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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

das Fenster geöffnet, und eine heisere Stimme fragte von oben, wer da sei?

„Ein Fremder, der sich verirrt hat und um Obdach für die Nacht bittet.“

„Ich habe kein Obdach für Vagabunden und Herumstreicher. Macht, daß Ihr fortkommt!“

„Das ist ja ein recht liebenswürdiger Empfang!“ rief Hans entrüstet. „Ich bin weder Vagabund noch Herumstreicher, sondern ein höchst anständiger Mensch und gern bereit, mein Nachtlager zu bezahlen.“

„Bezahlen! In der Ebersburg!“ klang es mit der gleichen Entrüstung von oben. „Hier ist kein Wirthshaus, geht wieder dahin, wo Ihr hergekommen seid.“

„Das werde ich wohl bleiben lassen, denn ich komme gradewegs aus einem Wolkenbruch und habe dabei im Walde Weg und Steg verloren. Ist das eine Art, einen Gast bei solchem Unwetter vor der Thür stehen zu lassen und ihm den Eintritt zu verweigern? Machen Sie auf!“

„Nein,“ sagte die heisere Stimme, offenbar erbost, „Ihr bleibt draußen!“

„Zum Kukuk, jetzt reißt mir die Geduld!“ rief der junge Mann wüthend, der eben von einem neuen Regengusse überschüttet und bis auf die Haut durchnäßt wurde. „Aufgemacht! Oder ich schlage die Thür ein und renne Sturm gegen die alte Baracke.“

Er begann in der That mit beiden Fäusten gegen die Thür zu trommeln, und was der höflichen Bitte nicht gelungen war, das erreichte die Grobheit, sie imponirte offenbar dem unsichtbaren Hüter des Einganges, denn nach einigen Sekunden ließ sich dessen Stimme in bedeutend gemildertem Tone vernehmen:

„Wer sind Sie eigentlich und was wollen Sie?“

„Ich bin vorläufig noch ein gänzlich aufgeweichter Mensch und suche nur Trockenheit. Uebrigens bin ich im Stande, die allerbefriedigendsten Aufklärungen über Stand, Name, Alter, Herkommen, Heimat, Familie und so weiter zu geben, wenn es gewünscht wird.“

„Sie sind also von Familie?“

„Selbstverständlich! Jeder Mensch muß doch eine Familie haben.“

„Ich meine – von Adel?“

„Natürlich! Aber jetzt wachen Sie endlich auf!“

„Warten Sie – ich komme!“ klang es verheißungsvoll von oben; gleich darauf wurde das Fenster geschlossen und der Lichtschein verschwand.

„Man scheint hier erst auf den Stammbaum geprüft zu werden, ehe man eingelassen wird!“ sagte Hans, indem er sich in die Thürnische drückte, um dem Regen zu entgehen. „Meinetwegen! Mir kommt es gar nicht darauf an, mir nöthigenfalls eine Grafenkrone beizulegen, wenn sie mir nur ein trockenes Nachtlager verschafft. Gott sei Dank, da wird endlich geöffnet!“

In der That wurde drinnen ein Schlüssel umgedreht und ein Riegel zurückgeschoben; dann öffnete sich die Thür und vor dem Eintretenden stand ein alter Mann, der sich mit der Rechten auf einen Stock stützte und mit der Linken eine Lampe emporhielt.

Es war eine hagere, gebeugte Gestalt, die einst wohl stattlich gewesen sein mochte. Die pergamentfarbene Haut und die tausend Runzeln und Falten gaben dem Gesicht etwas Mumienhaftes, die Augen waren trübe, und unter dem schwarzen Käppchen stahl sich spärliches weißes Haar hervor. Der kurze Gang schien den alten Herrn angegriffen zu haben, denn er stützte sich hüstelnd fester auf seinen Stock, während er zugleich den Gast beleuchtete.

„Ich bitte um Verzeihung wegen meines ungestümen Eindringens, aber ich war wirklich im Begriff, fortgeschwemmt zu werden,“ sagte Hans, mit einer Verbeugung, die nach allen Seiten hin Nässe sprühte. „Habe ich die Ehre, den Herrn des Hauses vor mir zu sehen?“

„Udo, Freiherr von Eberstein-Ortenau auf Ebersburg,“ versetzte dieser mit großer Feierlichkeit. „Und Sie, mein Herr?“

„Hans Wehlau Wehlenberg auf Forschungstein,“ war die ebenso feierliche Antwort.

Der Name schien dem alten Freiherrn zu gefallen, er neigte das Haupt und sagte würdevoll: „Sie sind mir willkommen, Herr Hans Wehlau Wehlenberg, folgen Sie mir!“

Er verschloß sorgfältig wieder die Thür und ging dann voran, um seinem Gaste den Weg zu zeigen. Sie schritten zunächst durch eine Vorhalle, deren Dach nicht mehr fest zu sein schien, denn der Regen hatte seine Spuren überall auf dem Fußboden hinterlassen. Dann ging es eine enge, steil gewundene Treppe mit ausgetretenen steinernen Stufen hinauf, dann durch einen endlosen Gang, wo jeder Schritt auf den Steinfliesen widerhallte, und in der tiefen Dunkelheit ringsum war die Lampe, die der Schloßherr trug, die einzige Beleuchtung. Endlich öffnete er eine Thür und trat mit seinem Begleiter ein.

„Verfügen Sie über dies Gemach,“ sagte er, die Lampe auf den Tisch niedersetzend. „Das Wetter hat Sie allerdings übel zugerichtet, wie ich sehe. Ich will Sie jetzt beim Umkleiden nicht stören, erwarte Sie aber bei Tische. Auf Wiedersehen, Herr von Wehlau Wehlenberg.“

Er grüßte mit einer Handbewegung, die wirklich etwas Vornehmes und Ritterliches hatte, und ging. Hans musterte zunächst die Umgebung: es war ein kleines, düsteres und sehr dürftig ausgestattetes Gemach, nur das große Himmelbett, das an der Hauptwand stand, schien ein ehemaliges Prachtstück gewesen zu sein, aber die kunstvolle Schnitzerei war beschädigt und zerbrochen, die Seidenvorhänge verblichen und zerrissen und das Bettzeug vom gröbsten, bäuerischen Leinen.

„Das Beste wäre es, schleunigst zu Bette zu gehen,“ sagte Hans, indem er in der Nähe des Ofens eine Trockenanstalt einrichtete. „Da mich jedoch dieser Udo, Freiherr von Eberstein-Ortenau zur Tafel geladen hat, so muß ich nothgedrungen erscheinen; aber woher ein trockenes Kostüm schaffen? Vielleicht findet sich irgendwo eine alte Ritterrüstung oder sonst ein mittelalterliches Gerümpel, das ich anlegen kann. Ich glaube, es würde hier großen Eindruck machen, wenn ich eisenklirrend in den Ahnensaal träte. Suchen wir also!“

Er begann wirklich zu suchen und fand auch bald einen Wandschrank, in dem der Schlüssel steckte und der die ganze, sehr bescheidene Garderobe des Schloßherrn zu enthalten schien. Hans nahm ohne Besinnen das beste Stück derselben, einen Pelzrock, und war kaum mit dem Umkleiden fertig, als eine schon bejahrte Frau erschien, die ein Kopftuch trug und im unverfälschten Gebirgsdialekt den Herrn „Baron“ einlud, zu Tische zu kommen.

„Nur Baron – ich hätte mich mindestens zum Grafen gemacht!“ sagte Hans geringschätzig, indem er der Aufforderung nachkam. Die alte Magd führte ihn wieder eine Strecke den Gang hinauf und dann in ein Gemach, das augenscheinlich als Wohn-, Speise- und Empfangszimmer diente.

Es hatte auf den ersten Blick ein ganz stattliches Ansehen, aber ehemalige Pracht und jetziger Verfall mischten sich seltsam darin. Die Wände zeigten noch kunstvolle Täfelung, die Decke dagegen war ganz einfach weiß getüncht und der Kachelofen in der Ecke von der gewöhnlichsten Art. Derselbe Kontrast zeigte sich auch in der Einrichtung: hochlehnige Eichenstühle standen um einen Tisch von grob gezimmertem Tannenholz; auf einem reich geschnitzten alterthümlichen Kredenzschranke machte sich ganz gemeines irdenes Geschirr breit, und das schöne alte Spitzbogenfenster, wahrscheinlich dasselbe, dessen Lichtschein den Wanderer vorhin geleitet hatte, trug Vorhänge von geblümtem Kattun.

„Ich bitte um Entschuldigung wegen meiner Eigenmächtigkeit,“ sagte der junge Mann, indem er sich dem Schloßherrn näherte, der in einem Armstuhle saß. „Meine Toilette war in einem so wenig salonfähigen Zustande, daß ich mir im Vertrauen auf Ihre Güte auch diesen Raub erlaubte.“

Er nahm sich allerdings etwas wunderlich aus in dem Pelzrock, sah aber trotzdem mit dem jugendlichen Gesicht, mit den vom scharfen Bergwinde gerötheten Wangen und den noch regenfeuchten Locken so bildhübsch aus, daß um die welken Lippen des alten Freiherrn ein Lächeln spielte und er freundlich erwiderte:

„Es freut mich, wenn Sie in meiner Garderobe das Nöthige fanden. Nehmen Sie Platz, ich möchte noch eine Frage an Sie richten.“

„Jetzt kommt die Ahnenprobe!“ dachte Hans, und er hatte sich nicht getäuscht, sein Wirth steuerte geradewegs auf dies Ziel los.

„Hans Wehlau Wehlenberg – das hat einen guten Klang!“ fuhr er fort. „Dagegen ist der Name Ihres Stammsitzes etwas ungewöhnlich. Wo liegt eigentlich der Forschungstein?“

„In Norddeutschland, Herr Baron,“ versetzte Hans, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Das dachte ich mir, da ich ihn nicht kenne. Die süddeutschen Adelsgeschlechter und ihre Stammsitze kenne ich sämmtlich,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_574.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)