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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Verdienst oder Talent entgegentrat, und diesem jungen Offieier gegenüber, der sich zweifellos als einer der Tüchtigsten erwiesen hatte, ließ er sich sogar zu einem Lobe herab.

„Die große Laufbahn ist Ihnen nunmehr geöffnet,“ sagte er am Schlusse der Unterredung. „Sie stehen auf der ersten Stufe, und das Emporsteigen ist in Ihre Hand gegeben. Wie ich höre, haben Sie sich schon in sehr jugendlichem Alter im Felde ausgezeichnet, und Ihre jüngste Arbeit beweist, daß Sie noch mehr können, als nur mit dem Schwerte dreinschlagen. Es soll mich freuen, wenn sich die Hoffnungen, die Sie daran knüpfen, dereinst erfüllen, wir können jungen kräftigen Nachwuchs brauchen. Ich werde mich Ihrer erinnern, Lieutenant Rodenberg – wie ist Ihr Vorname?“

„Michael!“

Der General stutzte bei diesem ungewöhnlichen Namen, ein seltsamer, ein unmöglicher Gedanke blitzte in ihm auf, freilich nur, um im nächsten Augenblick schon wieder verworfen zu werden, aber er musterte noch einmal scharf die Züge des vor ihm Stehenden.

„Sie sind ein Sohn des Oberst Rodenberg, der in W. kvmmandirt?“

„Nein, Excellenz.“

„Aber doch mit ihm verwandt?“

„Auch das nicht. Ich kenne weder den Oberst noch seine Familie.“

Jetzt flog ein jähes Erbleichen über das Antlitz Steinrück’s, und er trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Und welchem Berufe gehört Ihr Vater an?“

„Mein Vater ist todt, schon seit Jahren.“

„Und die Mutter?“

„Gleichfalls.“

Es folgte eine sekundenlange Pause, die Augen des Grafen bohrten sich förmlich in das Gesicht des jungen Offiziers, endlich fragte er langsam:

„Und wo – wo haben Sie Ihre Jugendzeit verlebt?“

„Auf einer Försterei in der Nähe von Sankt Michael.“

Der General zuckte zusammen, die Entdeckung, die er freilich während der letzten Minuten geahnt hatte, traf ihn dennoch wie ein Schlag.

„Du bist es? – Unmöglich!“ stieß er halblaut hervor.

„Excellenz befehlen?“ fragte Michael in eisigem Tone. Er stand unbeweglich da, in streng dienstlicher Haltung, nur seine Augen flammten, und jetzt erkannte Steinrück auch diese Augen wieder. Er hatte sie schon einmal so wildflammend gesehen, als er dem Knaben jenen unverdienten Schimpf angethan, sie hatten genau denselben Ausdruck wie damals.

Aber Graf Michael verlor selbst nicht in einem solchen Augenblick die Haltung. Schon in der nächsten Minute hatte er sich gefaßt und stand da in der alten gebietenden Weise.

„Gleichviel! Die Vergangenheit mag abgethan sein, und ich sehe den Lieutenant Rodenberg heut zum ersten Male. Ich nehme weder das Lob zurück, das ich Ihnen ertheilte, noch die Hoffnungen, die ich hinsichtlich Ihrer Zukunft aussprach. Sie dürfen nach wie vor auf mein Wohlwollen rechnen.“

„Ich danke, Excellenz,“ unterbrach ihn Michael mit schneidendem Ton. „Es genügt mir, aus Ihren, eigenen Munde zu hören, daß ich denn doch noch zu irgend etwas in der Welt tauge. Ich habe allein meinen Weg gefunden und werde ihn auch allein weiter gehen.“

Auf der Stirn des Generals stieg eine Wetterwolke empor.

Er wollte großmüthig vergessen und glaubte mit seiner widerwilligen Anerkennung etwas Ungeheures zu thun, und jetzt wurde Beides in der schroffsten Form zurückgewiesen.

„Sehr hochmüthig!“ sagte er in einem beinahe drohenden Tone. „Sie thäten besser, diesen unbändigen Stolz zu zügeln. Es ist Ihnen einmal Unrecht geschehen, und das mag Ihre Antwort entschuldigen, ich will sie nicht gehört haben. Sie werden sich jedenfalls eines Besseren besinnen.“

„Haben Excellenz noch Befehle für mich?“ fragte Michael kalt.

„Nein!“

Ein zorniger Blick traf den jungen Offieier, der es wagte, sich selbst zu verabschieden, ohne die Entlassung abzuwarten, aber Michael schien jenes Nein dafür zu nehmen, er grüßte militärisch, wandte sich um und schritt davon.

Stumm nud finster blickte ihm der General nach. Er konnte sich noch immer nicht in das finden, was er doch vor Augen sah. Es war ihm freilich damals gemeldet worden, daß der „mißrathene Bube“ seinem Pflegevater entlaufen und nicht wieder zurückgekehrt sei, wahrscheinlich aus Furcht vor Strafe. Er hatte es nicht der Mühe werth gehalten, Nachforschungen nach dem Entflohenen anzustellen: wenn der Bube verschwunden blieb, um so besser, dann war man ihn los, und mit ihm die letzte Erinnerung an ein Familiendrama, das begraben bleiben sollte um jeden Preis; er war ja stets im Wege gewesen. Wohl drohte bisweilen wie ein dunkler Schatten die Befürchtung, der Verschwundene könne dereinst aus Schande und Elend wieder auftauchen und seine verwandtschaftlichen Beziehungen, die sich doch nun einmal nicht ableugnen ließen, zu Erpressungen benutzen, aber man war mit seinem Vater fertig geworden, als dieser Aehnliches versuchte, man würde auch mit ihm fertig werden. Graf Michael war nicht der Mann, sich vor Schatten zu fürchten.

Und jetzt tauchte der Verschwundene in der That wieder auf, aber auf demselben Boden, wo die gräflich Steinrück’sche Familie verkehrte, jetzt wurde er genannt, als Einer von denen, die dereinst emporsteigen werden, ohne fremde Hilfe durch eigene Kraft, und jetzt wagte er es, die Protektion zurückzuweisen, die man ihm bot, gezwungen und widerwillig genug, aber doch immerhin bot – sah es doch beinahe aus, als wolle er jetzt die Familie seiner Mutter verleugnen!

Auf der Stirn des Grafen lag noch die drohende Wolke, als er in die Gesellschaft zurückkehrte. Soeben erschienen auch Hertha und ihre Mutter wieder im Saale, und die junge Dame wurde sofort der Mittelpunkt des ganzen Kreises. Alles drängte sich um sie, Alles huldigte ihr, Hans Wehlau brach in einer förmlichen Kometenbahn durch den Salon, um in ihre Nähe zu gelangen, und selbst das finstere Antlitz Steinrück’s erhellte sich flüchtig, als er auf sein schönes Mündel blickte.

Nur Lieutenant Rodenberg schien den Eintritt der Damen nicht zu bemerken. Er stand abseits, im Gespräch mit einem alten Herrn, der ihm ein Langes und Breites von dem unfreundlichen Sommer dieses Jahres und dem schönen Herbste erzählte, und hörte anscheinend sehr aufmerksam zu. Aber sein Blick hing an jenem Bannkreise, dem er doch mit keinem Schritt nahte, so heiß und verlangend, wie vorhin an der Rose zu seinen Füßen, und als der Redselige ihn endlich verließ, murmelte er halblaut: „Der dumme Michel! Ich wollte, ich wäre es geblieben!“


Graf Michael Steinrück nahm in der Hauptstadt eine sehr eiuflußreiche Stellung ein. Im Beginn des letzten Feldzuges zum General ernannt, hatte er sich dort als einer der tüchtigsten und schneidigsten Führer bewiesen, und seine Stimme war von entscheidendem Gewicht in militärischen Dingen.

Der General hatte vor sechs Jahren seinen einzigen Sohn verloren, welcher der Gesandtschaft in Paris attachirt gewesen war, und seitdem lebten Schwiegertochter und Enkel in seinem Hause. Der Letztere hatte ursprünglich in die Armee treten sollen, auf Wunsch, oder vielmehr auf Befehl seines Großvaters, der entschlossen war, seinen Willen selbst gegen den Widerstand der Eltern durchzusetzen, trotzdem war es nicht dazu gekommen. Raoul, der in der That ein zarter Knabe war, kränkelte gerade in der Zeit, wo es sich um die Entscheidung über seine künftige Laufbahn handelte, in so bedenklicher Weise, daß die Aerzte einstimmig erklärten, er sei den Anstrengnngen der militärischen Laufbahn nicht gewachsen. Sie wiesen warnend auf das Brustübel des Vaters hin, das sich schon damals zeigte und dessen Keim in dem Sohne erwachen könne, wenn man ihn nicht hinreichend schone, und dieser Sohn war der einzige und letzte Sprosse des alten Geschlechtes. Dieser Rücksicht beugte sich denn endlich auch Graf Michael, aber er hatte es noch bis zum heutigen Tage nicht verwunden, daß ihm sein Lieblingswunsch versagt geblieben war, um so weniger, als Raoul, nachdem er die kritischen Jahre überwunden hatte, zur vollsten Gesundheit und Schönheit heranwuchs. Er war, nachdem er seine Studien auf einer deutschen Universität vollendet hatte, in den Staatsdienst getreten und arbeitete gegenwärtig im Auswärtigen Amte, wo er freilich, seiner Jugend wegen, noch eine untergeordnete Stellung einnahm.

Der General, nunmehr seit zehn Jahren der Herr von Schloß Steinrück, war der Gewohnheit seines verstorbenen Vetters

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_518.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2022)