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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

vorhin Vorwürfe, weil Sie ihrer Einladung noch immer nicht gefolgt sind, ich hörte es.“

„Ich habe die Frau Gräfin bereits um Entschuldigung gebeten. Uns beschäftigte während der letzten Zeit eine Familienangelegenheit, welche auch die unerwartete Abreise des Professors veranlaßte. Sobald ich von Sankt Michael zurückkehre –“

„Werden Sie einen anderen Vorwand finden!“ fiel Hertha ein. „Sie wollen nicht kommen.“

In dem Gesichte Michael’s stieg eine dunkle Gluth auf, aber er vermied es, den Augen zu begegnen, die er auf sich gerichtet wußte, er schaute hinüber nach der Adlerwand.

„Sie nehmen das mit einer seltsamen Bestimmtheit an, Gräfin Steinrück – und dennoch wünschen Sie mein Kommen?“

„Ich wünsche nur Aufklärung darüber, was es eigentlich ist, das Sie uns fern hält. Sie haben mir und meiner Mutter das Leben gerettet und entziehen sich unserer Dankbarkeit in einer Weise, die uns unerklärlich ist, wenn wir sie nicht für beleidigend halten wollen. Bei einem Fremden würden wir kein Wort darüber verlieren, unserem Retter dürfen wir wohl die Frage stellen: Was liegt zwischen uns? Was haben wir Ihnen gethan?“

Die Worte hatten einen weichen, halb verschleierten Klang, aber es verflossen einige Sekunden, ehe die Antwort kam. Michael’s Auge hing noch immer an jenen Felsenhäuptern, er wußte, daß es Gewitterwolken waren, die sie umzogen, und sah doch nur den goldigen Nebel, den leuchtenden Zauberschleier, er hörte das Donnergrollen, das jetzt näher und lauter herüberklang, und vernahm doch nur dies leise, vorwurfsvolle: „Was haben wir Ihnen gethan?“

„Sie beschämen mich wirklich,“ sagte er endlich, mit einem letzten Versuch, den Ton kühler Artigkeit festzuhalten. „Der kleine Dienst, den ich Ihnen leisten konnte, bedurfte gar nicht des Dankes, Sie haben ihn stets überschätzt.“

„Sie weichen mir wieder einmal aus, darin sind Sie wirklich Meister!“ rief die junge Dame mit einer Bewegung der äußersten Ungeduld. „Aber ich erlasse Ihnen die Antwort nicht, ich will endlich die Wahrheit wissen.“

„Und wenn ich nun diesem Befehl, denn ein solcher scheint es doch zu sein, nicht nachkomme?“

„Das steht freilich bei Ihnen, aber es war kein Befehl, nur eine Bitte, die ich jetzt wiederhole: Was haben wir Ihnen gethan? Warum fliehen Sie uns?“

Es spielte wieder ein Lächeln um ihre Lippen, das alte zauberhafte Lächeln, dem Keiner widerstand, aber hier blieb es wirkungslos. Rodenberg richtete das Auge voll und finster auf sie und sagte mit unendlich herber Stimme: „Das wissen Sie ja, Gräfin Steinrück – das haben Sie längst gewußt!“

„Ich?“

„Ja Sie, Hertha, denn Sie kennen nur zu gut Ihre Macht, und jetzt treiben Sie mich bis zum Aeußersten und lassen mir keinen Ausweg mehr. Nun wohl – ich stelle mich Ihnen!“

Befremdet, fast bestürzt blickte Hertha ihn an, auf eine derartige Wendung war sie nicht gefaßt gewesen, sie hatte sich den Moment ihres Triumphes doch anders gedacht.

„Ich verstehe Sie nicht, Herr Lieutenant Rodenberg,“ sagte sie. „Was soll diese seltsame Sprache bedeuten, die dem Hasse verwandt zu sein scheint?“

„Dem Hasse?“ brach er mit wilder Heftigkeit aus. „Wollen Sie zu dem Spiele auch noch den Spott fügen? Es ist Ihnen ja niemals ein Geheimniß gewesen, daß ich Sie liebe!“

Es klang eigenthümlich genug, das Liebesgeständniß, mit dieser bebenden Stimme, in der Groll und Leidenschaft stritten, mit diesen Augen, in denen es nicht zärtlich, sondern drohend aufblitzte, die Empfindung schien in der That dem Hasse verwandt zu sein.

„Und in solcher Weise werben Sie um die Liebe einer Frau?“ fragte Hertha entrüstet, während doch zugleich eine geheime, nie gekannte Bangigkeit in ihrem Innern aufstieg.

„Werben?“ wiederholte er mit schneidender Bitterkeit. „Nein, das thue ich nicht, und die Werbung wäre mir auch schwerlich gestattet worden, mir, dem jungen, unbedeutenden Officier mit dem bürgerlichen Namen, der nichts hat, als sich selbst und vielleicht noch eine Hoffnung auf die Zukunft. Es wäre mir wohl in der schonungslosesten Weise klar gemacht worden, daß ich meine Augen nicht zu der Gräfin Steinrück erheben darf, daß ihre Hand läugst einem Anderen zugesagt ist, der wie sie die Grafenkrone trägt.“

Hertha biß sich auf die Lippen, der Vorwarf traf, das wäre allerdings der Ausgang der Sache gewesen. Es war der Gräfin Steinrück nie eingefallen, dies Spiel mit dem bürgerlichen Officier ernst zu nehmen, aber es überkam sie doch wie eine heiße Beschämung bei der Entdeckung, daß sie von Anfang an durchschaut gewesen war.

„Sie scheinen nicht zu fühlen, wie beleidigend Ihre Worte sind,“ sagte sie, sich stolz aufrichtend, „und wie beleidigend dies Geständniß ist –“

„Das Sie doch um jeden Preis hören wollten!“ unterbrach er sie. „Nun denn, so nehmen Sie es hin! Ich will Ihnen nicht ableugnen, was sich nun einmal nicht ableugnen läßt, ich will dem Verhängniß ins Auge sehen, denn wie ein Verhängniß ist es über mich gekommen. Ja, ich habe Sie geliebt, Hertha, vom ersten Augenblicke an, wo ich Sie sah, und hätte ich auf Ihre Gegenliebe hoffen dürfen, der Grafentitel der Steinrück hätte mich wahrlich nicht abgeschreckt. Stände mein Glück auch so hoch und unerreichbar wie die Adlerwand dort, ich würde hinaufdringen, und wenn mir auf jedem Schritte das Verderben drohte, ich würde mir das Glück herabzwingen in meine Arme, der ganzen Welt zum Trotze! Aber ich war gewarnt, gewarnt durch ein Kind, das mir einst meinen Schneerosenstrauß abschmeichelte, um ihn dann zu zerpflücken im gedankenlosen Spiel. Es sind noch dieselben rothgoldenen Locken und dieselben schönen, schlimmen Augen, ich erkannte sie wieder bei der ersten Begegnung, aber ich will es nicht zum zweiten Male von diesen Lippen hören, das höhnische, verächtliche: ,Geh’ fort! Ich mag Dich jetzt nicht mehr! Ich bin des Spieles müde!‘ Hat es mir doch ohnehin immer in den Ohren geklungen, wenn mich der Schmeichellaut Ihrer Stimme auch noch so süß umstrickte. Der Knabe ließ seine Blumen eher den Flammentod sterben, ehe er sie in Ihren Händen ließ, und der Mann wird seine Liebe niederzwingen und vernichten, ginge ihm auch ein Stück seines Lebens damit verloren – ein Spielball in Ihren Händen wird sie nimmer sein!“

Hertha war todtenbleich geworden; so hatte es noch Niemand gewagt, sie zu beleidigen, ihr die Wahrheit so rückhaltlos und schonungslos ins Antlitz zu schleudern, aber was fragte der Mann, den sie auf das Aeußerste gebracht hatte, jetzt noch danach, ob er sie beleidigte oder nicht? Der Sturm, den sie selbst entfesselt, brauste auch über sie hin, sie konnte ihm nicht mehr Halt gebieten. Sie sah das deutlich, als Michael jetzt vor ihr stand und ihr flammend, unaufhaltsam dies seltsame Gemisch von Liebe und Haß entgegenschleuderte. Jede Fiber in ihm bebte in wilder, qualvollster Leidenschaft, und dennoch rang er auch jetzt noch dagegen, rang mit einer Kraft, die nicht erliegen wollte und auch nicht erlag. Er war besiegt – unterworfen war er nicht!

„Sie erlassen es mir wohl, Herr Lieutenant Rodenberg, diese Ausbrüche noch ferner anzuhören,“ sagte die junge Gräfin endlich, ihre ganze Selbstbeherrschung zusammenraffend. „Ich werde den Herrn Pfarrer aufsuchen.“

„Dessen bedarf es nicht, ich gehe!“ erklärte Michael, seine Stimme klang tonlos, aber fest. „Ich weiß, daß wir uns nach dieser Stunde nichts mehr zu sagen haben – Leben Sie wohl, Gräfin Steinrück!“

Er verneigte sich und ging. Hertha sah es nicht, wohin er sich wandte, und bemerkte es auch nicht, daß der Pfarrer jetzt aus dem Hause trat und sich ihr näherte. Sie stand regungslos da.

Der Wind wnrde heftiger, die Zweige des Wildrosenstrauches wehten und flatterten über ihrem Haupte, das Wolkenmeer wallte und wogte immer näher heran, und immer höher stieg die Nebelbrandung, als wollte sie die Matte überfluthen. Der verklärende Schimmer an der Adlerwand war erloschen, verschwunden die goldigen Schemen, dort schwammen jetzt graue, schwere Nebelmassen, sie sanken tiefer und tiefer und einten sich mit dem dunklen Gewölk, das jetzt plötzlich zerriß, und mit zackigem leuchtenden Strahle blitzte es hervor – das Flammenschwert Sankt Michael’s!

(Fortsetzung folgt.)




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