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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Max Schneckenburger,

der Dichter der „Wacht am Rhein“.

Geburtszimmer Max Schneckenburger’s.

Der Schlachtendonner der Kriegsjahre 1870 und 1871 ist längst verhallt, und vernarbt sind die Wunden, welche in jenen Kampfesjahren so mancher deutschen Familie geschlagen worden. Unvergessen aber ist die Begeisterung, welche damals die deutschen Bruderstämme in Nord und Süd einmüthig sich erheben ließ, gemeinsam den drohenden Feind zu bekämpfen und des Vaterlandes Grenzen zu schützen. In treuer Erinnerung leben die Thaten Aller, die mit Gut und Blut für die geheiligte Sache eingetreten sind: das bezeugen die Namen auf den glänzenden Siegesdenkmälern und auf den umkränzten Gedächtnißtafeln in den Kirchen. Auf keinem Denkmal und an keiner geweihten Stätte im deutschen Vaterlande war aber bisher der Name Dessen zu lesen, der an der Begeisterung und den ruhmvollen Thaten der unvergeßlichen Jahre Antheil hat, den Besten und Edelsten gleich, und der die deutschen Truppen von Sieg zu Sieg geführt hat, ob auch sein Gebein längst in kühler Erde ruhte. Nicht einmal sein Name war bekannt, als doch sein Lied auf französischem Boden als deutscher Schlachtruf erscholl und beim Eintreffen froher Siegesbotschaften in allen deutschen Gauen dem Jubel erhebenden Ausdruck verlieh. Man mußte den Dichter der „Wacht am Rhein“ erst erfragen, und was man dann von ihm erfuhr und für ihn that, war wenig genug. Dem Komponisten des Liedes Karl Wilhelm wurde in seiner Vaterstadt Schmalkalden ein wohlverdientes und würdiges Denkmal errichtet, Max Schneckenburger aber ruhte fern von dem geliebten Vaterlande in fremder Erde, und selbst seine rührend schöne Bitte, die er kurz vor seinem Tode niedergeschrieben:

Geburtshaus Max Schneckenburger’s in Thalheim.

„Wenn ich einmal sterben werde
Weit von meinem Vaterland,
Legt mich nicht in fremde Erde,
Bringt mich nach dem heim’schen Strand.
Meines Herzens Flamme lodert
Einzig dir, Germania,
Drum, wenn einst mein Leib vermodert,
Sei mein Stand den Vätern nah.

Wenn die Nebel dann zergehen
Ob dem heil’gen deutschen Reich,
Laß, o Gott, ihn auferstehen,
Meinen Schatten still und bleich:
Daß er seinen Blick erlabe
An dem herrlichen Gesicht,
Ruhig Wiederkehr’ zu Grabe,
Harrend auf das Weltgericht!“

blieb noch lange ungehört. Jetzt endlich ist der Wunsch des Dichters, der schon im Jahre 1840 prophetisch ausgerufen hat, was sich dreißig Jahre nachher so glänzend bestätigte: „Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein, fest steht und treu die Wacht am Rhein!“ in Erfüllung gegangen, und seine Gebeine sind aus der fremden Erde heimgeholt ins deutsche Vaterland.

Max Schneckenburger ist nach seinen eigenen Aufzeichnungen am 17. Februar 1810 (nicht am 27. Febrnar, wie mehrere Biographen melden) zu Thalheim bei Tuttlingen (in Württemberg) als der Sohn eines geachteten Kaufmanns geboren. Das Geburtshaus – vergleiche untenstehende Illustration – ist noch heute erhalten. Unten zu ebener Erde befindet sich der Laden von Max Schneckenburger, dem Sohne des Dichters, der, gleich seinem verstorbenen Vater, den Beruf des Kaufmannes erwählt hat. Das in unserer Anfangsvignette abgebildete Geburtszimmer zeigt neben der alten Bettstelle und einigen Bildern auch noch die trauliche Schwarzwälder Uhr, deren Schneckenburger in seinen Aufzeichnungen öfter gedenkt. Im obersten niederen Dachraume des Hauses saß oftmals der junge Dichter und sah hinauf zu den zwitschernden Schwalben und dem lichtblauen Frühlingshimmel. Hier entstanden seine ersten Lieder, von dem Dachgiebel aus ging der erste Flügelschlag des jungen Sängers, dessen Schlachtlied mit seinen rauschenden Klängen dereinst alle deutschen Stämme versammeln sollte.

Im fünfzehnten Lebensjahre kam Schneckenburger in eine kaufmännische Lehre nach Bern, besuchte hernach auf Geschäftsreisen Frankreich und England und siedelte sich im Jahre 1841 in Burgdorf, Kanton Bern, an, um dort eine (gegenwärtig noch bestehende) Eisengießerei zu gründen. Hier in dem freundlichcn Schweizerstädtchen, in welchem zu Anfang dieses Jahrhunderts der große Kinderfreund und Volkserzieher Johann Heinrich Pestalozzi gelebt und gewirkt hatte, begründete Schneckenburger auch einen eigenen Hausstand, indem er die Tochter des Pfarrers von Thalheim als Gattin heimführte. Sein Herz hing indeß mit unverlöschlicher Liebe an der deutschen Heimat, und er dachte eben daran, bleibend dorthin zurückzukehren, als der Tod ihn in der Blüthe des Mannesalters hinwegraffte. Er starb, 30 Jahre alt, am 3. Mai 1849 zu Burgdorf, wo ein schlichtes eisernes Kreuz, von den Freunden errichtet – mit den Jahren von dichtem Epheu umrankt – seinen Grabhügel schmückte.

Nach 37jähriger Ruhezeit wurden am 16. Juli d. J. in der Morgenfrühe die irdischen Reste Schneckenburger’s von Burgdorf nach Thalheim übergeführt. In der Nähe des alten Grabes saß auf einer Bauk, den Stab in der Hand, des Dichters ergebenster Freund, der greise Oberförster Manuel, von allen Seiten Gegenstand aufrichtiger Verehrung und selbst tief bewegt von dem letzten schweren Abschied. Auch ein Sohn

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_563.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)