Seite:Die Gartenlaube (1886) 583.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

wieder ihr Herz vor ihr ausschütten zu können. Der Rückweg führte sie dicht am Kloster vorbei: da sah sie auf dem Feldweg in der winterlichen Dämmerung mitten im Schneegestöber zwei Reiter nahen … war es ein Traum? Waren dies nicht preußische Uniformen? Sie hielten an der Klostermauer. Dore lauschte hinter einem Mauervorsprung: der eine Reiter sprang vom Pferd und klopfte an die Klosterpforte. Der Bruder Pförtner öffnete, ein kurzes Gespräch – sie konnte zu ihrem Bedauern nicht die Worte verstehen, der Wind mit dem Schneegewölk verwehte sie – sie konnte nur sehen mit angestrengter Sehkraft. Der Pförtner verschwand … Alles war still ... die Reiter schüttelten den Schnee von ihren Mänteln. Die Pforte vor ihnen hatte sich wieder geschlossen; doch sie verließen ihren Posten nicht. Eine geraume Zeit verging so … ungeduldig stampften die Pferde. Da wurde wieder geöffnet – der eine Reiter, der sich fester in den Mantel hüllte, trat ein – der andere sprengte querfeldein mit den Pferden des Weges, welchen sie gekommen waren.

Dore eilte ins Dorf, um die wichtige Nachricht dort zu verbreiten. Da fand sie Alles in Unruhe und Aufregung … durch die Dorfgassen sprengten die Pandurhusaren, fremdartige Gestalten mit riesigen Schnauzbärten auf flüchtigen Rossen. Daneben zogen Trupps Panduren zu Fuß mit türkischen Pluderhosen und gewaltigen Musketen. Wenn sie sich nur mit ihnen hätte verständigen können, wenn sie’s nur gewagt hätte, sie anzureden, ihnen ein Zeichen zu geben: das waren ja die ersehnten Rächer; doch die grimmen Gesichter und die feurigen Augen schreckten das Mädchen zurück. Und gar die schnaubenden Rosse … sie trat geängstigt bei Seite. Und das flog an ihr vorüber wie Geisterspuk, wie es schien, wieder zum Dorfe hinaus. Dore theilte ihrem Vater mit, was sie gesehen – die Kunde kam zu spät. Die Panduren suchten die versprengten Schulenburger, sie wußten, daß der König unter ihnen sei; doch da die Bauern meldeten, daß sich kein preußischer Reiter im Dorf gezeigt, brausten sie weiter in wilder Hast. Hätte Dore früher das Abenteuer an der Klosterpforte erzählt – die Maus wäre in der Falle gefangen worden. Ja, wenn die Bauern nur gewagt hätten, den würdigen Mönchen Verlegenheit zu bereiten! Es gab im Dorf einen Schmied, der war lange in Ungarn gewesen und hatte, wie böse Zungen sagten, bei den Zigeunern seine Kunst gelernt. Er konnte sich mit den Panduren verständigen und kümmerte sich wenig um des Klosters Botmäßigkeit. Als um Mitternacht der wilde Schwarm zurückkam, weil der Hauptmann sich überzeugt, daß sie eine falsche Richtung eingeschlagen hatten, als das ganze Dorf in Unruhe und Aufregung versetzt worden, da eilte Dore zu diesem Schmied, er möge den Oesterreichern die Kunde bringen, daß ein preußischer Officier im Kloster versteckt sei. Der Hauptmann strich sich seinen Schnauzbart mit einem gewissen Behagen; doch da seine Truppe übermüdet war, begnügte er sich damit, vor das Hauptthor des Klosters und eine Seitenpforte desselben eine Reiterwache zu stellen und wachsame Patrouillen um die Mauern wandern zu lassen; er wollte sich den guten Fang zum Frühstück aufheben. Behaglich streckte er sich auf seinem Lager aus. Es mußte ja ein hoher Officier sein, vielleicht der König selbst, den sie im Kloster aufgenommen; denn einem gemeinen Reitersmann hätten die Mönche nimmer ihre Pforten geöffnet. Ein Ehrensäbel funkelte ihm vor den Augen, als er einschlief.

*  *  *

Ein fast undurchsichtiger Schneenebel hing über der Landschaft, als die Trompeter am nächsten Morgen die Reveille bliesen. Die Pferde wurden geputzt und gestriegelt, aber sie blieben im Stall; denn die Reiter schlossen sich mit ihren Musketen den Fußsoldaten an; Alles strömte dem Kloster zu, und während dumpfer Trommelwirbel dem bunten Kriegsvolke den Marschtakt angab, läuteten die Glocken vom hohen Klosterthurm, und feierlich ertönte der Orgel Klang aus der Kirche. Musketen klopften an die äußere Pforte der Ringmauer, und als sie geöffnet wurde, da stürmte der Schwarm herein, ohne viel zu fragen. Der Hauptmann ließ dem Abt vermelden, er müsse das Kloster durchsuchen, da er erfahren, daß ein feindlicher Officier sich hier versteckt habe. Und so gingen sie ans Werk ohne Zögern. Zelle für Zelle wurde abgesucht, alle Betten aufgewühlt. Ein Trupp mit dem tapfersten Korporal begab sich in den Keller, der Bruder Kellermeister mußte öffnen; die gewaltigen Stückfässer imponirten den Panduren so, daß sie fast versäumten, in den Verstecken dahinter nachzusuchen, und als sie gar von dem gastfreien Klosterbruder eingeladen wurden, an einem Holztisch Platz zu nehmen, der dicht vor den Riesenfässern zusammengezimmert war, und als aus dem geöffneten Spund derselben der feurige Trank hervorquoll und als ihre Gläser sich füllten mit dem ehrwürdig alten Wein, der so viele Jahrzehnte hindurch in dieser Tiefe geschlummert: da waren die Preußen und der ganze Krieg und das ganze Kloster vergessen; mit den Musketen wurde auf den Tisch getrommelt, und beim Säbelklirren erklangen wilde Kriegslieder, denen wilde Liebeslieder folgten, wie sie das Volk der Berge und der Steppen singt, das der Kaiserin Gebot von fernher unter Oesterreichs Fahnen gerufen.

Anderer Art war das Bild, das sich droben in der Kirche darbot. Der Gottesdienst nahm dort seinen ungestörten Fortgang, als die fremden Krieger lärmend eingetreten; doch der Gesang der Priester, der Klang der Orgel, das Licht der Kerzen auf dem Altar, die aufsteigenden Weihrauchwolken: das mußte doch das wilde Feuer des Hauptmanns und der Seinigen mäßigen. Andächtig schlug er ein Kreuz, und Alle folgten seinem Beispiel – und indem sie den beiden Aebten – es standen zwei am Hochaltar im kirchlichen Ornat – die schuldige Reverenz bewiesen und vor jedem Heiligenbild und Krucifix sich ehrfurchtsvoll verneigten, durchsuchten sie alle Winkel der Kirche mit militärischer Pünktlichkeit. Es war ein eigenthümlicher Anblick, diese Krieger zu sehen, wie sie zwischen der soldatischen und kirchlichen Disciplin hin- und herschwankten, in fortwährender Angst, gegen die eine oder die andere zu verstoßen.

Der eine der beiden Aebte sah mit feinem Lächeln dem Gebahren der rauhen Krieger zu, die Mischung von Frömmigkeit und rauhem, kriegerischem Wesen erheiterte ihn. Das aber wußte er, daß seine pommerschen Grenadiere mit den Weißröcken weniger Federlesens gemacht hätten; denn sie kannten nur Trommelschlag und Kanonendonner und den Befehl ihres Kriegsherrn.

Die Durchsuchung des Klosters war vergeblich gewesen, kein feindlicher Officier entdeckt worden. Die Panduren verließen mißvergnügt die heilige Stätte – in rosiger Stimmung waren nur die Wenigen, welche in den Kellerräumen ihres Amtes gewaltet. Der Pandurenhauptmann war in böser Laune über die verlorene Zeit und Mühe. Dore, als die Anstifterin dieses Unheils, als falsche Angeberin, wurde in ihrer Behausung ergriffen und dem Profoß übergeben. Auf einem Bagagewagen wurde sie gebunden mit fortgeschleppt; sie ahnte, daß ihr etwas Grausames und Beschämendes bevorstehe, und sie sah mit geheimem Grauen auf den Stock des militärischen Gerichtsvollziehers. Doch ihre bangen Ahnungen sollten sich nicht erfüllen, auf der nach Wartha führenden Heerstraße wurden die Panduren von mehreren Schwadronen der Schulenburger Dragoner überfallen, nach tapferer Gegenwehr in die Flucht geschlagen, die Begleitung des Bagagewagens niedergemacht, und als Dore vor Schreck über die Schüsse und den Kampf in Ohnmacht gefallen war und wieder zum Leben erwachte, neigte sich über sie das Antlitz des wackeren Martin Sture, blutend von einem feindlichen Säbelhieb, aber mit dem wohlwollenden Lächeln, mit dem man eine alte Bekannte begrüßt, und als er sie ihrer Banden entledigt hatte, da fühlte sie nichts mehr von Haß und Zorn und Grimm, sondern nur inniges Dankgefühl, dessen Ausdruck Martin Sture mit liebenswürdiger Herablassung entgegennahm. Die Schulenburger rückten wieder in Kamenz ein. Er beschloß, sich mit Dore nicht mehr auf den Kriegsfuß zu stellen und statt des Schneeballenwerfens ein minder erkältendes Spiel zu wählen.

Von der Ankunft der treuen Truppen unterrichtet, konnte der König wieder seine Uniform anziehen. Erstaunt erfuhren die Mönche, welchen Gast sie in ihren Mauern bewirthet hatten. Friedrich dankte herzlich dem wackeren Abt; Tobias Stusche aber sprach die Hoffnung aus, daß der königliche Herr dieses Landes, wenn er es ganz seinem Scepter unterworfen, auch den Katholiken ein gnädiger Herrscher sein und ihren Glauben schützen möge.

„Fürchte Er nichts,“ sagte Friedrich, „in meinen Landen soll Jeder nach seiner Façon selig werden.“

Er sprengte von dannen – und bald verkündete der Kanonendonner von Mollwitz der erstaunten Welt, daß der junge Fürst zu siegen verstand und das schöne Juwel Schlesien von jetzt ab unentreißbar leuchte im Diadem der preußischen Könige.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_583.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)