem inzwischen Licht angezündet worden war. Der alten Dame – sie war in den paar Jahren ganz alt geworden – liefen die hellen Thränen über die runzligen Wangen, als sie mich jetzt zu der Ausgangsthür geleitete und dabei fortwährend in ihrer durch das Weinen noch schwerer verständlichen Weise murmelte. Ich glaubte nur zu vernehmen, daß „ich sie bald wieder beehren möchte, trotzdem eine alte verlassene Frau und ein krankes Kind keine Ansprüche an einen so feinen Herrn machen könnten,“ und daß „sie hoffe, ich werde fortfahren ihrem armen Sohne ein guter Freund zu sein.“

Während ich die Marmortreppe hinabstieg, die jetzt im Licht der Kandelaber strahlte, dachte ich mit Verwunderung, welch sonderbarer Menschenboden dieser jüdische doch sei, der so unschmackhafte Früchte bringe und dann wieder andere von so berauschender Süßigkeit, gerade wie in ihrem heimischen Orient hart am Rande der steinigen Wüste die Zweige der Dattelpalme wehen.

Ich aber hatte im Schatten der Palmexr wonnevoll geruht und mich an ihren Früchten wundersam gestärkt zu dem Kampf des Lebens, von dem mir mein ahnendes Gemüth sagte, daß er mir jetzt hereindrohe, grimmiger als je zuvor, zu einer Entscheidung, in der es sich für mich um nichts Geringeres handelte, als um Sieg oder Tod.

7.

Es war gekommen, wie ich vorausgesehen: der Oberst hatte die Einladung zu Tante Isabella abgelehnt. Die officielle Entschuldigung war ein Unwohlsein, welches in der That vorhanden war, ihn aber nicht verhindert haben würde, hinzugehen, hätten ihn nicht andere Gründe abgehalten, die er mir nicht verschweigen wollte.

„Ich habe,“ sagte er, „nachdem ich Ellinor fünf Jahre so gewähren ließ, das Recht verloren, mich in ihre Angelegenheiten zu mischen und nun gar mir eine Entscheidung in denselben anzumaßen. Wenn ich recht bedenke, gehörte sie mir schon nicht mehr, als ich sie damals, beim Beginn der Kampagne, nothgedrungen aus den Händen gab : vielleicht hat sie mir im rechten Sinne nie gehört; sie so wenig wie ihre Mutter.

Das klingt sehr hart und lieblos, aber wie die Menschen über eine gräßliche Verstümmelung ihres Körpers zuletzt ruhig sprechen lernen, so spricht man auch endlich mit Ergebung über ein tiefstes Seelenleid. Und welches Leid ist tiefer und schmerzlicher für die Seele eines .frauenhaft gesinnten’ Mannes – um mich eines Goethe’schen Wortes zu bedienen – als die Gewißheit, sich in der Wahl einer heißgeliebten Gattin völlig geirrt zu haben. Es war mein Fall.

Ein hoffnungsloser. Ich wußte es nach wenigen Monden, ich möchte sagen: Tagen, und daß die Jahre daran nichts ändern und bessern würden, im Gegentheil: nur die tiefe Differenz des Denkens und Empfindens, welche nun einmal zwischen uns bestand, aufdecken müßten, So war es denn fast ein Trost für mich, daß sie starb, ohne, leichtlebig und gedankenlos, wie sie war, sich der innerlichen Trennung, unter der ich bereits so fürchterlich gelitten, auch nur bewußt geworden zu sein.“

Ahnte der Treffliche, als er mir diese Mittheilungen und Bekenntnisse machte, während ich bereits im Gesellschaftsanzuge vor ihm stand, wie es in meinem Herzen aussah, und daß ich nur von Kopf bis zu Fuß gewappnet die Gefahr bestehen mochte, der ich entgegenging? Wollte er mir sagen, daß er ein für allemal auf den Besitz des Kleinods verzichtet habe, welches der Riese inmitten seines Schildes trägt; ich mithin um seinetwillen keinen Schritt abzuweichen brauche von dem sicheren Wege, dem zu Seiten der Spuk des Zauberwaldes beginnt?

Zwar von einem Zauberwald spürte ich nichts, als ich zum ersten Male – ich war, als ich meine Visite machen wollte, nicht empfangen worden – die Gesellschaftsräume der vielgenannten Jsabella, verwittweten Generalin von Westen-Burgsdorf, Excellenz, betrat: drei oder vier recht große, recht nüchterne, im dürftigen Geschmack der zwanziger Jahre ausgestattete Räume, in welchen eine, wie mir schien, ebenfalls recht nüchterne, jedenfalls auffallend stille, ziemlich zahlreiche Gesellschaft sich nicht sowohl bewegte, als mit den Theetassen in den Händen herumstand. Uni so dichter, je mehr ich mich dem letzten Zimmer näherte, in welchem ich schon aus einiger Entfernung die alte Excellenz in einem Armstuhl, umgeben von ihren Vertrautesten, erblickte.

Freilich nicht ihr Gesicht, das von einem großen grünen Schinn bedeckt war und von dem ich auch nur ein langes spitzes Kinn und ein paar Runzeln zu sehen bekam, als ich nun von Ulrich, der mir im zweiten Zimmer entgegengekommen war, zu ihr geführt und ihr vorgestellt wurde: Herr Lothar Lorenz, Großtante, ein lieber Jugendfreund von mir, der jetzt mit Onkel Egbert arbeitet – weißt Du!“

„Wo ist der Oberst?“ fragte die alte Dame.

Der Oberst hatte sich bereits brieflich entschuldigt, ich mußte nun die Ausrede mündlich wiederholen.

„Was sagte er?“ rief die alte Dame ungeduldig.

„Du mußt lauter sprechen!“ raunte mir Ulrich zu.

Ich brachte also die Lüge zum zweiten Male vor, was in Anbetracht der zehn oder fünfzehn wildfremden Gesichter, die sämmtlich mit starr auf mich gerichteten Augen dem Verhör beiwohnten, nicht eben behaglich war.

„Glaub’ ich nicht,“ sagte die alte Dame. „Aber der Oberst ist ja der Einzige in der Familie, der mich nicht braucht; so hat er auch das Recht, zu thun und zu lassen, was ihm gefällt.“

Bei dem letzten Worte schlug das falsche Gebiß zusammen, daß es jenen lauten, schnappenden Ton gab, bei dem es selbst dem muthigen Ulrich nach seiner Aussage kalt über den Rücken lief. Ich durfte das nicht länger für eine Uebertreibung halten, während ich im Stillen Gott dankte, daß ich nicht zu denen gehörte, welche die alte Dame „brauchten“.

„Ich habe schon sehr viel von Ihnen gehört,“ fing sie wieder an, „ich weiß aber nicht mehr was: Gutes und Schlechtes durch einander; das Gute kam von Ellinor, däucht mir, und das Schlechte von Astolf. Es kann aber auch umgekehrt sein.“

„Es ist sicher umgekehrt gewesen, Großtante,“ sagte eine helle Stimme hinter mir.

Ich wandte mich und erblickte Astolf. Er war in Uniform, selbstverständlich, und mit dem Eisernen Kreuz geschmückt, an welches sich noch eine lange Reihe anderer Orden und Ehrenzeichen schloß.

Sein schönes Gesicht hatte sich wenig verändert, außer daß es

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