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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Im gleichen Maße, wie mein Interesse für das schöne Wesen wuchs, befestigte sich in mir das angenehme Gefühl, nicht verlassen zu sein. Jeder Schatten von Unbehagen war mit ihr geschwunden, und ich lachte mich selber aus, daß flüchtig Gedanken an die Räuberherberge bei mir hatten unterlaufen können.

Das „Nichts“ ließ gar keinen Eindruck zurück. Sie mochte Derartiges vermuthet haben. Um so tiefer wurde sie von der gewiß unschuldigen Frage berührt:

„Ist Ihr Vater nicht zu sprechen?“

Statt jeder Antwort überfloß dunkles Roth ihre Wangen, und weitester Spielraum würde mir gegeben gewesen sein, neue Vermuthungen anzustellen, wenn ich nicht die Absicht hierzu schon so entschieden aufgegeben hätte. Ich verfolgte die Frage selbstverständlich nicht. Dagegen mußte ich auf die Weiterfahrt am nächsten Morgen bedacht bleiben. Die dahinzielende Bitte erregte die ganze Aufmerksamkeit meines Gegenüber, und schnell war das Wort bei der Hand.

„Und kamen Sie nicht zu Wagen?“

„Gewiß, aber der Kutscher flüchtete vor dem Heidenhofe.“

„Und wer brachte Sie zu uns?“

Als ich den Namen Christian’s nannte, trat eine auffallende Veränderung in ihrem Benehmen ein. Erregt sprang das Mädchen auf, legte die merklich zitternde Hand auf meine Schulter, und hastig stürzten die Worte über die Lippen:

„Sprechen Sie, reden Sie! Welche Richtung hat er eingeschlagen? Die Brücke über den Riedbach ist inzwischen unfahrbar geworden, wie es heißt, und benutzte er den gleichen Heimweg, so ist er in dieser furchtbaren Nacht verloren!“

Diese große Theilnahme für den Durchgänger vermochte ich nicht mit den wenig freundlichen Ansichten desselben über den Heidenhof in Einklang zu bringen. Reine Menschenliebe hätte sich bedachter ausgesprochen. Nach meiner Ueberzeugung saß Christian sehr wahrscheinlich wohlgeborgen an guter Stätte und wartete daselbst mein Eintreffen ab. Dieser Ueberzeugung gab ich auch vollen Ausdruck, doch das Mädchen hörte kaum darauf hin, achtete nicht meines begütigenden Zurufs und stürmte geflügelten Schrittes zur Thür hinaus.

Also wieder allein! Diese grellen Gegensätze von Licht und Schatten behagten mir nicht. Die Geschichte wurde immer rätselhafter. Es ging stark auf Zwölf. Die Nacht auf einer Bank zuzubringen, fühlte ich wenig Lust, und so entschloß ich mich zu einem zweiten Streifzuge nach der Küche.

Die Alte traf ich noch mit Kater und Raben am Herde. Aeußerst geschäftig trippelte sie hin und her, als ob sie Tausenderlei zu thun hätte.

Ich erzählte in aller Kürze, wie es mir mit Ingeborg ergangen, und der Schlußakt der Flucht erzielte hier den gleichen Eindruck wie bei dem Mädchen die Erwähnung Christian Nissen’s. Jedes weitere Wort streute mehr Sorge über die eingefurchten gutmüthigen Züge der Alten, die in tiefer Kümmerniß vor sich sprach:

„O du mein Herrgott, was wird das Ende dieser Nacht sein!“

Was auch das Ende sein sollte, ich konnte mich vor Müdigkeit kaum mehr auf den Füßen halten, energisch machte ich daher das Recht einer endlichen Entscheidung über mein Schlafschicksal geltend und drohte, im Weigerungsfälle mir die Lagerstatt selbst zu suchen.

Dies wirkte. Fast apathisch ergriff die Alte eine Leuchte, und unter stillem Seufzen winkte sie mir, zu folgen. Durch einen Seitenausgang traten wir in einen Vorflur, eine schmale, steile Treppe hinan, und ein winziges Stübchen, das kaum Raum für Bett und Stuhl bot, nahm mich auf. Sie setzte das Licht auf den Stuhl, und mit träumerischem Gutenacht und schwerem Ach ging sie von mir.

Der guten Gewohnheit, mich genau in dem Zimmer umzuschauen, worin ich zum ersten Mal die Nacht zubringe, wurde ich auch damals nicht untreu. Hierbei wurde mir die unangenehme Entdeckung, daß das einzige kleine Fenster vergittert war und die Thür weder Schloß noch Riegel besaß.

Ein nicht verschließbares Schlafzimmer ist schon an und für sich ein Uebelstand; in diesem geheimnißvollen Hause wurde er zu einem sehr großen. Das Bett erwies sich als ganz vorzüglich. Mit größtem Behagen streckte ich mich aus, und mit der festen Absicht, keine weiteren Befürchtungen in mir aufkommen zu lassen, gab ich mir Mühe, einzuschlafen. An dem guten Willen hierzu mangelte es nicht, der Wille reichte aber nicht aus. Die Augen wollten sich schon schließen, da begannen noch einmal, ganz verstohlen, alle heutigen Erlebnisse an mir vorüber zu ziehen. Ich mochte sie verscheuchen wie ich wollte, die anfänglichen Nebelbilder wurden nur um so klarer. Fragezeichen reihte sich an Fragezeichen, und eins zeigte sich immer bedeutungsvoller als das andere. Ehe ich es nur recht wußte, befand ich mich in einer Gedankenjagd, wie sie aufregender nicht geritten werden konnte. Die Mahnung Christian Nissen’s: „Im Heidenhof ist es nicht geheuer,“ drängte sich mir peinigend auf. Die Phantasie wurde lebendig, und der jetzt mächtige Argwohn machte lange Schritte. Namentlich die nicht verschließbare Thür beschäftigte mich lebhaft; Schloß und Riegel fehlten vielleicht mit Absicht. Eine Flucht durch das Fenster war abgeschnitten, jeder Hilferuf nutzlos. Konnte Nissen doch mit dem Todtenmoor Recht haben? Dabei fachte sich der Sturm zu neuer Wuth an, rüttelte und schüttelte das Haus, als ob dessen letzte Stunde nahe wäre. Jn den wunderlichsten Tönen heulte es um mich herum; aus allen Ecken und Fugen blies, pfiff und sang es; oft glaubte ich Menschenstimmen, Angst- und Wehgeschrei zu unterscheiden; dann klang es in schaurig mächtigen Tönen wie die Posaune des jüngsten Gerichts. Als das Unwetter ein wenig nachließ, legte ich mich aufs Horchen, sprang auf, um an der Thür zu lauschen – kein Laut rührte sich im Hause, es schien wie ausgestorben.

Ich konnte keine Ruhe finden. Mitternacht mußte längst vorüber sein.

Plötzlich fuhr ich auf. Es war keine Täuschung. Deutlich unterschied ich in den unteren Räumen Männerstimmen. Man sprach schnell und geschäftig, dann wurde es still. Kaum merklich knarrende Laute ließen ein vorsichtiges Oeffnen und Schließen von Thüren erkennen. Was ging dort vor? Mein Herz schlug vernehmbar. Sollte man doch etwas gegen mich im Schilde führen? Und nicht einmal eine Waffe besaß ich zur Vertheidigung!

Ich griff nach dem Taschenmesser, die Klinge war wenigstens nicht schlecht. Der Mörder sollte mein Leben so theuer wie möglich erkaufen.

Zur Ueberlegung des Vertheidigungsplanes blieb keine Zeit, die Sachen entwickelten sich schneller, als ich dachte. Auf der Treppe hörte ich schleichende Tritte. Ich richtete mich auf. Jetzt waren sie bis zur Thür gelangt. Krampfhaft umfaßte ich das Messerheft, der erste Stoß mußte von mir geführt werden. Die Thür öffnete sich leise, leise. Ich hielt den Athem an. Die eingetretene Person blieb stehen, sie horchte jedenfalls, ob ich schliefe. Sie schien beruhigt, that einen weiteren Schritt vorwärts und lauschte wieder. Jetzt war sie am Fußende des Bettes – der nächste Augenblick mußte die Entscheidung bringen. Alle Fibern waren bis zum Zerreißen gespannt – der Arm hatte sich schon zum Stoß auf Tod und Leben erhoben.

Der Mörder schien den direkten Angriff verzögern zu wollen. Er ließ sich zur Erde nieder, bückte sich, und ich fühlte deutlich, wie sich die Gestalt unter die Bettstatt schob. Doch nur Sekunden verweilte sie, und es begann auf gleiche Weise die Rückwärtsbewegung. Die Person erhob sich, schritt so leise, wie sie gekommen, zur Thür, schloß dieselbe sacht, schritt die Treppe hinab, und ihre Tritte verloren sich.

Ich athmete auf. Mit dem Morden war es also vorläufig nichts. Um so wunderbarer erschien mir aber die Handlungsweise des Eindringlings. Welcher Zweck hatte ihn zu mir geführt? Ich dachte an giftige Betäubungsmittel oder eine kleine Dynamitsprengung, und zündete rasch das Licht an. Ich leuchtete umher, jede Bettfuge wurde untersucht – weder unter noch neben dem Bette war etwas zu entdecken; selbst die Stiefeln standen auf dem richtigen Platze. Ich sann und sann, stellte Vermuthung über Vermuthung auf, da endlich wußte ich Bescheid, man hatte das Stübchen bestohlen – – der Stiefelknecht war verschwunden.

Ich lachte so laut, daß ich dem Sturm ein Paroli bog, und Friede zog ein in die geängstete Seele. Bald schlief ich friedlich.

Goldene Sonnenstrahlen, die sich mein Haupt zum Spielball ihrer neckischen Launen ausersehen hatten, weckten mich. Der Tag hatte schon lange das Morgenkleid abgestreift und winkte mit blauem Himmel, den ein frischer Nordost schmuck gefegt, fröhlich zum Fenster herein. Schnell war ich in den Kleidern und ebenso schnell im Wirthszimmer drunten.

Auch dort hatte die goldene Sonne Wohnung genommen, glitzernd lag sie auf den blanken Tischen und freute sich des frisch gestreuten Sandes. Ein Blick nach dem großen Hofe, wo Knecht und Magd in fleißiger Arbeit schafften, überzeugte mich zur Genüge von der hier

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