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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

nicht länger aufhalten. Vergessen Sie nicht, Lothar: punkt zehn Uhr morgen früh habe ich das Versprochene; es ist dieselbe Stunde, in welcher ich unsere junge Schützlingin erwarte, den Kontrakt mit ihr abzuschließen. Auf Wiedersehen, meine Herren!“

Der Schauspieler schüttelte uns die Hände und eilte davon, offenbar mit der Schlußscene und seinem Abgänge sehr zufrieden. Adalbert schien sein Fortgehen kaum zu bemerken. Er hatte sich in den Stuhl geworfen, auf welchem vorhin Lamarque gesessen, und den Kopf in die Hand gestützt; aber ohne den Blick von mir zu wenden, der ich ihm nun gegenüber Platz genommen.

„,Dies wär’ kein Wunder, wundersüchtig Volk’?“ murmelte er.

„Mein Gott, wie wird sich Maria freuen! und die Mutter! und –“

Er brach jäh ab und erhob sich schnell, einen Herrn zu begrüßen, der sich, offenbar Adalbert suchend, dem Tisch genähert hatte. Die Beiden standen ein paar Schritte seitab, eifrig und leise mit einander sprechend, wobei mich ein paarmal der Blick des Fremden streifte. Ich mochte ihm ungelegen da sein; aber er war mir eben so wenig gelegen gekommen: ein schlanker, hochgewachsener Herr, der noch größer gewesen sein würde, wenn er sich nicht ein wenig gebückt gehalten hätte, und den ich nach dem schneeweißen kurzgeschorenen Haar und eben solchem Vollbart für einen älteren, ja alten Mann hätte nehmen müssen, nur daß die Festigkeit der Züge des männlich schönen Gesichtes gar nicht zu dieser Annahme paßte und noch weniger der Glanz der braunen Augen, während, so oft er zu mir herüberblickte, die Lider sich von denselben flüchtig hoben. Ich war eben im Begriff, Adalbert zu sagen, daß er mir eine Zusammenkunft zu gelegener Zeit geben möge, und war zu dem Zweck bereits aufgestanden, als die Beiden zu mir herantraten.

„Erlaube mir, lieber Lothar,“ sagte Adalbert, „daß ich Dir hier eineu sehr intimen Freund von mir vorstelle: den Kapitän Edgar Smith, der sich sehr freut, Dich kennen zu lernen, von dem ich ihm schon gar viel erzählt habe.“

„Und erlauben Sie mir,“ sagte der Kapitän in fließendem Deutsch, aber etwas fremdländischem Accent, indem er mir zu gleicher Zeit in englischer Weise herzhaft die Hand schüttelte, „Sie zu bitten, mir mit unserem Freunde in meiner nah gelegenen Wohnung die Ehre zu erweisen. Ich vertrage nicht gut die Luft in einem öffentlichen Lokal.“

Er hatte die letzten Worte mit einem Lächeln gesagt, das eine besondere Bedeutung haben mußte, und wirklich flüsterte mir Adalbert zu: „wo die Wände Ohren haben.“

„Sie sind sehr gütig,“ erwiderte ich, „aber –“

„Kein Aber,“ sagte Adalbert; „auch für mich ist die Akustik solcher Räume nicht sehr zuträglich, und ich möchte Dich doch gern ungestört sprechen nach den langen Jahren.“

„Ich stehe zu Ihrer Verfügung, meine Herren,“ sagte ich.

Wir verließen zusammen das Lokal und gingen nach der Wohnung des Kapitäns.

Der Kapitän war in ein Haus getreten, das trotz der späten Stunde noch offen stand. – Es war ein sehr wenig vornehmes Haus, in welches wir traten. Auf dem Hof herrschte beinahe völliges und auf der steilen Hintertreppe, die wir nun hinaufzuklimmen begannen, völliges Dunkel, bis der Kapitän ein Wachskerzchen anriß, welchem er noch ein zweites folgen lassen mußte, bevor wir den dritten Stock erreichten und vor einer Thür standen, die er mit einem Schlüssel aufsperrte. Wir traten hinter ihm ein. Auf dem kleinen Flur brannte ein Lämpchen, dessen Dämmerlicht nackte weißgetünchte Wände erkennen ließ mit ein paar niedrigen dunklen Thüren, deren eine jetzt von innen geöffnet wurde. Eine weibliche Gestalt stand in derselben. Der Kapitän sagte ein paar Worte in einer mir unbekannten Sprache, worauf die Gestalt in das Zimmer zurücktrat, ohne die Thür wieder zu schließen. Er wandte sich an mich und sagte: „Wollen Sie die Güte haben, einige Minuten bei meiner Frau zu verweilen? Ich habe noch ein paar Worte mit unserem Freunde zu sprechen.“

Damit öffnete er eine zweite Thür, in welcher er mit Adalbert verschwand, mich so auf dem Flur allein lassend. Ich mußte wohl oder übel der erhaltenen Weisung Folge leisten und betrat das Zimmer der Dame, welche in dem mäßig großen Gemach an dem Sofatisch, auf dem eine Lampe brannte, stand, den ihr angekündigten Fremden erwartend.

„Entschuldigen Sie, gnädige Frau,“ sagte ich.

Ich kam nicht weiter. Die Dame stieß einen leichten Schrei aus und tastete, einen Schritt zurücktretend, hinter sich nach der Tischplatte. Im nächsten Moment aber hatte sie sich mir entgegen gestürzt und an meine Brust geworfen: „Lothar, mein geliebter Bruder!“

„Adele!“

Sie hing an meinem Halse, weinend vor Aufregung und Freude. Ich dankte Gott, daß ich sie reinen Sinnes an mein Herz drücken durfte.

(Fortsetzung folgt.)




Gustav Freytag.
(Mit Portrait Seite 501.)

Am 13. Juli d. J. feierte Gustav Frelstag seinen siebzigsten Geburtstag. In einer launigen Zuschrift an die Redaktion der „Kölnischen Zeitung“ hat der Dichter den Wunsch geäußert, daß er diesen Tag still für sich feiern möchte. Und so ist derselbe auch ohne große äußere Feste vorübergegangen; nur in den Herzen der deutschen Leser wurde er gefeiert, denn wie wenige unserer Dichter verkörpert Freytag in seinen Werken rein und klar den guten deutschen Volksgeist in seiner schönsten Entfaltung. Am 13. Juli 1816 als der Sohn des Arztes und Bürgermeisters der oberschlesischen Landstadt Kreuzburg geboren, zeigte er schon von früher Jugend an innige Liebe zu den Wissenschaften, der Poesie, dem Theater. In ihnen ging sein Streben auf. Frühzeitig konnte er auf eigenen Füßen stehen, mit kühnem Muth die Fesseln abstreifen, die pedantischer Zwang seinem Genius anzulegen bemüht war, und sich aus eigener Kraft nicht nur einen Beruf, einen Wirkungskreis schaffen, sondern auch einen eigenen Herd gründen.

Als Dichter ist Freytag der Herold des deutschen Bürgerthums. Er erkannte zuerst, welch reiner, klarer Quell der Poesie in dem schlichten, einfachen, kerngesunden Leben, dem zielbewußten Schaffen des deutschen Bürgerstandes fließt, und goß aus der erquickenden Fluth köstliche Tropfen in wohlgeformte goldene Becher. So lange deutsche Redlichkeit in Handel und Wandel blühen wird, so lange wird auch „Soll und Haben“ gelesen werden; so lange eine herrliche, den tiefsten Quellen alles Seins nachspürende deutsche Wissenschaft leben wird, so lange wird die „Verlorene Handschrift“ ewig jung und ewig wahr bleiben, und so lange das Gefühl des nationalen Stolzes, die Erinnerung einer mehrtausendjährigen ruhm- und ehrenreichen Entwickelungsgeschichte in unserem Volke leben wird, so lange wird man die „Ahnen mit immer neuem Entzücken lesen. Anton Wohlfahrt, Felix Werner, Georg König werden unsterblich sein als die Vorbilder nie erlöschender deutscher Redlichkeit, deutscher Wissenschaft, deutschen Heldeumuths. Wer in Freytag’s Dichtungen dasjenige vermißt, was der dramatischen und erzählenden Poesie eigentlich erst die volle künstlerische Weihe giebt, das Hineintönen mächtiger, aus der tiefsten Seele geholter, durch ihre Ursprünglichkeit unmittelbar ergreifender Naturlaute, der findet sich reichlich durch eine Fülle herrlicher, dem Leben unmittelbar abgelauschter Einzelheiten von bald tief erschütternder Tragik, bald herzerquickendem Humor entschädigt.

Wie Freytag selbst in der „Verlorenen Handschrift“ das Musterbild eines ernsten, treuen, nur der Wahrheit in der Wissenschaft ergebenen Gelehrten mit nie verlöschenden Farben gemalt hat, so ist er auch in seinem wissenschaftlichen Bestreben stets bemüht gewesen, die tiefste Wahrheit in der schönsten Form darzustellen. Mit genialem Blick erkannte er zuerst die reale Herrlichkeit des deutschen Mittelalters und der Reformationszeit, jene erstere himmelweit entfernt von dem phantastischen Zerrbilde, das unsere Romantiker einst daraus gemacht. Die „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ gehören, sowohl was Ernst und Gründlichkeit der Forschung, als was Plastik und Ebenmaß der Darstellung betrifft, zum Schönsten, was die deutsche Kulturgeschichtschreibuug hervorgebracht hat.

Es erscheint kaum glaublich, wie Freytag es zu Stande bringen konnte, mit dem emsigen, die Dinge im Lichte des Ideals verklärenden poetischen Schaffen, mit der gründlichen wissenschaftlichen Forschung die Leichtigkeit und stete Schlagfertigkeit des Journalisten zu vereinigen, dessen Schriften nur für den Tag, nur für die augenblickliche Wirkung auf die große Masse berechnet sind. Und doch begreifen wir das, wenn wir seine zweiundzwauzig Jahre lange Thätigkeit als Leiter der „Grenzboten“ überschauen. Welche erstaunliche Fülle politischer und litterarischer Einsicht, welche tiefe Gedanken liegen in den schneidigen Leitartikeln aufgespeichert, die er für dieses Blatt geschrieben! Ihm fehlte die niederschmetternde Gewalt der Rhetorik eines Görres, die tödtende satirische Schärfe eines Börne, aber kein deutscher Journalist verstand so herzlich, klar und überzeugend zum Volke zu sprechen, wie Freytag. Ein Mann, der so verschiedenartige, auf den ersten Anschein einander fast ausschließende Vorzüge in sich vereinigt, verdient, daß ihm sein Volk mit freudiger Begrüßung huldige, still und Jeder für sich, wenn er selbst in jener stolzen Bescheidenheit, die immer einen seiner schönsten Züge bildete, jede laute und lärmende Feierlichkeit zurückweist![1] C. Alberti.     


  1. Die „Gartenlaube“ brachte im Jahrgang 1871, S. 410, in dem Artikel „Ein Bild aus der deutschen Gegenwart“ eine Charakteristik des Dichters und ein Portrait, das uns Freytag in seiner vollen Manneskraft vorführt. – Eine ausführliche Darstellung des Lebensganges Freytag’s und der Bedeutung seiner Werke enthält das Buch: „Gustav Freytag. Sein Leben und Schaffen von Conrad Alberti. 2. verb. Auflage, Leipzig 1886.“ D. Red.     




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