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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

kein Geld hast, wird Alexei es Dir schaffen. Er kann immer Geld haben – zu Parteizwecken, wie sie es nennen. Nun, und Du gehörst ja zur Partei, sagst Du selbst; folglich bleibt es in der Partei, und Du giebst es ihm wieder, sobald Du – nun paß’ aber auf, denn jetzt kommt die Hauptsache! – sobald Du Dich mit Deiner Mutter ausgesöhnt hast. Ich wußte es ja, daß Du auffahren und mir ein gräuliches Gesicht machen würdest, worüber Du Dich schämen solltest; aber daran darf man sich bei Euch Männern nicht kehren. Du sollst auch zu dem Zweck nicht den Demüthigen spielen, obgleich das einer Mutter gegenüber noch nicht so schlimm wäre; Du sollst überhaupt nichts thun, als mir erlauben, Deine Mutter zu bitten, daß sie Dich wieder sieht. Thut sie das – und ich bin überzeugt, daß sie es thun wird, wenn ich ihr schreibe – für das Uebrige lasse ich den lieben Gott sorgen. Er hat mir meinen herzigen Bruder nicht umsonst so gemacht, daß – vorausgesetzt, er ist artig und zieht die Stirn nicht wie jetzt in so häßliche Falten – ihm ein Frauenherz so leicht nicht widerstehen kann, am wenigsten das Herz einer Mutter.“

Die Liebe hatte sich so in Eifer geredet, sie mußte erst einmal wieder frischen Athem schöpfen. Ich wußte ja, daß jetzt sie es war, die da unmögliche Dinge träumte; aber es klang Alles so treu und gut – ich hatte nicht das Herz, sie aus ihrem Traum zu wecken.

„Und dann,“ fuhr sie fort, „wenn wir mit der Mama fertig sind – nein, fürchte nichts: ich sehe wohl, daß es mit Dir und dem Herzog nicht geht, obgleich es jammer-jammerschade ist – Ihr gleicht einander in so vieler Beziehung, und ich glaube, das ganze Unglück kommt daher, daß Ihr Euch zu ähnlich seid – also: wenn wir die Mama für uns haben und Du in der Gesellschaft die Stellung einnimmst, die Dir von Gottes– und Rechtswegen gebührt, dann gehen wir muthig auf das Hauptziel los. Mein Gott, sie ist ja dann schon so etwas wie Deine Kousine und ihr Vater, den Du so vergötterst, eine Art von Onkel. Da kann man ja ohne Weiteres wieder anknüpfen, ja muß es, wenn man nicht geradezu ungezogen sein will. Im Uebrigen verlasse ich mich wieder auf ein gewisses Paar blauer Augen, die, seitdem ich sie nicht gesehen, noch viel blauer und schöner geworden sind – die echten Vogtriz’schen Augen – die Vogtriz sollen ja, habe ich mir sagen lassen, Alle so schöne Augen haben, Fräulein Ellinor selbstverständlich die schönsten.“

„Aber nun bist Tu doch mit Deinem Programm zu Ende?“ sagte ich mit einem Lächeln, das mir nicht von Herzen kam.

„Vollständig,“ sagte sie, ihr Schürzchen glatt streichend (ich glaube, es war ein russisches, mit einem Weißen Grunde, über und über in einem wunderlichen Muster roth und blau benäht); „nun kannst Du reden, aber vernünftig, wenn ich bitten darf.“

„Also vernünftig,“ sagte ich. „Nehmen wir also an: Dein souveräner Wille ist geschehen: ich bin kein armer Tischler mehr, sondern flanire unter den Linden und klappere mit dem Golde in meinen Taschen. Dann –“

„Dann heirathest Du Ellinor, ganz richtig.“

„Die vielleicht, oder wahrscheinlich, oder ganz bestimmt seit Jahr und Tag verheirathet ist.“

„Fällt ihr gar nicht ein,“ rief Adele lachend.

Ein freudiger Schrecken durchzuckte mich, dessen ich mich doch im nächsten Augenblick schämte. Was ging es mich an!

„Ich weiß es von Fräulein von Werin,“ sprach Adele eifrig weiter. „Du mußt nämlich wissen, daß, seitdem wir vor drei Monaten hierher kamen – Alexei hatte schon vorher mit Deinem Freunde in Verbindung gestanden – sie stehen ja alle mit einander in Verbindung – mir ist es schleierhaft, wie sie in dem Menschenocean einander finden – ich auch die Bekanntschaft der Damen Werin gemacht habe und wenigstens mit Maria befreundet bin. Wir sehen uns nicht oft, aber wir sehen uns doch. Durch sie weiß ich von den Vogtriz, mit denen sie allerdings eigentlich in keiner Verbindung mehr steht, nur daß Ellinor sie ab und zu doch noch besucht. Verheirathet ist Ellinor nicht, so viel steht fest. Das Nähere kann Dir freilich nur Maria sagen, die Du ja doch jetzt sobald als möglich aufsuchen wirst. Da ist Alexei!

Wo kommst Du denn schon so früh her?“

„So früh?“ sagte der Graf lachend, Adele auf die Stirn küssend und mir die Hand reichend. „Ei, meine Liebe, das könnte mich eifersüchtig machen, selbst auf einen sonst hochverehrten Schwager.“

Des Grafen Liebenswürdigkeit konnte doch den Zauber nicht wieder herstellen, den sein Kommen gebrochen hatte. Ich blieb noch eine kleine Weile, während er von den politischen Tagesereignissen einen Bericht gab, dem Adele und ich nur ein halbes Gehör schenkten. Nur einmal horchte ich auf, als er sagte, daß sich das Gerücht von der Ungnade, in welche der Oberst von Vogtriz gefallen, zu bestätigen scheine. Man gehe sogar so weit, ihm eine gewisse militärische Broschüre zuzuschreiben, die heute ausgegeben sei und mit ihrer scharfen Polemik gegen das herrschende System viel Staub aufwirbele. Adele unterdrückte nur mit Mühe ein leises Gähnen; auch ich empfand plötzlich schwer die Müdigkeit, welche ich bereits mitgebracht hatte. Wir schieden, nachdem mir Adele das Versprechen abverlangt, welches ich denn auch, halb schon träumend, gab, daß ich den Besuch der Damen Werin nicht länger als unumgänglich hinausschieben wolle.

11.

Der neue, von Weißfisch herbeigeschaffte Geselle hatte sich am frühen Morgen versprochenermaßen eingefunden und erwies sich als ein fleißiger, bescheidener Mensch, der den Socialdemokraten, wenn er einer war, glücklicher Weise nicht herauskehrte. Leider aber war es noch ein Anfänger und von Natur wenig anstellig, so daß ich, ihm unsere Art und Weise der Arbeit beizubringen, meine liebe Noth mit ihm hatte. Dennoch durfte ich hoffen, unsere Lieferung für den Kunze’schen Neubau in der Königsstadt rechtzeitig fertig zu stellen, vorausgesetzt, daß mich mein Arm nicht in Stich ließ, dem ich jetzt mehr als sonst schon zumuthen mußte und der mir manchmal, besonders am Abend nach gethaner Arbeit und fast regelmäßig des Nachts, stundenlang die empfindlichsten Schmerzen verursachte. Ich fragte auch den Arzt, der zu den kranken Kindern kam; aber er schüttelte den Kopf und meinte, das sei ein Fall für einen Specialisten. Einen solchen aufzusuchen, hatte ich weder Zeit noch Geld. Das Letztere besonders war sehr knapp, nachdem ich meinen letzten Sparpfennig hergegeben hatte, so knapp, daß ich die Klingel an der Hausthür nicht mehr ohne Herzklopfen hören konnte, in der Furcht, es könnte einer der Gläubiger kommen, die wir noch immer hatten, oder gar Herr Kunze uns seinen Kredit kündigen. Glücklicher Weise war der Trau-schau-wem-Mann auf einer Geschäftsreise, von der er erst nächsten Mittwoch zurückerwartet wurde. Bis dahin mußte unsere Lieferung fertig sein, und dann würde uns nach Abrechnung des Vorschusses, den uns Herr Kunze gemacht, doch noch eine, wenn auch kleine Summe übrig bleiben.

Ueber meinen geschäftlichen und häuslichen Sorgen und Mühen vergingen mehrere Tage, ohne daß ich daran denken konnte, Adele wieder zu sehen, geschweige denn den versprochenen Besuch bei den Damen Werin zu machen. Seltsamer Weise war es ein Brief von Schlagododro, der mich schließlich wenigstens zu dem letzteren bestimmte.

Dieser Brief war die Antwort auf einen von mir – ich hatte mir seine augenblickliche Adresse von Christinen verschafft – in welchem ich ihm in trockner, geschäftsmäßiger Kürze die im Leben des Mädchens vorgegangene Veränderung mittheilte, und daß diese Veränderung wesentlich mein Werk sei. Ich hoffte von seiner Ehrenhaftigkeit, daß er keinerlei Versuch machen werde, sich meiner Schützlingin abernials zu nähern und ein Verhältniß wieder anzuknüpfen, unter welchem dieselbe bereits mehr als zu viel gelitten habe.

Seine Antwort lautete:

„Liebes Kind – denn das bist und bleibst Du mir, wie ich für Dich Schlagododro bleibe, wenn Du mich auch Sie und Ulrich schimpfst und überhaupt an mich schreibst, als wäre ich schon ein Dutzendmal vorbestraft und hätte neuerdings wieder silberne Löffel gestohlen. Und Alles das, weil ich ein hübsches und liebenswürdiges Mädchen hübsch und liebenswürdig gefunden, ihr das gesagt und durch diverse Küsse, die ich auf ihre reizenden Lippen gedrückt, und die sie mir, wenn ich nicht irre, zurückgegeben, besiegelt habe. Ist das ein Verbrechen, so muß ich mich freilich schuldig bekennen. Will auch gar nicht leugnen, daß es mir verteufelt schwer ankommt, nun Urfehde schwören zu sollen, oder aber in Bann und Acht gethan zu werden, wie Du mit einer Deutlichkeit androhst, die nichts zu wünschen übrig läßt. Na, Kind, weil Du es bist! Jeder Andere, der sich herausnähme, ,von meiner Ehrenhaftigkeit etwas zu hoffen', auf deutsch: an

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