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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Wiederkehr des Appetits bei nervöser Dyspepsie, Regelung der Funktionen des Darmkanals, Linderung neuralgischer Schmerzen, Beseitigung der Gemüthsverstimmung, Zunahme des Körpergewichts durch eintretende bessere Ernährung, sowie als Gesammtresultat der Behandlung die sichtliche Mehrung der Fähigkeit zu geistiger und körperlicher Arbeit.“

Leider hat die Einführung derartiger Methoden in die Praxis, trotz ihrer Vorzüge für die leidende Menschheit, den großen Nachtheil, daß das Kurpfuscherthum auch ihrer sich bemächtigte. Es kann demnach nicht nachdrücklich genug davor gewarnt werden, elektrische Kuren von nicht dem ärztlichen Stande angehörigen Personen ausführen zu lassen. Durch unsere anatomische Figur auf S. 509 beabsichtigen wir darauf hinzuweisen, wie wichtig bei der Anwendung elektrischer Ströme die Kenntniß der einzelnen Nervenbezirke sei. Die Elektricität ist in der Hand des Erfahrenen eines der hervorragendsten Heilmittel, in der Hand des Laien unter Umständen ein zerstörendes Gift, insbesondere aber in der Nähe der Centralorgane des Nervensystems, des Gehirns und des Rückenmarks, in ungeeigneter Weise applicirt, weit gefährlicher, als der Inhalt vieler mit dem bekannten Todtenkopfe und einem Ausrufzeichen versehenen Behälter der Apotheke. Wer demnach glaubt, daß eine elektrische Behandlung ihm von Vortheil werden könne, der wende sich vertrauensvoll an seinen Arzt, und dieser wird, falls er sich nicht selbst mit der einschlägigen Specialität befaßt, den richtigen Weg weisen und den geeigneten Mann bezeichnen, bei welchem die entsprechende Hilfe zu finden ist. Nur auf dieser Basis kann sich das die Elektricität als Heilmittel empfehlende Wort des Leiters der Universitätsklinik zu Heidelberg, eines der bewährtesten Forscher auf einschlägigem Gebiete, des Professors Wilhelm Erb, bewahrheiten, wenn derselbe sagt:

„Die Elektricität ist ein so außerordentlich mächtiges und vielseitiges Heilmittel, daß derselben speciell bei den mannigfaltigsten Erkrankungen des Nervensystems so evidente und zweifellose Resultate zugeschrieben werden dürfen, wie kaum einem anderen Mittel. Die Erfahrungen der letzten dreißig Jahre lassen darüber nicht den mindesten Zweifel, daß die Elektricität bei Krämpfen und Lähmungen, bei Erkrankung der Nerven im Allgemeinen, ebenso wie bei solchen des Gehirns und des Rückenmarks im Besonderen, sich hilfreich – oft in ganz eminentem Grade hilfreich – erweisen kann, und daß ihrer Einführung in die Heilkunde eine wesentlich günstigere Beeinflussung mancher Erkrankungsformen zu verdanken ist; es ist nicht zu viel gesagt, wenn wir hier betonen, daß die Heilerfolge nicht selten selbst den kundigen Arzt durch ihre zauberhafte Raschheit und Vollständigkeit in Erstaunen versetzen.“




Was will das werden?
Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)
6.

Der nächste Morgen fand mich wie jeder vorhergegangene bei der Arbeit, aber zum ersten Male wollte die Arbeit nicht flecken, und mein Mitgeselle Konrad Trütschler durfte zum ersten Male mit einem Schein von Recht den „gelernten Tischler“ gegen den „Bönhasen“ ausspielen. Er war auch sonst in übler Laune. Warum ich nicht, wie ich versprochen, gestern Abend nach der Versammlung auf ihn gewartet habe? Nun sei er meinetwegen mit in das Gedränge vor dem Lokale gerathen, und ein Schutzmann habe ihn notirt, trotzdem er „keinen Ton gesagt“! Ueberhaupt die Versammlung! In der Einer gegen die Strikes und ein Anderer für die Armee sprechen dürfe! Es sei ein Skandal, den er im „Volksstaat“ oder im „Neuen Socialdemokrat“ denunciren werde. Ob ich schon einmal bei den Christlich-Socialen gewesen sei? Da sei es eigentlich viel hübscher, und als Redner müsse er denn doch den Prediger Renner viel höher taxiren, als den hochnasigen Herrn „von“ Werin. Die Art kenne er! Junker bleibe Junker und damit basta. Wenn er einmal ans Regiment komme, den Herrn „von“ Werin ließe er zuerst baumeln. Das sei gewiß!

So schwätzte der thörichte Mensch, während Otto, lässig arbeitend, halb zuhörte, halb vor sich hin träumte und ich ungeduldig die Rückkehr Weißfisch’s erwartete, den ich mit einem Billette an Lamarque gesandt hatte.

In Angelegenheiten Christinens, von der ich heute Morgen mit der ersten Ausgabe einen Brief erhalten, welcher noch gestern Abend geschrieben war. Sie sei, als sie nach Hause gekommen, von ihrer Mutter mit der Nachricht empfangen worden, daß Herr Kunze dagewesen sei und erklärt habe, mit seiner Geduld zu Ende zu sein. Zwei Tage wolle er noch warten. Habe er dann Christinens Jawort nicht, werde er die Sache als abgethan betrachten, und die Familie möge dann zusehen, wie sie ohne ihn fertig werde. Die Mutter habe sie bös angelassen, als sie sich geweigert, und der Vater, der sich dann auch hineingemischt, ihr gedroht, sie, im Falle sie bei ihrer Weigerung beharre, ohne Gnade zum Hause hinauszuwerfen. Sie zweifle nicht, er werde seine Drohung buchstäblich wahr machen. Nun habe sie sich ja freilich überlegt, daß sie ihr Verhältniß mit Herrn von V. abbrechen müsse, und dazu sei sie auch fest entschlossen, aber ebenso, ins Wasser zu gehen, bevor sie sich zwingen lasse, Herrn Kunze zu heirathen. Ich möge also keinen Augenblick verlieren, mein Versprechen von gestern Abend einzulösen und mich für sie bei Herrn Lamarque zu verwenden. Sie habe gestern vergessen, mir zu sagen, daß auch die Putzmacherin, bei der sie bisher gearbeitet, ihr gekündigt habe, jedenfalls auf Antrieb des Herrn K., der recht gut wisse, daß ihr damit das letzte Mittel einer anständigen Existenz entzogen sei.

Ich hatte diesen kummervollen, in der Eile fast unleserlich geschriebenen, durch reichliche Thränenspuren halb verwischten Brief kaum entziffert, als Herr Kunze in die Werkstatt schickte, mich fragen zu lassen, ob ich einen Augenblick für ihn Zeit habe zur Besprechung einer Angelegenheit, die „auch für mich nicht ohne Interesse sei“. Das Letztere hatte sich in der dann folgenden Unterredung, die über eine Stunde währte, in für mich peinlichster Weise bewahrheitet.

Ich hatte den Mann bis gestern Abend für einen Ehrenmann durch und durch gehalten; heute lieferte er mir den Beweis, daß ich in der Einsicht und Befolgung seiner Trau-schau-wem-Maxime allerdings ein trauriger Stümper war. Er wolle und müsse das Mädchen haben und damit basta, erklärte er. Ob sie ihn liebe oder nicht, sei ihm ganz gleich. Seine erste Frau habe ihn auch nicht geliebt; aber gehorcht habe sie; das sei die Hauptsache, und wie man diese Hauptsache zu Stande bringe, dafür habe er seine untrüglichen Mittel. Christinens Eltern habe er „völlig im Sack“; es handle sich einzig und allein darum, daß das Mädchen erst einmal Ja gesagt. Er habe sich von der Bedeutsamkeit meines Einflusses überzeugt und frage nun, ob ich, in Anbetracht der Hilfe, die er mir im Geschäfte geleistet habe und weiter leisten, oder aber entziehen und in das Gegentheil verkehren werde – je nachdem – meinen Einfluß zu seinen Gunsten anwenden wolle oder nicht?

Und diesen Menschen hatte ich der armen Christine gestern Abend noch als Gatten empfehlen können! Ich mußte mich in ihren Augen wieder ehrlich zu machen suchen dadurch, daß ich ihr in jeder Weise auf den Weg half, in welchem sie und jetzt auch ich den einzigen sah, der ihr noch möglicherweise offen blieb. Um Zeit zu gewinnen, murmelte ich etwas von meinem Entschlusse, Alles thun zu wollen, wozu ich mich als Freund Christinens verpflichtet fühle. Das Schielauge schien in dieser Erklärung nicht ganz den „reinen Wein“ zu sehen, wie ihn die Vorsicht liebt; aber ich bat, mich für diesmal zu entschuldigen; ich sei in der Werkstatt nicht länger abkömmlich.

Vor der Thür derselben erwartete mich Weißfisch. Er hatte sich nicht hineingewagt, nachdem er von Anna gehört, daß ich drüben bei Herrn Kunze sei. Ohne Zweifel hatte er, indem das eine Wort das andere gab, von meiner Schwägerin auch noch mehr gehört, das heißt Wohl so ziemlich Alles, was ihm in Beziehung auf mich und meine dermaligen Verhältnisse zu wissen irgend wünschenswerth sein konnte. Wenigstens fiel mir nachträglich ein, daß er sich bei mir nach nichts erkundigte, über nichts verwundert war, sondern Alles als etwas ihm längst Bekanntes und Geläufiges hinnahm. Für den Moment war ich viel zu erregt, um darauf achten zu können. Ich bemerkte nur, daß das Aussehen des Mannes weniger verwildert, vor Allem auch sein Anzug sauberer und ordentlicher war, als gestern Abend, und würde auch dies schwerlich beachtet haben, wenn es mir nicht für meine Absicht willkommen gewesen wäre. Der Bote, den ich zu meinem theatralischen Freunde schickte, durfte doch nicht gar so banditenmäßig auftreten, und ich hatte sofort beschlossen, daß

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