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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Blätter und Blüthen.

Emil Scaria †. Ein denkwürdiges Künstlerleben hat am 22. Juli durch den Tod seinen Abschluß gefunden: Emil Scaria, der berühmte Bassist, zuletzt Mitglied der Wiener Hofoper, ist in seiner Villa zu Blasewitz bei Dresden einem Schlaganfalle erlegen. Dreißig Jahre sind verflossen, seit er zum ersten Male nach Wien kam, um dort die Rechte zu studiren. Im Jahre 1860 beendete er seine juristischen Studien und damit zugleich seine juristische Laufbahn, da er sich fortan der Musik widmete, welche er bereits seit Jahren mit Vorliebe gepflegt hatte. Noch im selben Jahre betrat er in Pest als St. Bris in den „Hugenotten“ die Bühne, ohne dort oder später in Brünn und Frankfurt am Main einen Erfolg erringen zu können. Nachdem er sich jedoch in London unter Garcia weiter ausgebildet hatte, erlangte er bald einen ausgezeichneten Ruf, der ihn von Dessau nach Leipzig, von dort an die Hofbühne nach Dresden und endlich Anfang der siebziger Jahre an die Hofoper nach Wien führte, wo er, besonders auch in Wagner-Partien, seinen hohen künstlerischen Ruf auf das Glänzendste bethätigte. Vom letzten Winter an war der Geist des Künstlers leider umnachtet. * *      

Der Federbusch der Marie Antoinette. Wie hoch werden unsere Damenhüte noch wachsen? Man muß sich diese Frage vorlegen, wenn man sich daran erinnert, bis zu welcher Höhe es dieselben im vorigen Jahrhundert, in den Jahren von 1770 bis 1790 gebracht haben. Ein französischer Journalist ruft in einer Pariser Zeitung, dem „Siècle“, diese Erinnerung wach, indem er nachweist, wie auch damals die Presse lange Zeit vergeblich gegen diese Thorheiten der Mode angekämpft hat. Freilich, die tonangebenden Damen des Hofes gingen mit diesen Haartrachten, die aus einem hohen wunderbaren Aufbau aus Locken, Zöpfen, Bändern, Nadeln und Federn bestanden, voran. Die Damen mußten in den Karossen auf den Knieen niederkauern, nur um ihren Kopfputz nicht zu beschädigen. Die Königin Marie Antoinette trug unglaubliche Federbüsche, von denen ein Berichterstatter am 9. Jannar 1775 meldet: „Die Königin hat für ihre Schlittenfahrten eine Haartracht ersonnen, welche in Verbindung mit dem Federbüschel den Kopfputz zu einer unglaublichen Höhe steigert. Einige dieser Haartrachten stellen vollständige Landschaftsbilder wie in mechanischen Puppentheatern dar: hohe und niedrige Berge, blumenbedeckte Felder, silberne Waldquellen und nach englischem Geschmack angelegte Gartendekorationen. Ein mächtiger Federbusch hält das ganze Gebäude von der Rückseite zusammen. Als die Königin ihrer Mutter, der Kaiserin Maria Theresia, ein Portrait schickte, auf dem sie mit diesem Federbusch abgemalt war, erwiderte diese, es müsse wohl bei der Absendung des Bildes ein Versehen stattgefunden haben; dies könne nicht das Bild einer Königin, sondern nur das einer Komödiantin sein.“ In jener Zeit empfahl Mademoiselle Frédin ihre Admiralshüte, ein Kriegsschiff mit allem Zubehör, Takelagen und Batterien darstellend, während Mademoiselle Quirin Hüte anpries, die nach dem Vorbilde von militärischen Trophäen mit Wimpeln, Bannern, Fahnen und Kesselpauken geschmückt waren.

Unsere Hutmoden haben also noch gewaltige Schritte vorwärts zu thun, wenn sie mit jenen hochaufgethürmten Prachtstücken des vorigen Jahrhunderts wetteifern wollen. †      

Schach dem König. (Mit Illustration S. 557.) Das ist jedenfalls eine bedenkliche Situation, in welcher sich der würdige Pater befindet, der es gewagt hat, sich mit dem schönen jungen Edelfräulein in den Kampf auf dem Schachbrette einzulassen. Man braucht bloß die triumphirenden Mienen der Siegerin zu betrachten, welche die Hände in den Schoß legt, als brauche sie keinen Zug mehr zu thun, oder das spöttische Lächeln des Hofnarren, der sich an der Niederlage des Paters erfreut, nin die ganze Bedenklichkeit der Lage zu erkennen, in welcher sich der schwarze Mann mit seinem schwarzen Kriegsvolk auf dem Brette befindet. Er ist in tiefes Brüten versenkt; aber es ist ein hoffnungsloses Nachsinnen, mag er nun durch ein Versehen der Gegnerin Gelegenheit gegeben haben, seinem König und seiner Dame zugleich Schach zu bieten, oder mögen gewandte und kühne Entwürfe seinen König in ein Netz verstrickt haben, aus welchem derselbe keinen Ausweg mehr weiß. Das aber sieht man, aus Galanterie hat sich der Pater von seiner liebenswürdigen Gegnerin nicht besiegen lassen; er hat die Sache ernst genommen, und diese Niederlage ist ihm empfindlich. †      

Die Frauen auf den Marschall-Inseln. Diese Inseln des Stillen Meeres, welche jetzt der deutsche Reichsadler unter seine Fittiche genommen hat, sind schon von dem Dichter Chamisso, welcher den russischen Seeofficier Kotzebue auf seiner Reise um die Welt begleitete, geschildert worden, und zwar besonders der Osttheil dieser Inselgruppe, welcher den Namen „Natak“ trägt. Die Bewohner dieser Eilande erschienen dem dichterischen Gemüth Chamisso’s so friedlich, freundlich und anziehend, daß sie fast dem Ideal eines paradiesischen Lebens, wie es seiner Phantasie vorschwebte, entsprachen. Neuere Forschungen, wie sie Karl Hager in seinem Werke „Die Marschall-Inseln in Erd- und Völkerkunde, Mission und Handel“ (Leipzig, Lingke) zusammengestellt hat, geben uns indeß ein anderes Bild von den Eingeborenen; sie sind durchaus nicht so unkriegerisch, wie sie dem liebenswürdigen Dichter erscheinen; ja, sie unterscheiden sich von anderen wilden und auch zahmen Völkerschaften dadurch, daß die Weiber sogar an dem Kriege Antheil nehmen, nicht nur wo es dem Feinde auf eigenem Boden zu wehren gilt, sondern auch beim Angriffe. Sie bilden unbewaffnet ein zweites Treffen: einige rühren auf Geheiß ihres Führers die Trommeln, erst in langsamen, abgemessenem Takte, wenn von fern die Streiter Wurf auf Wurf wechseln, dann in verdoppelten raschen Schlägen, wenn Mann gegen Mann im Handgemenge steht. Sie werfen Steine mit der bloßen Hand, stehen den Ihrigen im Kampfe bei und werfen sich sühnend und rettend zwischen diese und den siegenden Feind. Gefangene Weiber werden verschont, Männer werden nicht zu Gefangenen gemacht. Seltsam ist’s, daß der Mann den Namen des Feindes annimmt, den er in der Schlacht erlegt hat. Die Frauen nehmen eine geachtete Stellung ein und haben Antheil an allen Vortheilen und Vergnügungen. Ihre Hauptarbeit besteht im Flechten der Matten und Segel, worin sie große Geschicklichkeit und viel Geschmack entwickeln, in Zubereitung von Speisen und in leichteren Arbeiten beim Fischen; alle schwereren Arbeitsleistungen fallen den Männern zu. Die Ehen beruhen auf freier Uebereinkunft und können durch dieselbe auch wieder aufgelöst werden; doch herrscht Vielweiberei. Wenn der Jüngling die Jungfrau zärtlich liebkost durch Berührung der Nase – eine auch auf den Karolinen übliche Sitte – so sucht er dafür, um nicht Anstoß zu erregen, den Schatten auf. Jede Mutter darf nur drei Kinder erziehen: das vierte und jedes darauf folgende muß sie selbst lebendig begraben; nur die Familien der Häuptlinge sind so schrecklichem Gesetze nicht unterworfen. Noch manche andere interessante Kunde wird uns von den Marschall-Inseln, welche jetzt unserer Kultur erschlossen sind, und wie drunten die weitgedehnten Korallenbänke, die Träger der Inselgruppen, in hundert Farben und Formen schimmern, wenn der Strahl der Tropensonne hinunterdringt, so wird sich auch droben bald ein geistiges Leben erschließen, das in allen Formen und Farben deutsche Bildung widerspiegelt. †      

Einfluß der geistigen Thätigkeit auf die Vertheilung des Blutes im Körper. Es ist seit jeher bekannt, daß starke Eindrücke, die wir empfangen, auf unser Gefäßsystem besonders einzuwirken vermögen. Wir erblassen vor Schreck und erröthen vor Scham. Man hat sogar beobachtet, daß große unverhoffte Freude oder plötzlicher Schreck das Herz lähmten und den sofortigen Tod zur Folge hatten. In neuester Zeit versuchte man auch den Einfluß normaler Geistesthätigkeit auf den Blutumlauf festzustellen. Professor Mosso gelangte in dieser Hinsicht zu recht interessanten Resultaten. Mit Hilfe sinnreich konstruirter Apparate stellte er fest, daß bei der geringsten geistigen Erregung eine gewisse Menge Blut aus dem Körper nach dem Gehirn strömt, daß z. B. schon die Wahrnehmung eines geringfügigen Geräusches eine Blutwelle aus den Armen und Beinen nach dem Kopfe jagt. Er fand, daß der Puls seines Freundes sich sofort veränderte, als derselbe vom Lesen eines Buches in seiner Muttersprache zur Lektüre eines griechischen Werkes überging. Mosso gelangte in seinen Beobachtungen schließlich zu einer so großen Sicherheit, daß er aus den mit Hilfe seines Apparates gewonnenen Aufzeichnungen genau bestimmen konnte, ob der Untersuchte nüchtern oder satt war, ob er während der Untersuchung schlief oder wachte, ob er erregt oder ruhig war, ob ihn fror oder er über Hitze zu klagen hatte, ja selbst das Vorhandensein der Träume im Schlafe gab der Puls des Untersuchten mit Bestimmtheit wieder. *      

Glühlampenschießsport. England ist die Wiege des Sports, und von diesem Jnselreiche gelangt nach Europa auch die Kunde von einer eigenthümlichen Verwendung der Elektricität für den Schießsport. In einer der südlichen Grafschaften Englands hat, wie elektrotechnische Fachblätter berichten, ein Herzog von Soundso einige Bäume seines Parkes mit Glühlichtlampen besetzen lassen, welche in den Zweigen passend vertheilt sind. Durch Anbringung geeigneter Leitungen kann von einem bestimmten Orte aus ein Mann die einzelnen Lampen sekundenlang aufleuchten lassen. Nach diesen mitten in der finsteren Nacht aufblitzenden Lichtpunkten pflegt nun der edle Lord mit dem sogenannten elektrischen Jagdgewehr, dessen Visir mit einem kleinen elektrischen Beleuchtungsapparat versehen ist, zu schießen. Für die meisten Sterblichen dürfte dieser Sport ein wenig zu theuer sein, und ob die Anekdote überhaupt wahr ist, läßt sich nicht ermitteln. Ihr Grundgedanke ist jedoch in einer Beziehung sehr lobenswerth; dieser Sport wäre Allen zur Nachahmung zu empfehlen, welche sich mit dem unmenschlichen Taubenschießen befassen. Auch dürfte er eines Schützen würdiger sein, als eine andere sportliche Verwendung des elektrischen Lichtes, bei welcher man an hohen Gerüsten starke Bogenlichtlampen befestigt, dieselben in der Nacht entzündet, um dann die in Scharen herangelockten Vögel aus nächster Nähe niederzuschießen. *      


Kleiner Briefkasten.

Georg H ... in B. Im Alt und Diskant der Klaviere sind die Saiten sehr kurz, deßhalb suchte man den hinter dem Resonanzbodensteg liegenden Theil dieser Saiten, welcher in älteren Klavieren durch dazwischen gelegten Stoff abgedämpft war, in harmonischen Tönen erklingen zu machen. Hierin lag für den Klavierfabrikanten eine große Schwierigkeit. Neuerdings hat jedoch der Hof-Pianofabrikant Ernst Kaps in Dresden ein Mittel gefunden, in seinen Flügeln für jeden Ton der Alt- und Diskantsaiten jenen zweiten Theil dieser Saiten ganz rein abzustimmen und so denselben nach Befürfniß höher oder tiefer erklingen zu lassen. Auch die in neuerer Zeit häufig aufgeworfene Frage einer besseren „Stimmunghaltung des Pianinos“ hat Kaps durch Vereinfachung der Stimmstockkonstruktion gelöst und sich dadurch gleichfalls ein nicht unwesentliches Verdienst bezüglich der Vervollkommnung der in Deutschland hergestellten Klaviere erworben.


Inhalt: Sankt Michael. Roman von E. Werner (Fortsetzung). S. 557. – Aus den Schlössern König Ludwig’s II. I. Das Jnselschloß zu Herrenchiemsee. S. 560. Mit Jllustrationen S. 560, 561, 568 und 569. – Max Schneckenburger, der Dichter der „Wacht am Rhein“. S. 563. Mit Illustrationen S. 563 und 564. – Standesgemäß. Von Hermann Ferschke. S. 564. – Karl von Piloty. Von Carl Robert. Mit Portrait S. 565. – Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 566. – Blätter und Blüthen: Emil Scaria †. – Der Federbusch der Marie Antoinette. S. S72. – Schach dem König. S. 572. Mit Illustration S. 557. – Die Frauen auf den Marshall-Jnseln. – Einfluß der geistigen Thätigkeit auf die Vertheilung des Blutes im Körper. – Glühlampenschießsport. – Kleiner Briefkasten. S. S72.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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