Seite:Die Gartenlaube (1886) 607.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

früher auch so meisterlich verstanden hatte! Und nun schier traurig wurde, daß er sie so ganz verloren, oder doch nicht mehr üben durfte! Nein, nicht mehr, geliebte Schwester! Ja, wenn er Dich damit aus diesem dunklen Mauerschwalbennest erlösen und wieder zu der Lerche machen könnte, die singend und jubilirend über dem wogenden Aehrenfelde in den blauen Himmel steigt! Als ob der Himmel über uns nicht immer nur der Widerschein des Himmels wäre, der in uns ist – in Dir ist! Und den Dir Gott erhalte, Du Beste, Einzige!

Das betete ich aus tiefster Seele, als ich mich nun endlich doch aus ihren Armen gezogen, die mich heute gar nicht lassen wollten, um nach dem Westen der Stadt zurückzuwandern, vorerst zu ihm, dem ich in der Kunst des Seifenblasens immer „über“ gewesen war, wofür er es dann wieder in der des Rechnens so früh zur Meisterschaft und unter Anderem auch zu dem Hause gebracht, vor dem ich jetzt anlangte in einer der vornehmsten Straßen, welcher es zur vornehmsten Zier gereichte. Ein prachtvolles, in der Fassade vom Grunde bis zum Giebel aus Sandstein aufgeführtes dreistöckiges Haus in etwas überladenem Renaissancestil mit zwei mächtigen Thüren, von denen ich gleich an die richtige gerathen war: in der Seitenwand auf einer schwarzen in die Mauer eingelassenen Marmorplatte prangte mit goldenen Buchstaben die Firma: Israel, Löbinsky und Kompagnie. Der in Blau, Roth und Gold schimmernde Portier hätte mich offenbar gern von oben herab angesehen. Da ihm dies nicht wohl gelingen konnte, weil er fast um einen Kopf kleiner war als ich, mußte er sich damit begnügen, mir in möglichst nachlässigem Ton die Richtung zu bezeichnen, in der ich mich zu bewegen hatte, um schließlich zu dem Privatkomptoir des Herrn Israel zu gelangen. Durch, wie mir schien, endlose Säle, vorüber an langen Zahltischen, an denen es geschäftig zuging, und vergitterten Lauben, in welchen dunkelhaarige junge Herren, schweigsam über ihre Pulte gebeugt, kritzelten, nach manchen weiteren Anfragen bei anderen dunkelhaarigen jungen Herren, die mit Papieren in der Hand oder großen Büchern unter dem Arm an mir vorübereilten, war ich endlich zu einer Polsterthür gekommen, in welcher irgend Jemand, der mir meine Karte abgenommen, verschwand und aus der dann alsbald ein Herr heraustrat, der mir einen Augenblick prüfend ins Gesicht sah, um mich dann in seine Arme zu schließen und in das Allerheiligste hinter der Polsterthür zu ziehen.

Ich hatte vor wenigen Stunden einem alten Freunde gegenübergesessen, an welchem im Laufe weniger Jahre eine große, für mich betrübende Veränderung vorgegangen war. Dieser hatte sich nicht verändert. Ein wenig beleibter mochte er geworden sein, aber es stimmte so gut zu der langen fleischigen Nase und zu der dicken Unterlippe, die genau so verlegen zitterte, wie damals, wenn es gegen die gräulichen Piraten ging, die sich vor dem inzwischen entstandenen Kotelettbart auch nicht eben gefürchtet haben würden. Nein, das war der alte Emil äußerlich, der auch innerlich keine große Wandlungen durchgemacht haben konnte, wenigstens erzählte er mir die Geschichte seiner letzten Jahre so stockend, zögernd, mit so vielen Ehems und so vielen angefangenen Konstruktionen, die nie zu Ende kamen, als wäre er kein großer Banquier, sondern ein gehudelter Sekundaner, und ich repetirte mit ihm die Geschichte der Kreuzzüge.

Er hatte gleich nach dem Tode seines Vaters das hiesige Banquiergeschäft mit dem jungen Löbinsky, seinem jetzigen Schwager, aus einem seinem Vater von der Lieferungszeit her befreundeten Warschauer Hause, gegründet und einen großen Theil seiner Zeit verwenden müssen, die überaus verwickelten, freilich auch überaus einträglichen Geschäfte zu liquidiren, die der Vater in unserer Stadt und Provinz zurückgelassen hatte. Er könne es ja jetzt sagen, wo keine Gefahr für Leib und Leben damit verbunden sei: fast die halbe Stadt und ein nicht kleines Stück der Provinz, zum wenigsten des Regierungsbezirkes, habe der Firma J. Israel gehört. Es sei nicht wahr, was damals behauptet wurde, daß sein Vater der Schöpfer dieser Mißstände gewesen sei: er habe nur den rückgehenden Wohlstand der allmählich versandenden Hafenstadt, die lodderige Wirthschaft des längst schon tief verschuldeten Adels zu seinem Vortheil klug benutzt. Jetzt habe er – Emil – wie gesagt, sich von allen diesen provinziellen Verbindungen und Verhältnissen losgemacht, zum Theil mit nicht unerheblichem Schaden, wesentlich auf Betrieb seiner Schwester, der die Erinnerung an jene Zeit entsetzlich sei, und die ihm immer in den Ohren gelegen habe, er solle ein neues Leben anfangen.

„Nun, und das habe ich denn gethan,“ sagte Emil, mit den dicken rothen Händen (sie waren sonst um diese Zeit des Jahres stets verfroren gewesen) die runden Kniee reibend, „unser Geschäft ist ganz neu, auf wesentlich neuen Principien gegründet, deren strikte Befolgung uns Transaktionen gestattet, zu denen selbst Bleichröder keinen Muth haben würde, was gewiß etwas sagen will. Wir arbeiten an fünf und mit fünf Plätzen zugleich: mein Schwager und ich hier; mein Schwiegervater mit dem ältesten Sohne in Warschau, ein zweiter Bruder in London, ein Schwager wieder meines Schwagers in Paris, abermals ein Schwager in New-York. Die Firma lautet überall gleich: Israel, Löbinsky u. Komp., weil ich in der Lage war, in jedem der fünf Geschäfte dieselbe runde Summe anlegen zu können.“

„Sagen wir eine Million,“ warf ich scherzend ein.

Die kurzsichtigen Augen hoben sich schnell und erschrocken, als ob ich die Nachricht gebracht hätte, daß die Piraten gelandet seien.

„Woher weißt Du das?“ fragte er mit zitternder Unterlippe.

„Ich dachte mir so,“ erwiderte ich lachend.

„Du hast es in der That errathen,“ sagte er leise. „Ich hatte auch keine Ahnung, daß es so viel wäre; aber die Armeelieferungen – weißt Du! Es handelte sich ja immer um Millionen. Wir wußten wirklich nicht mehr, wohin mit dem Gelde. Vater sagte damals schon manchmal: ich glaube, sie schlagen uns alle noch einmal todt. Es wäre ja auch beinahe so weit gekommen.“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Pionierübungen vor dem Kronprinzen bei Wernsdorf. (Mit Illustration S. 605.) „Wer den Frieden erhalten will, bereite sich zum Kriege vor“ ist ein Grundsatz, welchem in vollem Umfange gerecht zu werden, die deutsche Heeresleitung in hohem Maße bemüht ist. Dankbar blickt der deutsche Bürger auf den kaiserlichen Kriegsherrn, der nicht nur selbst immer wieder von Neuem nach dem Rechten sieht, sondern auch seinen Sohn, den erlauchten Kronprinzen beauftragt, überall da zu rathen, zu bessern und zu helfen, wo es die körperlichen Anstrengungen nicht mehr erlauben, daß der greise oberste Kriegsherr es selbst vollbringe.

So richtete sich denn auch vor kurzer Zeit das fürstliche Auge auf die Leistungen der Ingenieure und Pioniere, welchen in etwaigen künftigen Kriegen sicherlich kein leichtes und geringes Maß von Thätigkeit zugemessen sein wird, sei es die Gegner im verschanzten Lager an der Landesgrenze aufzusuchen, den Weg in die feindlichen Festungen und Sperrforts vorzubereiten, sei es die eigenen Festungen daselbst zu vertheidigen, den Feind aufzuhalten, um in dieser Weise den deutschen Herd so lange zu schützen, bis die im Innern des Landes mobilisirten Armeen dem feindlichen Heere entgegen zu treten im Stande sind.

Die Herstellung und Zerstörung von Brücken, das Ueberschreiten von Strömen und Festungsgräben, eine Verhinderung des Ueberganges seitens unseres Gegners bildeten den Gegenstand der Uebungen, welche im Beisein des Kronprinzen am 16. Juli auf der Dahme bei Wernsdorf seitens des Garde-Pionier-Bataillons zur Ausführung gelangten.

Wie das beigefügte Bild zeigt, handelte es sich um einen Brückenschlag, welcher den Uebergaug eines Korps über den vorgenannten Fluß ermöglichen sollte. Zum schnellen Uebersetzen der Truppen hatte man zwei Brücken geschlagen: die eine als Pontonbrücke aus dem vorbereiteten Material unserer Brückentrains, wie solches mit ins Feld genommen wird, die andere als Pfahljochbrücke aus unvorbereitetem Material, wie dergleichen aus Wäldern, durch Abbruch von Gebäuden etc. gewonnen werden kann.

Kaum war jedoch die Avantgarde, von welcher bereits einige kleinere Abtheilungen vor dem Beginn des Baus der Brücken vermittelst Pontons auf das andere Ufer übergesetzt worden waren, auf letzterem angelangt, als sie, von stärkeren feindlichen Kräften gedrängt, wieder weichen und den Rückmarsch auf das soeben erst verlassene Terrain antreten mußte.

Jetzt galt es, dem nachdrängenden Gegner den Uebergang über die Brücken zu wehren. Die Pontonbrücke wurde schleunigst durch Ausfahren der in einzelne Glieder von zwei und vier Pontons zerlegbaren Brücke an das befreundete Ufer gebracht.

Nicht auf gleiche Weise war jedoch die gezimmerte Pfahljochbrücke zu entfernen. Eine Beseitigung derselben in ihrem ganzen Umfange durch Menschenkräfte war ein Ding der Unmöglichkeit. Hier hieß es, gewaltsamere Mittel zur Anwendung bringen. Schnell wurde die Brücke in der Nähe der beiden Ufer zur Sprengung vorbereitet und außerdem die den Brückenausgang auf der anderen Seite sichernde, bereits zuvor angelegte Mine zündfertig gemacht, um dieselbe in dem Augenblicke, in welchem

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_607.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2019)