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Wittelsbacher Ruprecht gepflanzt, wollte der Zähringer Karl in gleichem Ehrgeiz zur Verjüngung pflegen. Den Namen Ruperto-Carola, den nun die Universität erhielt, sollte denn auch die nächste Zukunft schon vollauf rechtfertigen.

Aus dem alten Professorenstamm wurden ausgezeichnete Kräfte, wie der protestantische Theologe Karl Daub, dem umgestalteten Institut erhalten, neue mit großer Sorgfalt und besonderem Glück berufen, wie der große Rechtslehrer Thibaut und der große Philologe Creuzer. Dazu kam dann der streitfertige Alterthumsforscher und Homer-Uebersetzer Joh. Heinrich Voß, der denkgläubige Theologe Paulus, der freisinnige Historiker Schlosser. Während Napoleon die Welt durcheinander rüttelte, erstarkte an Heidelbergs Hochschule ein Kreis der ausgezeichnetsten Männer, der ihr einen weithin leuchtenden Glanz verlieh. Im Jahre 1808 wurden die „Heidelberger Jahrbücher“ begründet, die aus diesem gelehrten Kreise zur gebildeten Welt sprachen und einen anregenden wie bestimmenden Einfluß auf Wissenschaften und Forschungen jahrzehntelang ausübten. Die neue deutsche Geistesrichtung der Romantik baute sich dazu ihr warmes Nest unter den romantischen Ruinen des Heidelberger Schlosses und hierbei, wie auch bei den Jahrbüchern, spielte Creuzer mit seiner romantisch-idealen Weltanschauung die Hauptrolle. Die junge Dichterschule, wie sie Schlegel, Arnim, Brentano, Eichendorff, Jean Paul vertreten, machte Heidelberg zu dem, was vorher Weimar gewesen. Die Strebenden und geistig Schaffenden in Deutschland machten eine Pilgerfahrt nach dieser von neuem Ruhm umwobenen Neckarstadt und ließen sich da kürzere oder längere Zeit nieder. Auch Goethe badete sein olympisches Haupt 1814 und 1815 im Morgenroth, das diese Sonne ausstrahlte, und fand in Marianne Willemer seine Suleika, der er im „Westöstlichen Divan“ ein poetisches Denkmal setzte.

Universität Heidelberg.
Nach einer Photographie von Edm. von König in Heidelberg.

Niemals bedeutete Heidelberg so viel wie damals in der Welt der Bildung. Es kamen Studirende aus Frankreich, aus England, aus allen Ländern dahin; neue Bauten entstanden in der Stadt, zahlreiche Landhäuser mit Gärten um ihren sich vergrößernden Kern. Treffliche Pensionen und Erziehungsanstalten lockten außerdem viele Fremde herbei, welche dazu beitrugen, das gesellige Leben in der bergumkränzten Musenstadt aufs Reizvollste zu gestalten. Immer zahlreicher wurden die landsmannschaftlichen Vereine oder Korps, die sich gebildet hatten und denen nach den Befreiungskriegen die Burschenschaften zutraten, deren nationale Tendenzen der Romantik einen scharf ausgeprägten, auf Deutschlands politische Einheit hinweisenden Zug verliehen.

Und auch immer neue Sterne der Wissenschaft tauchten am wolkenlosen Himmel der Heidelberger Hochschule auf. Ein Mittermaier und Vangerow, ein Mohl und Bluntschli in der juristischen Plejade, ein Schenkel in der theologischen, ein Chelius in der medicinischen; ein Gervinus, ein Häusser, ein Rau, ein Bunsen, ein Kuno Fischer in den verschiedenen Abtheilungen der philosophischen – ehemals artistischen. Wer nennt die Namen alle und auch derer, die sie angezogen, die ihr Wissen gebildet und die in „goldbekränzter Jugend“ von Heidelberg seit achtzig Jahren auszogen in die Welt, um dann tausendfältig das Evangelium der Bildung, in glorreich sich entfaltender Thätigkeit oder in bescheidenem Wirken, zu lehren!

Heidelberg war auch die Zufluchtsstätte des vorkämpfenden liberalen Deutschland seit den vierziger Jahren, in denen die Wehen der neuen Zeit sich immer fühlbarer machten. Was da an ausgezeichneten Männern zusammenströmte, erzeugte frische politische Lebenslust, die dann in die stickige Atmosphäre des bundestägigen Jammerdeutschlands abströmte. Gervinus und Häusser hoben durch ihre Schriften die Hoffnungen der deutschen Jugend; eine wirkliche Professorenzeitung, „Deutsche Zeitung“ genannt, wurde in Heidelberg gegründet und versuchte muthvoll und überzeugungstüchtig gegen den Polizeistaat und das verknöcherte Schreiberthum anzukämpfen. Und aus demselben Kreise ging 1848 am 5. März die Versammlung der 51 liberalen Männer hervor, welche über die Maßregeln zur Erreichung politischer Reformen berieth und deren Aufruf das Frankfurter Vorparlament zur Folge hatte. Die Stürme von 1848 und 1849, die Eingriffe der heranwachsenden Reaktion ließen auch Heidelberg, das liberale, nicht unberührt; aber ohne dauernden Nachtheil ging doch die Universität daraus hervor. Sie behauptete ihren hohen Rang, sie arbeitete rührig weiter in der wieder ruhig gewordenen Zeit. Scheffel’s unpolitische Zech- und Preislieder verliehen dann ihrer alten Romantik und ihrem Ruhm eine neue, lebensfrische Volksthümlichkeit, und diese wird sicherlich nicht zum Wenigsten dazu beitragen, ihr fünfhundertjähriges Jubelfest, welches in den ersten Tagen des Monats August stattfinden wird, zu einem solchen zu gestalten, an dem ganz Deutschland mit Stolz und Freude Theil nimmt.




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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_532.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)