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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

der Minnesänger Hiltebold von Schwangau hatte hier an waldumrauschtem Alpensee seine Liebeslieder ersonnen. Die ergreifendste Erinnerung aber, die dieses Thal durchzieht, ist jene an den unglücklichen Hohenstaufen Konradin, der, ehe er in das welsche Verderben ritt, hier von seiner edlen Mutter Abschied nahm.

Und so reich das Thal an Schattenbildern mittelalterlicher Romantik ist, so reich ist es auch an landschaftlicher Schönheit. Umrahmt von gigantischen Bergkolossen, von tiefdunklen Bergwäldern, glänzen hier die Seespiegel des Alpsees und des Schwansees. So schauen die beiden Königsburgen zum Theil in das geheimnißvolle Dunkel der innersten Bergwelt hinein, zum Theil hinaus in das endlose Flachland, wo in duftigen Fernen sich blaue Wälder und Hügel hinziehen, dazwischen blitzendes Wasser und weitentlegene Ortschaften. Im ganzen Umkreis des Bayernlandes ist keine Stätte zu finden, die besser geeignet wäre zu einer Heimstätte romantischer Schwärmerei, als das Thal von Neuschwanstein. Namentlich vom Neideckfelsen bietet sich die schönste Aussicht auf die Burgen und ihre Umgebungen.[1] Unter uns glänzt das unvollendete Schloß Neuschwanstein, aus der Tiefe tönt das wilde Brausen der Pöllat herauf; dann steigt der Hochwald empor. Links in der Ferne schimmern der Alpsee und die Gebäude von Hohenschwangau, hinter denen der Frauenstein aufsteigt. Der Schwansee und Weißensee, sowie ehrwürdige Häupter der Berge vervollständigen das großartige Panorama. Auf dem Neideckfelsen, der trotzig in die Landschaft hinausschaut, wurden alljährlich am Ludwigstage von den Bauern mächtige Freudenfeuer angezündet, Zeichen der Liebe, in welcher die Herzen der Bayern ihrem König zugethan waren.

Als König Ludwig II. den Plan faßte, hier ein Königsschloß zu erbauen, war er noch ganz von jenem Geiste germanischer Dichtung und Sage umfangen, der ihn auch aus Richard Wagner’s Meisterwerken anwehte. Ist es schon dieser deutsche Geist, welcher Neuschwanstein hoch über das Schloß zu Herrenchiemsee stellt, so ist es in noch viel höherem Grade der Umstand, daß der König, so lebhaft auch seine eigene Phantasie an dem Baue mitarbeitete, doch den schaffenden Künstlern jenen Spielraum für schöpferische Selbstthätigkeit ließ, welcher nothwendig ist, wenn wirklich Neues und Eigenartiges gestaltet werden soll. Das zeigt sich in der Architektur des Schlosses, wie in seinem Inhalt an Skulpturen, Gemälden und Gegenständen des Kunsthandwerks. Und auch das ist nicht genug zu rühmen, daß alle bildenden Künste und selbst das Handwerk, die hier zusammen arbeiteten, sich in eine wunderbare Uebereinstimmung brachten.

Die Architektur des Schlosses gehört dem romanischen Stil an. Auf einem gewaltigen, fast unzugänglich erscheinenden Kalkfelsen erhebt sich der gigantische Bau. Vollendet sind von demselben bis jetzt nur der „Palas“, allerdings die Hauptsache, und der Thorbau. Letzterer allein ist so umfangreich, daß er mit seinen mächtigen runden Wartthürmen eine Burg für sich darstellt. Zwischen dem Thorbau und dem Palas dehnt sich das ungeheure Baugerüst aus, mit dessen Hilfe die übrigen noch fehlenden Theile des Schlosses ausgeführt werden sollten. Edel und groß ist der Hauptbau in seiner äußeren Erscheinung. Fünf Stockwerke hoch baut er sich über einander mit gekuppelten Rundbogenfenstern, reich geschmückt mit zierlichen Erkern und Vorsprüngen, gekrönt von einem steilen goldschimmernden Kupferdache. Zwei Thürme, das letztere überragend, steigen zu wahrhaft schwindelnder Höhe empor; von den Zinnen des höheren dieser Thürme blickt man in einen grausenerregenden Abgrund.

Das erste und zweite Stockwerk des Schlosses sind für die Hofhaltung bestimmt. Das dritte bewohnte der König selbst; die obersten zwei Stockwerke enthalten Festsäle. In ihnen wie in den Zimmern des Königs sind die Wände mit Bildern geschmückt, welche mit zu dem Edelsten gehören, was die deutsche Freskomalerei hervorgebracht hat. Namentlich die aus der Hand des Münchener Meisters Spieß hervorgegangenen Bilder können in ihrer vollendeten Anmuth nur mit den Werken Schwind’s verglichen werden. Der damaligen Geschmacksrichtung des Königs entsprechend, sind die Gegenstände dieser Bilder meistens den Werken Richard Wagner’s entnommen, der Gralsage und dem Nibelungenring, aber auch der modernen bayerischen Geschichte und dem deutsch-französischen Kriege.

Unter den plastischen Arbeiten sind das prächtige Steinportal des Schlosses, ferner die schönen Steinmetzwerke an den zahllosen Thor- und Fensterbogen hervorzuheben.

Unbeschreiblich reich und durchweg vom lautersten Geschmack beherrscht ist die kunstgewerbliche Einrichtung der Königszimmer: die Vorhänge, Schränke und Polstermöbel, die Teppiche, Lüster, Uhren, Vasen und sonstigen Einrichtungsstücke. Was das Kunstgewerbe der letzten zwanzig Jahre an mustergültigen Werken schuf, findet sich hier vertreten. Neuschwanstein ist nicht bloß ein Prachtbau; es ist ein wirkliches, wenn auch fürstliches Heim. Großartig ist auch die Aussicht, welche sich unsern Augen aus den Fenstern der einzelnen Gemächer bietet. Unser Künstler giebt eine derselben in der Anfangsvignette wieder. Es ist die Pöllatschlucht, vom Fenster des königlichen Schlafzimmers aus gesehen, ein majestätisches Bild des steil herabstürzenden Pöllatfalles, über dessen schimmerndem Bande hoch in der Luft die Marienbrücke schwebt.

Den Erbauer ereilte der Anfang seines tragischen Endes in diesen stolzen Räumen. Liegt auch der Leib des Königs in der Münchener Michaelskirche: das Schloß Schwanstein ist das Grabmal seines Geistes und seines Glückes.


Was will das werden?

Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)

Ich dachte bei den letzten Worten Emil’s an all die jungen schwarzhaarigen Herren da draußen in den endlosen Sälen und die endlos vielen Briefe, die sie den Tag über kritzelten, und von denen sicher jeder der Firma Israel, Löbinsky u. Komp. etwas einbrachte, und fragte mich, ob die „neuen Principien“, nach denen hier gearbeitet wurde, sich wohl sehr wesentlich von den alten unterscheiden möchten? Aber ich hütete mich wohl, diesen Gedanken auszusprechen, und erkundigte mich dafür, ob Emil wirklich nicht wisse, wer der eigentliche Kreditgeber sei, der hinter der amerikanischen Firma stehe, wie er Ulrich Vogtriz gegenüber behauptet?

„Ich sehe nicht, welchen Vortheil Du davon hättest, wenn ich Dir nicht die Wahrheit sagte,“ erwiderte Emil. „Ich glaube, der Vater hat immer gewußt, wer Deine Mutter war, und daß sie noch einmal eine große Erbschaft machen könne, deßhalb hegte er auch immer den dringenden Wunsch, Du möchtest Kaufmann werden und in unser Geschäft eintreten. Jedenfalls mußte dem Vater die Lage klar werden, als Herr von Ruver für das ganze damalige Vermögen Deiner Mutter Wechsel auf London kaufte, die dann nach New-York gingen und dort von dem Advokaten der Missis Katharina Vogtriz-Gilmore-Franc einkassirt wurden. Der größte oder doch ein großer Theil des jetzigen Vermögens der Missis ist in unserem Geschäfte angelegt, und so ist der unbeschränkte Kredit keine Phrase, da Deine Mutter – denn Deine Mutter ist natürlich die Korrespondentin – recht gut weiß, daß Du eben nur entnehmen wirst, was Du brauchst. Wieviel darf ich Dir geben?“

„Du scheinst meine Antwort nicht bekommen zu haben?“

Emil machte ein verwundertes Gesicht und wollte auf einen Elfenbeinknopf in der Wand drücken. Ich verhinderte ihn daran. Die Sache werde jedenfalls noch bis zu ihm gelangen; sie sei aber diese:

Und ich theilte ihm meine Antwort mit.

Die Piraten waren, nach dem Ausdruck von Emil’s Gesicht zu schließen, bis dicht vor unsere Burg gekommen.

„Aber das kann doch nicht Dein Ernst – zum wenigsten Dein letzter Entschluß sein,“ stotterte er. „Bedenke –“


  1. Auf Seite 617 bieten wir unseren Lesern eine vollkommen genaue Ansicht der beiden Burgen, welche von unserem eigens nach Hohenschwangau und Neuschwanstein gesandten Zeichner an Ort und Stelle naturgetreu ausgeführt wurde, während auf unserem Bilde Seite 513, welches hauptsächlich den Charakter der Landschaft sehr gut wiedergiebt, der Künstler nach den photographischen Einzelaufnahmen, welche ihm als Vorlage dienten, die Lage von Neuschwanstein in eine früher von Püttner aufgenommene Ansicht der Gegend nicht richtig eingezeichnet hat. D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_616.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2021)