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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

wäret; und Renten schwört, daß der Herzog, obgleich er jetzt niemals mehr von Euch spricht, und Keiner Eure Namen erwähnen darf, nichts sehnlicher wünscht und Euch mit offenen Armen empfangen würde. Sehen Sie, das Alles konnte ich Ihnen doch nicht in Maria’s Gegenwart sagen, und jetzt will ich Ihnen auch nur gestehen: ich bin bloß deßhalb gekommen, nachdem ich erst gestern von Ulrich erfahren, daß Sie hier in Berlin sind, weil ich dachte, wenn er auch sonst zu Niemand geht, zu Werins, zu Maria gewiß. Da wollte ich sie denn so lange bitten, bis sie mir Alles von Ihnen sagte, was sie selber wüßte. Und nun muß ich gleich das erste Mal Sie selbst bei Maria treffen! Ist das nicht ein glücklicher Zufall?“

„Für mich zweifellos, gnädiges Fräulein,“ erwiderte ich, „und ich bin Ihnen auch gewiß dankbar für das Interesse, welches Sie augenscheinlich an mir nehmen. Indessen –“

„Nun?“

„Ich frage mich fortwährend, welches wohl der Grund dieses für mich so schmeichelhaften Interesses sein kann. Einen so frivolen, wie bloße Neugier, Ihnen unterzustellen verbietet mir die Höflichkeit, und einen andern finde ich doch nicht.“

„Mein Gott,“ rief sie, „Sie erschweren es den Leuten aber auch gar zu sehr, die ein Unrecht, das sie an Ihnen gethan haben, wieder gutmachen möchten!“

„Verstatten Sie mir ein paar Fragen, gnädiges Fräulein!“

„Fragen Sie immerhin. Sie werden mich offener gegen Sie finden, als Sie es gegen mich gewesen sind.“

„Ich denke, Sie sollen über meine Offenheit am Ende nicht zu klagen haben. Also zuerst: weiß außer Ihnen und Ulrich und selbstverständlich dem Kammerherrn noch sonst Jemand in Ihren Kreisen, wer – nun ja: wer mein Vater ist?“

„Mein Gott,“ rief sie, „das konnte doch nicht verborgen bleiben! Sie kennen ja Herrn von Renten! Was er weiß, weiß schließlich alle Welt.“

„Auch Ihr Herr Vater?“

„Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Er verkehrt so wenig bei uns. Ich habe es ihm nicht gesagt. Jedenfalls weiß er nicht, daß Sie in Berlin sind, oder er hätte Sie sicher aufgesucht. Er liebt Sie sehr.“

„Und hat Ihnen Ulrich gesagt, was ich hier in Berlin treibe?“

„Nein. Was werden Sie treiben? Ich denke, was immer Ihre Lieblingsbeschäftigung war, auch, wie ich von Renten weiß, am herzoglichen Hofe: Poesie.“

„Doch nicht, gnädiges Fräulein. Ich treibe keine Poesie, sondern ein recht nüchternes Handwerk: ich bin Tischler.“

„Was sind Sie?“

Ich hatte den Schrecken, der sich auf ihrem Gesicht malte, erwartet und empfand über denselben eine Art von grausamem Vergnügen. „Tischler,“ wiederholte ich. „Noch dazu ein ganz ordinärer Bautischler, der Thüren und Fensterrahmen macht. Wenn Sie daran zweifeln, wie ich jetzt nach dem spöttisch-ungläubigen Lächeln auf Ihren Lippen schließen muß – ich kann Ihnen meine Adresse geben und würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mir die Kundschaft aus Ihrem Kreise zuwenden. Nicht wahr, gnädiges Fräulein, das haben Sie nicht erwartet? Das vermindert denn doch ein wenig das Interesse an meiner unbedeutenden Person? Auch muß ich, um mein Versprechen völliger Offenheit einzulösen, hinzufügen, daß ich ganz wesentlich aus dem Grunde Handwerker geworden bin und zu bleiben gedenke, weil ich hoffe, so am besten die Schmach jenes Unglücks abbüßen und abwaschen zu können, welches mich ohne mein Verschulden bei meiner Geburt getroffen hat.“

Ich öffnete den Schlag des Wagens, welcher jetzt, am Ausgange der wüsten Straße in eine andere, schon etwas mehr bebaute, halten geblieben war. Sie stand dicht an dem Tritte, zögernd, einzusteigen, mit zuckenden Lippen, während die Farbe aus ihren zarten Wangen gewichen war. Dafür flammte es jetzt in ihren braunen Augen auf, und es kam fast unverständlich durch die zusammengeklemmten weißen Zähne:

„Das war unritterlich von Ihnen.“

„Ich bin auch, Gott sei Dank, kein Ritter, gnädiges Fräulein.“

Sie war an mir vorüber in den Wagen gesprungen, der sich auch alsbald in Bewegung setzte, kaum daß ich den Schlag schließen konnte. Ich sah nur noch eben, wie sich die junge Schöne mit trotziger Miene in die Ecke lehnte.

Und dann stand ich allein auf der öden Straße, dem rasch sich entfernenden Wagen nachblickend, und murmelte noch einmal: „Gott sei Dank!“

Aber aus dem Herzen kam es mir nicht. In meinem Herzen war die todte Liebe wieder erwacht und hatte mit der süßen unvergessenen Stimme – wie an jenem ersten Abend im Nonnendorfer Park – gesprochen: „Hier bin ich!“ Und hatte mich wieder angeschaut mit den großen unvergessenen braunen Märchenaugen.

(Fortsetzung folgt.)




Das Picknick.

Von Oskar Justinus.0 Mit Illustration von E. Ravel.

Ich kann mich nicht recht darauf besinnen – war ich es von Jugend auf oder ist mein Charakter erst im Ministerium so geworden – ich bin von einer prickelnden Ungeduld. Leider – oder vielleicht glücklicher Weise – ist die Natur meiner Charlotte gerade entgegengesetzt. In ihrem Leben ist sie zu keinem Entschlusse gekommen, und wenn ich ihr nicht vor dreißig Jahren mit der Uhr in der Hand eine Präklusivfrist von fünfzehn Minuten gestellt haben würde, innerhalb welcher Zeit sie sich auf ja oder nein für mich zu erklären hätte: mein Weibchen würde entschieden ihr Leben als altes Jungfräulein vertrauert haben – bis an ihr Ende gepeinigt von Selbstanklagen, daß sie ihr Glück durch ihre Unentschlossenheit von sich geworfen hat.

Nun, es ist, dank meiner Energie, nicht dazu gekommen, und wenn ich, ganz eingenommen von meinen amtlichen Pflichten, auch selten ein Wörtlein in die häuslichen Angelegenheiten hineinrede, – in Hauptsachen habe ich mir doch mein Prestige zu wahren gewußt. Wenn der Familienwagen aufs Tiefste verfahren ist und sämmtliche Muhmen und Basen bereits ihre Köpfe geschüttelt haben, so kommt die Sache doch vor meinen allerhöchsten Richterstuhl, und wenn Papa sich geäußert hat, dann ist kein Appell mehr möglich – Rom hat gesprochen – die Sache ist aus und – alle Theile sind befriedigt.

Wir besitzen einen Sohn und – Verzeihung, wenn ich zähle, ich bin zwar Geheimer Rechnungsrath, aber in Familienangelegenheiten ein durchaus fehlbarer Mensch, und wenn mir meine Frau das Küchenbüchelchen zum Zusammenaddiren bringt, weil sie mit der Köchin nicht einerlei Meinung über die Summe ist: ich bringe sicher ein neues und noch falscheres Resultat heraus – also einen Sohn und – Linchen, Minchen, Pinchen und Tinchen: d. h. zusammen vier Mädchen. Es wäre auch gegen Brauch und Ordnung, wenn sich ein höherer Beamter mit weniger als vier Töchtern begnügen wollte. Was sollte er denn allein oder kinderlos mit dem ganzen Gehalt anfangen? Er würde übermüthig werden. Darum hat es die ausgleichende Natur in ihrer Weisheit schon so eingerichtet, daß entweder ein paar gehaltlose Assessoren oder ein paar schneidige Officierchen dem väterlichen Geldbeutel zu Nutz und Frommen beigegeben sind, so ein viertel oder halbes Dutzend Töchterchen dem Salon entblühen; und Töchterchen, wie nett, wie anspruchslos, wie einfach sie auch sein mögen, Sorgen bringen sie immer ins Haus, und die wachsen mit jedem Centimeter, bis zur Verheirathung – und dann hören sie auch nicht einmal immer so sicher auf.

Unser Sohn Adolf freilich hat uns nur Freude ins Haus gebracht. Das Rechnungsräthliche seines Vaters mag ihm wohl auch etwas im Blute stecken: schon als Baby sah er so ernst nach seinen gespreizten Händchen, als wenn er die Fingerchen zusammenrechnete, und als Knabe wußte er aufs Haar zu sagen, wie viel Kirschen ihm Mama zum Frühstücksbrot zugedacht hatte: wenigstens sagte diese immer, es stimme. In der Schule war er bald seinem Lehrer in der Mathematik über, und an dem Tage, an welchem ihn mein Freund, der Direktor der Deutschen Bank, als Lehrling an die Kopirpresse nahm, sagte er nur das Datum voraus, an welchem er Prokurist werden würde. Das stimmte und auch seine Absicht, eine reiche Frau und dereinst drei kleine Grazien um sich zu haben: der Junge hat sich nicht um eine Decimalstelle verrechnet. Klara ist uns eine sehr, sehr liebe Schwiegertochter. Sie wäre es auch sicher gewesen, wenn sie nichts mitgebracht hätte, als ihre persönlichen Vorzüge, aber daß sie die einzige Tochter von drei Häusern Unter den Linden ist, die alle einmal auf das reizende Mädchen fallen werden, ohne ihr Schaden zuzufügen, thut unserer Liebe keinen Eintrag.

Ich bin, weiß Gott, kein Geldmensch, keine Rechenmaschine, aber wenn man sieht, welchen bedeutenden Faktor in dem großen Exempel der Weltgeschichte neuesten Abschnittes leider das Geld spielt, wenn man gewissermaßen als verantwortlicher Vater von drei – nein, vier unheimlich schnell heranwachsenden Töchtern eine gewisse Garantie dafür haben will, daß sie einem nicht eines schönen Tages wie ein unbezahlter Wechsel unter Protest ins Haus zurückkommen, muß man nothgedrungen etwas vorsichtig sein in der Wahl der Freier. Nachdem Adolf einen so schönen Anfang gemacht hatte, meinte ich allerdings, die Mädchen würden sich an ihm ein gutes Beispiel nehmen; nach dem A, glaubte ich, würde es in gleichem Stile das ganze A-B-C hindurch

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