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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Die Spitze des kleinen Fußes in dem blauen Atlasschuh schlug ungeduldig gegen den Boden.

„Der Name scheint Staatsgeheimniß zu sein, da Sie ihn so beharrlich verschweigen.“

„Durchaus nicht, ich habe nicht den mindesten Grund dazu. Ich bin als Gast in Tannberg, bei den dortigen Verwandten des Professors Wehlau.“

Hertha schien überrascht zu sein, sie spielte anscheinend zerstreut mit einer Rose, die sie vorhin abgebrochen hatte, aber ihre Augen hafteten auf dem Gesichte des jungen Officiers.

„Ah, die kleine Bergstadt, die ganz in der Nähe von Steinrück liegt! Wir denken auch einige Wochen auf dem Schlosse zuzubringen.“

Ein schnelles, blitzähnliches Aufleuchten flog über Michael’s Züge, es kam und ging in einem Moment, im nächsten war es schon wieder verschwunden, und er erwiderte in kühlem Tone:

„Die Herbstzeit ist allerdings sehr schön in den Bergen.“

Diesmal wurde die junge Gräfin nicht ungeduldig, vielleicht war ihr jenes Aufleuchten nicht entgangen, denn sie lächelte, während sie in ihrem Spiel mit der Blume fortfuhr.

„Wir werden Sie trotz dieser Nähe schwerlich zu Gesicht bekommen,“ sagte sie spottend. „Ich vermuthe, daß Sie auch hier irgendwo ,Dienst’ haben.“

„Sie scherzen, Gräfin Steinrück.“

„Ich spreche im vollen Ernste. Auch heute erfuhren wir erst durch Herrn Wehlau von Ihrer Anwesenheit. Sie hatten sich natürlich sofort unsichtbar gemacht und waren jedenfalls in irgend ein strategisches Gespräch mit dem Oberst vertieft, als wir eintraten. Wir bedauern sehr, gestört zu haben, man sah ja, wie unangenehm es Ihnen war.“

„Sie sind gänzlich im Irrthum, ich war sehr erfreut, die Damen wiederzusehen.“

„Und doch erschraken Sie bei unserem Anblick?“

Michael sah auf, und ein finsterer, fast drohender Blick traf die junge Dame, die ihn so erbarmungslos in die Enge trieb, aber seine Stimme klang völlig beherrscht, als er antwortete:

„Ich war nur überrascht, da ich wußte, daß die Frau Gräfin nach beendigter Badekur direkt nach Berkheim zurückzukehren beabsichtigte.“

„Wir haben unseren Plan geändert, auf besonderen Wunsch meines Onkels Steinrück, und überdies empfahl der Arzt noch einen mehrwöchentlichen Aufenthalt in der stärkenden Bergluft. Werden wir Sie wirklich nicht im Schlosse sehen? Es würde meine Mutter freuen und – mich auch.“

Ihre Stimme klang gedämpft, aber schmeichelnd süß bei den letzten Worten, sie stand dicht vor ihm, halb im Schatten und doch schöner noch als vorhin, wo das Licht auf sie niederfloß, umweht von dem Blumenduft, der ringsum aus den Kelchen emporstieg. Leise rauschte die schimmernde Seide ihres Gewandes und die Spitzenwolke streifte fast den Arm des jungen Officiers, der noch bleicher war als vorhin. Einige Sekunden lang schien er nach Athem zu ringen, dann verneigte er sich tief und förmlich und sagte: „Es wird mir eine große Ehre sein.“

Trotz des Versprechens mußte etwas in seinem Tone liegen, was der jungen Gräfin verrieth, er werde nicht kommen, denn in ihre Augen trat wieder jener seltsam schillernde Glanz, der ihnen für einen Augenblick all ihre Schönheit nahm, aber sie neigte wie zustimmend das Haupt und wandte sich, um zu ihrer Mutter zurückzukehren. Dabei entglitt – ganz zufällig – die Rose ihren Fingern und blieb auf dem Boden liegen, ohne daß sie es zu bemerken schien.

Michael verharrte an seinem Platze, aber ein heißer, verlangender Blick fiel auf die Blume, die eben noch in jener Hand geruht hatte. Die zarte, halb erschlossene Knospe lag zu seinen Füßen, rosig und duftig, und dicht vor ihm schimmerten die Blüthen der Dionäa, die ihrem Gefangenen den Tod geben – im berauschenden Duft!

Die Hand des jungen Officiers zuckte unwillkürlich nach der Erde, und ein rascher Blick glitt zu der plaudernden Gruppe hinüber, ob man dort seine Bewegung bemerkte. Da sah er zwei Augen auf sich gerichtet, erwartungsvoll, triumphirend, er mußte sich ja beugen! Aber in demselben Augenblick richtete er sich hoch und fest empor und setzte vorwärts schreitend den Fuß auf die Rose; die zarte Blume starb unter seinem Tritt.

Gräfin Hertha gebrauchte ihren Fächer so heftig, als sei es auf einmal erstickend heiß geworden, Oberst Reval aber, der soeben das Gespräch beendigt hatte, sagte jetzt:

„Nun wollen wir aber endlich der Frau Gräfin Ruhe gönnen, damit sie sich völlig erholt. Kommen Sie, lieber Rodenberg.“

Sie verabschiedeten sich von den Damen und kehrten in die Gesellschaftszimmer zurück – aus dem kühlen, dufterfüllten Raum mit seinem traulichen Dämmerlicht in die heiße Lichtfluth des Saales, in das Wogen und Treiben der Gesellschaft. Und doch athmete Michael auf, als trete er aus einer schwülen, erstickenden Luft in das Freie.

Hans Wehlau, der in der That mit vollen Segeln auf dem Strome der Geselligkeit schwamm, erblickte kaum seinen Freund, als er sich auch schon seiner bemächtigte und ihn bei Seite zog.

„Hast Du die Gräfinnen Steinrück gesehen, unsere Bekanntschaft aus dem Bade? Sie sind hier.“

„Ich weiß es,“ versetzte Michael einsilbig. „Ich sprach sie soeben.“

„Wirklich? Wo hast Du denn gesteckt? Du langweilst Dich wohl wieder, wie gewöhnlich, wenn Du in Gesellschaft bist? Ich amüsire mich vortrefflich und bin bereits mit aller Welt bekannt geworden.“

„Auch wie gewöhnlich! Du mußt heut Deinen Vater mit vertreten; man will wenigstens den Sohn des berühmten Forschers kennen lernen, da er selbst –“

„Fängst Du auch damit an!“ unterbrach ihn Hans ärgerlich. „Mindestens zwanzig Mal bin ich heut in dieser Weise vorgestellt und ausgefragt worden, als Merkwürdigkeit Numero zwei, da die Merkwürdigkeit Numero eins fehlt. Man hat mir die Berühmtheit meines Vaters so oft zu kosten gegeben, daß ich schon ganz in Verzweiflung darüber gerathen bin.“

„Hans – wenn Dein Vater das hörte!“ sagte Michael vorwurfsvoll.

„Ja, ich kann mir nicht helfen! Jeder andere Mensch ist doch wenigstens eine Persönlichkeit, ein Ding an sich, irgend etwas Subjektives, ich bin der Sohn unseres berühmten – und so weiter! Und weiter bin ich gar nichts. Als solcher werde ich vorgestellt, behandelt, ausgezeichnet meinetwegen, aber es ist fürchterlich, immer und ewig als Relativ umherzulaufen.“

Der junge Officier lächelte flüchtig.

„Nun, Du bist ja auf dem Wege, das zu ändern; hoffentlich heißt es künftig: der berühmte Künstler Hans Wehlau, dessen Vater ja auch in der Wissenschaft – und so weiter.“

„In dem Falle werde ich allerdings meinem Papa seine Berühmtheit verzeihen. – Du hast also die Steinrück’schen Damen schon gesprochen? Das war eine Ueberraschnng, sie plötzlich hier auftauchen zu sehen, während wir sie längst in Berkheim glaubten! Die Gräfin Mutter hat mich, oder vielmehr uns Beide, mit der größten Liebenswürdigkeit nach dem Schlosse eingeladen, und ich habe natürlich angenommen. Wir werden doch gemeinschaftlich in Steinrück einen Besuch machen?“

„Nein, ich gehe nicht dorthin,“ sagte Michael kurz.

„Aber weßhalb denn nicht, in des Himmels Namen?“

„Weil ich keine Veranlassung und auch keine Lust habe, mich dem Steinrück’schen Kreise zu nähern; der Ton, der dort herrscht, ist bekannt genug. Als Bürgerlicher muß man fortwährend unter Waffen sein, wenn man sich in jener Gesellschaft behaupten will.“

„Nun, die Kriegsbereitschaft ist ja Dein Fach, da kannst Du sie gründlich studiren,“ spottete Hans. „Ich finde es übrigens sehr unbequem, fortwährend in Waffen zu starren, wie Du und mein Papa, der im Verkehr mit der Aristokratie auch immer und ewig seine Principien im Auge hat. Ich amüsire mich ohne all und jedes Princip, und den Damen gegenüber strecke ich nun vollends die Waffen. Sei vernünftig, Michael, und komm’ mit.“

„Nein!“

„Nun, so laß es bleiben! Wenn Du Dir etwas in Deinen Starrkopf gesetzt hast, ist nichts mit Dir anzufangen, das weiß ich längst; ich werde sicher nicht die Gelegenheit versäumen, dieser goldhaarigen Märchenfee, dieser Gräfin Hertha wieder zu nahen. Du hast es wohl gar nicht einmal bemerkt, wie hinreißend, wie bezaubernd sie heute ist, in dieser Wolke von Seide und Spitzen, das verkörperte Schönheitsideal!“

„Ich glaube allerdings, daß die Gräfin schön ist, aber –“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_503.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2022)