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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

so gründlich, wie es die Weise des vorsichtigen Trau-scha-wem-Mannes, zumal Wenns es sich um ein so angenehmes Geschäft handelte, wie das der Rache in seinem Schielauge jedenfalls war Die Rache für meine Haltung in der Angelegenheit seiner Werbung um Christine Hopp. Er Hatte kein Wort der Unzufriedenheit geäußert, keine Drohung ausgestoßen; hatte die Dinge scheinbar ruhig ihren Weg gehen lassen, um ebenfalls in aller Ruhe seinen Weg zu gehen, der ihn denn auch zu dem erwünschten Ziele führte. Ich hatte mich leider dieser Vorsicht nicht befleißigt. ihm aufs Wort geglaubt, daß er uns die neuen Hölzer zu demselben, billigen Preise liefern wolle, wie die früheren: uns den Barvorschuß nicht auf einmal in Abrechnung bringen wolle. Und als ich ihm diesesn Wort- und Treubruch empört in sein schieläugiges Gesicht schleuderte, nahm er gelassen aus seiner Mappe eine Anzahl schmutziger Papiere, von deren Vorhandensein ich keine Ahnung hatte und haben konnte, da Otto mir dieselbe, trotz meiner eindringlichen Bitten, beharrlich verschwiegen, – entsetzliche, zum Theil: prolongirte Kellerwechsel, – Ueberbleibsel der früheren unseligen Mißwirtschaft – welche der Trau-schau-wem-Mann aus ihren Höhlen alle aufzustöbern und an sich zu bringen gewußt hatte. Ob ich jetzt zufrieden sei? Ob ich jetzt begreife, was das, in seinem Munde heiße: „Wurst wider Wurst“ ? Ob er mir jetzt „reinen Wein“ eingeschenkt habe?

Ich eilte zu dem Rechtsanwalt, bei dem Adalbert arbeitete. Der Rechtsanwalt war nicht auf dem Bureau, aber ich durfte mich auf Adalbert’s Gutachten verlassen. Es war nichts zu machen. In der Lieferungssache könne ich es auf einen Proceß ankommen lassen, der aber in erster Instanz zweifellös gegen, uns ausfallen werde und dessen Ausgang in der zweiten mindestens fraglich sei, da er Herrn Kunze in Verdacht habe, er werde es mit dem ihm dann eventuell zugeschobenen Eide so genau nicht, nehmen. - -

Es war am dritten Tage, nachdem die Kinder begraben waren. Der Sturm hatte sich vorläufig ausgetöbt, der Schnees fiel gleichmäßig in dichten großen Flocken, die nur zeitweilig lebhafter durch einander tanzten. Ich war in der Werkstatt, obgleich es dort nichts mehr zu arbeiten gab. Otto war ab und zu gegangen; sicher ohne so wenig zu wissen, weßhalb er kam als warum er ging; Er war von Allem, was geschehen, so niedergedrückt, daß er nicht einmal mehr den Muth hatte, zu seufzen. Der neue Gesell war in der Stadt, um sich nach anderer Arbeit umzuthun, und so saß ich, den Müden Arm aufgestützt, den kranken auf den Rath des Arztes einer Binde, und sah mechanisch Weißfisch zu, der, fast geräuschlos in dem Raume sich hin- und herbewegend, seinen künstlerischen Instinkten zu folgest schien, indem er hier die ungebrauchten Werkzeuge auf dem Tisch zu einem „Handwerker-Stillleben“ gruppirte, dort einen Rest Bretter und Leisten zu ein paar großen Vorlegeblättern an der Wand dergestalt ordnete, daß dabei etwas wie eine dekorative Wirkung Herauskam. Er hatte, sich während der letzten schlimmen Tage in seiner Weise nützlich zu machen gesucht und, da es an Gelegenheit wahrlich nicht fehlte, nützlich gemacht. Ich war ihm dafür dankbar und würde, ihm noch dankbarer gewesen sein, wenn er mich heute, wo es weder im guten noch im schlechten Sinne etwas zu zhun gab, allein gelassen hätte; aber wegweisen mochte ich ihn nicht. So ließ ich ihn gewähren und versank wieder in meine trostlosen Grübeleien, die, wie ich so still dasaß und durch die gardinenlosen Fenster in den lautlosen Tanz der Schneeflocken blickte, sich zu allerlei phantastischen Gebilden verdichteten: Dekorationen von Stücken, in denen ich gespielt; blaue Berge, die mir aus der Ferne winkten, als ich oben „auf dem Walde“ einsam wanderte; das vom Abendlicht umfluthete Schloß, von dessen Zinnen die seidene Fahne wehte über dem Marmorsaal, in welchem meine letzte Unterredung mit dem Herzog stattfand, und das, ich weiß nicht wie, zu dem hoch gegiebelten Israel’schen Hause in der Hafengasse wurde, mit der Luke auf dem „dritten Boden“, in der zwei Knaben saßen und Seifenblasen in die blaue Luft hinaussandten, hinüber nach der Insel mit ihren sonnigen Kornbreiten und schattigen Wäldern, aus denen das alte Herrenhaus von Nonnendorf auftauchte und die Kapelle im Park, wo ich den Major im Gebet fand, der mich in seinen Armen emporhob und küßte, als er zum Vater in die Werkstatt kam, den Sarg zu bestellen für sein todtes Kind.

Das letzte Bild war so seltsam deutlich gewesen, ich schrak zusammen und starrte Weißfisch an, der mir eine alte Möbeldecke, welche in der Werkstatt lag, über die Kniee breiten wollte.

„Sie waren eingeschlafen,“ sagte Weißfisch, „und es ist hier nichts weniger als warm. Ich fürchtete, Sie möchten sich erkälten, noch dazu in der dünnen Blouse, krank, wie Sie sind.“

„Ich bin nicht krank,“ sagte ich, indem ich mir doch die Decke unwillkürlich höher auf die Kniee zog.

„Das werden Sie so lange sagen, bis es zu spät ist,“ erwiderte Weißfisch. „Für die Sache hier zu sterben, damit ist doch schließlich auch Keinem geholfen.“

„Ich werde schon nicht sterben,“ murmelte ich, „und wenn, so ist mir sicher geholfen.“

Weißfisch zuckte die Achseln und sagte:

„Mit dem ,Thomas Münzer' wird es am Ende auch nichts. Herr Lamarque findet neuerdings in dem dritten Akte ,unüberwindliche Schwierigkeiten’. So sagen’ sie immer, wenn sie etwas fallen lassen wollen. Auf die Theaterleute ist eben kein Verlaß.“

„Hole sie und das Theater der Teufel!“ murmelte ich.

„Bravo!“ sagte Weißfisch. „Aber wenn er uns – ich meine Sie, denn, wenn er mich holen wollte, Gelegenheit dazu hat er genug gehabt; – aber wenn er Sie: gnädiger Herr, nicht auch holen soll, um den es doch Jammer und Schade wäre – ein bischen Koncessionen muß der Mensch ans Leben machen, wenn er am Lehen bleiben will.“

„Wer sagt denn, daß ich es will?“

Weißfisch ging mit seinen langen leisen Schritten ein paar Mal vor mir auf und ab. Dann blieb er wieder stehen und sagte:

„Wie wäre es denn jetzt, gnädiger Herr?“

„Wie „wäre was?“

„Mit ihm – Sie wissen ja, was und wen ich meine.“

Der Mann hatte den Augenblick nicht übel gewählt; wenigstens war er vor einem Ausbruche meinerseits, wie er ihn sonst hätte erwarten müssen, sicher. Er machte sich denn auch mein verwirrtes Schweigen zu Nutz und fuhr fort:

„Wir würden es diesmal klüger anfangen und uns mit ihm von vornherein gleich auf den Fuß stellen, auf dem sich mit ihm weiter leben läßt. Wir müßten zu dem Zweck unsere Bedingungen Machen; daß sie sämmtlich acceptirt werden – ich verbürge mich dafür, wenn sie mich mit der Führung der Unterhandlungen betrauen wollen. Zuerst nichts von permanentem Aufenthalt bei ihm im Schloß, höchstens besuchsweise; sonst ein Leben aparte mit dem nöthigen Haushalt, Dienerschaft und Allem, was dazu gehört; Alles fest stipulirt für alle Zukunft. Officiöse Anerkennung des Verhältnisses, versteht sich – gerade so wie damals bei Frau von Trümmnau – mit dem officiellen Titel eines Kammerherrn, wie, Frau von Trümmnau Hofdame war, um dem Dinge doch einen Schick zu geben; im Uebrigen völlige Freiheit, zu gehen und zu kommen. Gnädiger Herr, glauben Sie mir, was die Sache damals verschüttet hat, war einzig und allein die Unbestimmtheit des Verhältnisses, in welchem Sie zu ihm standen. Um dergleichen durchzuführen, dazu gehört eine Konsequenz und ein Takt, die er nun einmal nicht hat. Macht er jetzt Uebergriffe, so ziehen Sie sich einfach mit höflicher Verbeugung auf Ihr eigenes Terrain, zurück. Er kommt schon wieder, darauf können Sie sich verlassen. Geben Sie mir Vollmacht – nur einen Brief, den ich vorzeigen kann – und die Sache ist binnen acht Tagen, was sage ich? binnen vierundzwanzig Stunden in Ordnung.“

Was der Mann da vorbrachte, war Alles so logisch und verständig, so aus der genauesten Kenntniß und klarsten Beurtheilüng der einschlägigen Verhältnisse geschöpft – ich hätte mich nicht so elend, und hilflos fühlen müssen, sollte es spurlos an mir vorübergehen und sollte nicht meine Phantasie unbewußt in der angegebenen Richtung weiter arbeiten. Der Versucher mochte es meinen Mienen ablesen; er fuhr in demselben leisen eindringlichen Tone fort:

„Bedenken Sie, Sie können sich jetzt auf keine Weise selbst mehr helfen und von außen haben Sie keinerlei Hilfe zu erwarten. Was soll nun daraus werden? Es ist ja das bare nackte Elend, dem Sie entgegengehen, und nicht bloß Sie, auch die da unten. Denken Sie an die Hamburger Erlebnisse, von denen Sie mir erzählt haben! Glauben Sie mir: unter dem Gewürm, was sich da verkroch, waren Menschen, die sich einstmals sehen lassen konnten und den Kopf hoch trugen, just wie andere Leute. Aber das ist

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_567.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)