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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

der unvollendete Prachtbau, dort die ewig junge Natur im letzten Schimmer des scheidenden Tages. Und wer den Bau und seine Umgebung mit aufmerksamem Blicke beschaut, bemerkt leicht, wie das Mauerwerk da und dort die Spuren des Winterfrostes und der Regenfluthen zu zeigen anfängt, wie die Betoneinfassungen der Brunnenbecken zerbröckeln, wie zarte Moosfasern zwischen den Marmorstufen hervorwachsen wollen und wie da, wo die Anfänge des südlichen Flügels stehen, fröhliches Unkraut um die Mauern zu wuchern beginnt. Der Wald, der hier einst stand, will wieder emporwachsen und mit den grünen Armen seiner Kinder das rasche Menschenwerk umklammern.

Und wie viel Jahrzehnte wird es dauern, bis dieser stolze Bau, den Niemand fertig bauen kann und mag, wie Dornröschens Zauberschloß von grünendem Gerank umsponnen sein wird, unter dem der Marmor verwittert und die Quadern sich lockern? Da wird Niemand mehr kommen, das Entschlafene zu wecken; denn der Bann, der über dem Inselschloß zu Herrenchiemsee liegt, ist stärker als der Zauber von Dornröschens Märchenburg.


Was will das werden?
Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)
2.

Waren meine schönsten Stunden, wenn ich des Abends bei dem Schein der zwei großen Lampen mit den grünen Schirmen an dem mächtigen Arbeitstisch dem Oberst in seinem Studirzimmer gegenübersaß, je zuweilen von meiner Schreiberei oder Lektüre zu ihm hinüberblickend, nur, um mich an der herrlichen Klarheit seiner Stirn zu erquicken, aus dem gesammelten Ernst seiner klassisch schönen Züge neue Freudigkeit für meine Arbeit zu schöpfen.

Die alte Zeit schien dann zurückgekehrt, die liebe alte Jugendzeit. War es doch wieder eine Werkstatt, in der mich Alles wundersam anheimelte und ich unter Anleitung des Meisters und mit seinem freundlichen Zuspruch schüchterne Versuche in seinem Metier machte, nur daß der Meister keine Särge baute, in die er seine todten Künstlerentwürfe legte, sondern Gedankenpaläste, durch deren weite Marmorhallen die Geister der Jahrhunderte majestätischen Schrittes wandelten.

Aber auf wie verschiedenen Höhen menschlichen Wissens ich diese Beiden auch sah – den Einen wie auf Geierflügeln über der Breite des Lebens schwebend, in das der Andere nur aus seinem Lerchennest wundernde Blicke hatte werfen können, den Einen mit Feuerdrachen kämpfend auf demselben Plan, welcher dem Anderen nur eine blumige Wiese gewesen war, in Einem glichen sie sich doch: in der keuschen Reinheit ihrer Herzen, die, wie das Gletschereis alles wüste Gestein und Geröll ausscheidet, so jeden niedrigen Gedanken, jede gemeine Regung fern von sich wies.

Und noch in einem Anderen.

Daß sich zuweilen, ohne daß sie sich dessen bewußt wurden, ihr Auge verdüsterte und ihre Stirn umwölkte bei dem Gedanken eines Theuersten, das lebte, nur nicht für sie. Und wenn dem Einen dieses Theuerste, Lebendig-Todte eine Gattin gewesen, dem Anderen eine Tochter war – ein Herz, das verlieren und dem Verlorenen nachtrauern kann, hat der Mensch doch nur, und die Größe des Verlustes ist allein zu messen an der Leidensfähigkeit des Herzens.

Diese Beiden aber konnten leiden, wie sie lieben konnten – grenzenlos.

Auch das waren schöne Stunden, die der Vormittage, weim der Oberst auf seinem Ministerium war und ich allein in unserem Studirzimmer arbeitete, das nicht alle Bücher faßte, so daß noch ein zweites Bibliothekzimmer hatte eingerichtet werden müssen, gerade über dem ersteren, aber ohne mit demselben in Verbindung zu stehen. Wir hatten schon davon gesprochen, die Decke durchbrechen zu lassen und ein eisernes Wendeltreppchen hinaufzuleiten; aber die Unsicherheit der Stellung des Obersten und die Möglichkeit eines späteren vielleicht wünschenswerthen Wohnungswechsels waren der Ausführung des Planes hinderlich gewesen. So hatte ich denn oft den Weg nach oben zu machen, wo ich auch manchmal längere Zeit blieb, um in den zum Theil unhandlich großen Bänden gleich an Ort und Stelle nachzuschlagen.

Bis jetzt hatte ich noch alle Vormittage so in tiefster arbeitsfroher Ruhe und Abgeschiedenheit zugebracht. Heute, schien es, sollte es mir nicht so gut werden. Hinter einander kamen mehrere häusliche Anfragen, die ich, da mir der Oberst Alles anvertraut hatte, beantworten konnte und mußte. Jetzt war ich etwa seit einer Stunde oben, wo es mehrere umfanggreiche Auszüge zu machen gab, ungestört gewesen, als abermals der Bursche erschien: ich hätte zwar befohlen, nicht wieder gerufen zu werden, und der Herr habe auch gesagt, daß er gern warten wolle. Derselbe warte nun etwa bereits seit einer halben Stunde und er (Johann) habe gemeint –

„Wer ist der Herr?“

„Er hat seinen Namen nicht genannt.“

„Wo wartet er denn?“

„Ich habe ihn in des Herrn Obersten sein Zimmer geführt.“

„In das Studirzimmer?“

„Zu Befehl.“

„Gar nicht zu Befehl. Sie wissen, daß Sie Niemand dort einzulassen haben, wenn der Herr Oberst oder ich nicht zugegen sind.“

„In dem Salon war noch nicht geheizt.“

Johann war ein neuer Bursche, dessen Mangel an Anstelligkeit mir schon viel zu schaffen gemacht hatte. Aergerlich eilte ich hinab, verwundert, wer denn wvhl der aufdringliche Besucher sein könne.

Aber ich erschrak, als ich, hastig öffnend, Weißfisch mir gegenüber sah. Er stand ein paar Schritte von der Thür, bis an den Hals in einen langen schweren Paletot geknöpft (es war ein bitter kalter Tag), den Hut in der herabhängenden Rechten, unter dem linken Arn, ein in blaues Papier geschlagenes Packet. Hatte er sich seit einer halben Stunde nicht aus dieser Stellung gerührt? Hatte er sie eben eingenommen, als er mich über den Flur kommen hörte? Ich hatte später Veranlassung, mich zu erinnern, daß ich mich das in der That bei seinem Anblick fragte; für den Augenblick blieb mir nicht die Muße, weiter daran zu denken. Mit rauher Stimme fragte ich ihn, was ihn zu mir geführt. Ich hätte gemeint, daß die Verbindung zwischen uns ein- für allemal abgebrochen sei.

Er hatte sich tief verbeugt und sagte, jetzt den Kopf hebend, mit seiner gewohnten Ruhe, die mich diesmal zugleich beschämte und empörte: „Auch würde ich sicher aus freien Stücken diese Belästigung nicht gewagt haben. Ich komme von Herrn Lamarque.“

„Das macht die Sache nicht anders.“

„Doch, gnädiger Herr, wenn Sie nur gütigst den Boten von der Botschaft trennen wollen und weiter bedenken, daß ein armer Mensch, wie ich, sich oft zu Diensten hergeben muß, die ihm selbst peinlich sind. Seitdem mich der gnädige Herr weggejagt – mit Fug und Recht: ich hatte mich in meiner Verzweiflung wie ein Verrückter gebärdet, der ich ja auch in dem Augenblicke war – ist es mir kümmerlich ergangen, da ich nun auch nicht mehr bei Herrn Lamarqne vorzusprechen wagte, bis mich vor einigen Tagen die Noth denn doch wieder dazu zwang. Glücklicherweise hatten der Herr Oberregisseur gleich für mich zu thun, und etwas, das mich besonders freute: die Rollen vom ,Thomas Münzer' auszuschreiben.“

Er warf aus den gesenkten Augen einen flüchtigen Blick auf mich und fuhr fort: „Es war mir eine liebe und leichte Arbeit – kenne ich doch wenigstens die beiden ersten Akte so gut wie auswendig. Vom dritten Akt an sind große Veränderungen vorgenommen. Der fünfte Akt ist ganz neu. Ich halte ihn für außerordentlich gelungen und bühnenwirksam, im Gegensatz zu dem Herrn Oberregisseur, der in der großen Scene zwischen Münzer und dem Herzog eine Abschwächung der Wirkung sieht. Der Herzog, meint

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_590.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2017)