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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

14.

Ich habe diese Geschichte meines Lebens mit dem festen Vorsatz begonnen, in jedem Zuge wahr und wahrhaftig zu sein. So bin ich denn auch jetzt, wenngleich zu meiner tiefsten Beschämung, verpflichtet, zu bekennen: meine zweite Regung, nachdem ich den ersten Schrecken über das so plötzliche Erscheinen der schönen vornehmen, jungen Dame überwunden, war die Genugthuung darüber, daß ich zu meinem Besuche bei Maria jenen mir als einzigen aus meiner Komödiantenzeit verbliebenen gnten und noch einigermaßen modischen und kleidsamen Anzug gewählt, in welchem ich auch den letzten Besuch bei Adele gemacht hatte.

Doch darf ich – diesmal zu meiner Ehre sagen: diese Regung währte mir wenige Sekunden, nur so lange, als die beiden jungen Damen sich die Hände reichten, und war schon verflogen in dem Moment, da sich Ellinor zu mir wandte, mir mit schelmisch verlegenem Lächeln, das ihr unaussprechlich reizend stand, schüchtern die Hand entgegenstreckend, die ich an den Fingerspitzen berührte.

„Wir haben uns freilich recht lange nicht gesehen,“ lispelte sie.

„Ja, es ist schon recht lange,“ stotterte ich.

„Ich will nur einen dritten Stuhl holen,“ sagte Maria, in deren Oberlippe es zuckte, und verschwand in der Kammer nebenan.

Sie hatte kaum den Rücken gewandt, als Ellinor, die langen seidenen Wimpern aufschlagend und mich mit einem Blick ansehend, der mich durchschauerte, leise und eifrig sagte: „Das war nichts! Geben Sie mir Ihre Hand – ordentlich!“

Ich that, wie sie geheißen, und hielt ihre Hand, die in der meinen fast verschwand.

„Mein Gott, wir sind doch schließlich alte Freunde,“ flüsterte sie weiter. „Und wenn wir auch damals kindisch genug waren –“

Sie brach ab. Maria kam aus der Kammer zurück mit einem Stuhl, den ich ihr abnahm. Wir setzten uns, ich klüglich mit dem Rücken nach dem Fenster, um nicht das volle Licht ins Gesicht zu bekommen; die beiden Damen, durch einen kleinen Zwischenraum getrennt, mir gegenüber. Wie oft hatte ich sie so gesehen, wenn uns der Kammerherr in Nonnendorf seine dramaturgischen Vorlesungen hielt! Und wie war mir das Bild der Beiden in der Erinnerung geblieben, daß ich jetzt die leisesten Veränderungen wahrnehmen konnte, nun auch bei Ellinor, wie vorhin bei Maria, ja bei der letzteren -– wohl eben in Folge des sich aufdrängenden Vergleiches – schärfer als vorhin und – zu ihren Gunsten! Damals wäre es mir nicht eingefallen, zu fragen, wer von Beiden die Schönere sei. Jetzt fragte ich es mich sehr ernsthaft. Nicht, als ob Ellinor nicht noch schön gewesen wäre! Sie war es vielleicht mehr als je. Aber das knospenhafte des süßen Mädchengesichtes war verschwunden; die Reize, die damals, sich ihrer selbst nur halb bewußt, aus demselben wie schalkhafte Elfen gespielt und geneckt hatten – sie kannten jetzt augenscheinlich ihre Natur und Macht vollkommen. Eine vollendete Weltdame neben – ja, Maria’s einziges Wesen war nicht so leicht zu rubriciren – ein Wesen eben aus einer anderen Welt, für deren Bewohner und ihre Eigenschaften unsere banale Sprache unzulänglich wird. Schon ihre gehaltene Ruhe stach sonderbar ab gegen die rastlose Beweglichkeit des Mienen– und Gestenspiels, in welcher Ellinor sich gefiel, trotzdem sie erklärte, in großer Eile und „furchtbar abgespannt“ zu sein von einer Reihe langweiliger Visiten, die sie habe machen müssen, zuletzt bei einer alten Generalin, ganz in der Nähe; da habe sie der Versuchung nicht widerstehen können, bei der Freundin, die sie leider so selten sehe, einen Augenblick vorzusprechen.

„Du triffst es besonders günstig,“ sagte Maria; „ich selbst bin kaum vor einer halben Stunde aus der Stadt zurück, und dieser Herr erweist mir heute zum ersten Male die Ehre.“

„Ist es möglich?“ rief Ellinor, sich zu mir wendend. „Aber ich höre ja von Ulrich – das heißt, er schreibt mir, daß Sie schon seit drei oder vier Monaten in Berlin sind. Wir armen Vogtriz freilich – wir können ja keinen Ansprnch auf Sie machen, trotzdem ich es nebenbei denn doch recht grausam von Ihnen finde, den guten Ulrich so konsequent geschnitten zu haben. Und den Kammerherrn hätten Sie doch wirklich einmal aufsuchen sollen – unseren alten Lehrer! Er würde sich so über Ihr Kommen gefrent haben. Er spricht so oft von Ihnen, wenn er bei Tante Isabella ist – in einem sehr eleganten Salonrollstuhl, der oben bei uns stehen bleibt, und in den er hineingesetzt wird, wenn sie ihn die Treppe hinaufgetragen haben. Und Tante Isabella daneben auf ihrer Kauseuse, und der Eine kann kein lantes Wort mehr hervorbringen, und die Andere kaum noch das lauteste verstehen – Ihr könnt Euch vorstellen, wie interessant die Unterhaltung der beiden alten Herrschaften ist. – Wollen Sie fort, Herr – Lorenz?“

„Leider,“ sagte ich; „meine Zeit ist um; ich bin bereits länger, als ich gnt verantworten kann, von Hause fort gewesen.“

„Was ist es denn an der Zeit?“

Sie hatte nach der Uhr gesehen. „Himmel,“ rief sie, aufspringend, „schon so spät! Ich bekomme ja die gräßlichsten Schelte. Husch in den Wagen! Nein, in den Wagen nicht, wenigstens nicht auf dieser Straße, die ja schlimmer ist, als unsere alten pommerschen Landwege. Ich bin fast gerädert. Da gehe ich lieber zu Fuß. So habe ich auch noch zugleich ein paar Minuten länger das Vergnügen, vorausgesetzt, daß Sie nicht vorziehen, allein zu gehen – auf der anderen Seite der Straße. Nein? Das ist galant. Also Adieu, Maria! Auf Wiedersehen! auf baldiges Wiedersehen!“

Sie hatte Maria umarmt, der ich nun auch die Hand zum Abschied reichte.

Wir schritten an der Seite des Fahrdammes etwas hinter dem einspännigen geschlossenen Koupe, dessen Gnmmiräder kaum einmal über eine Unebenheit zu hüpfen hatten. Auf Ellinor’s Gesicht spielte ein halb schelmisches, halb verlegenes Lächeln, als sie jetzt, zu mir emporblickend, hastig sagte: „Sie sehen, ich wollte Sie sprechen.“

Ich verneigte mich stumm.

„In Maria’s Gegenwart konnte ich es nicht,“ sprach sie in derselben hastigen Weise weiter. „Vielleicht haben Sie vor Maria keine Geheimnisse: sie war ja immer die Bevorzugte und verdiente es auch. Aber ich war nicht sicher, ob ich in ihrer Gegenwart auch nur andeuten durfte, daß auch ich Ihr Geheimniß kenne.“

„Ein Geheimniß, mein gnädiges Fräulein,“ erwiderte ich, „das leider so Vielen bekannt zu sein scheint, ist so eigentlich kein Geheimniß mehr. Glücklicherweise wird für mich das Peinliche einer solchen Lage durch einen Umstand wesentlich erleichtert. Der Inhalt des Geheimnisses kann für den, welchen es betrifft, ein Etwas sein, das für ihn nicht existirt, und das ist durchaus mein Fall. Sie verzeihen mir deßhalb gewiß die Bemerkung, daß es sich nicht verlohnt, über ein Nichts zu sprechen.“

Es war härter herausgekommen[WS 1], als ich beabsichtigt hatte. Ich fühlte es und sah es an dem Zucken ihrer Lippen.

„Ich wollte Sie bei Gott nicht kränken,“ sagte ich, mich ihr unwillkürlich nähernd. „Aber wenn Sie eine Ahnung davon hätten, was ich unter diesem unverschuldeten Unglück schon gelitten habe, Sie würden meine Erregung begreifen.“

„Ist denn das Unglück wirklich so groß?“ erwiderte sie.

„Ich kenne Viele, die ich weiß nicht was darum gäben, wenn sie so unglücklich wären. Und Ihre Mutter soll so schön gewesen sein!“

„Sie haben das natürlich Alles vom Kammerherrn?“ sagte ich ausweichend.

„Natürlich!“ erwiderte sie, „von wem sonst? Direkt oder indirekt! Er hat noch alte Freunde am herzoglichen Hofe, die ihn immer au ciurant halten. Alte und junge, unter den letzteren zum Beispiel Herrn von Renten – wissen Sie, zu Ihrer Zeit Kammerjunker, jetzt Kammerherr und der manchmal nach Berlin kommt, auch zu uns, und mir nebenbei sehr den Hof macht. Ich lasse es mir gefallen unter der Bedingung, daß er möglichst viel von Ihnen erzählt. Alles was er weiß. Und er weiß eine Menge, wie, wo und wann er mit Ihnen zusammen gewesen ist, und was Sie gethan und gesagt haben. Er ist voll von Ihnen; er sagt, Sie seien der liebenswürdigste, unterhaltendste, ritterlichste Kamerad, und der Sommer damals die schönste Zeit seines Lebens gewesen. Und auch die glücklichste des Herzogs, der seitdem ganz menschenschen und hypochondrisch geworden ist. Besonders nachdem ihn nun auch noch Frau von Trümmnau verlassen hat. Wissen Sie denn nicht, wo Ihre – wo Frau von Trümmnau jetzt ist?“

„Nein!“ sagte ich kurz und scharf.

„Ach, Sie wissen es sicher,“ rief sie; „Ihr sollt einander ja so sehr lieb gehabt haben! Wie werdet Ihr da nicht mit einander in Verbindung geblieben sein! Und Renten sagt, das würde da bei ihnen auch nicht eher besser, als bis Ihr Beide wieder zurückgekommen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: herausgekommnn
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_550.jpg&oldid=- (Version vom 19.5.2019)