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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

ehe ich Sie an ihn verrathe – ich meine: irgend wie gegen Sie für ihn Partei nehme. Einmal und nie wieder!’

„Ich wüßte auch nicht, welchen Vortheil Sie sich dabei versprechen könnten,“ erwiderte ich trocken. „Sein Dank dürfte so gering sein, als der meine.“

„Der Ihre!“ rief er; „ich muß es glauben. Aber der seine! Ach, gnädiger Herr, Sie wissen, Sie ahnen ja nicht, wie lieb er Sie gehabt hat! Als Sie fortgelaufen waren – verzeihen Sie! – da hat er geschäumt wie ein angeschossener Eber und geweint wie ein Kind. Ja, bei Gott, geweint und geschluchzt vor diesen meinen Augen; ich hätt’ es nie für möglich gehalten. Und als ich zurückkam ohne Sie, da fehlte nicht viel, er hätte mir eine Kngel vor den Kopf geschossen. Und ,aus meinen Augen, Sie Lump, Sie' – nun, Sie kennen ihn ja. Ich hab’ ihm den Lump und die anderen Ehrentitel nicht vergessen. Und als vor einem Jahre Frau von Trümmnau es gemacht hatte wie Sie und dann in London sein sollte, und er sich nun doch des Mannes erinnerte, den er mit Schimpf und Schande fort und ins Elend gejagt, da habe ich ihm geantwortet: ,Ein Lump, Hoheit, eignet sich nicht zu einer so delikaten Mission. Da müssen Hoheit schon selber gehn' – Ja, und wenn die gnädige Frau hier in Berlin wäre und ich wüßte Straße und Nummer – ich bin nicht viel mehr als ein Bettler; aber eine Million könnte er mir bieten, auf die Folter könnte er mich legen, er kriegte keine Silbe aus mir heraus, der – verzeihen Sie: er hat mich zu schlecht behandelt!“

Der Mann saß da, an den Lippen nagend, mit nervösen Fingern auf die Tischplatte trommelnd, während die Augen auf mich stierten, als gelte der Haß, den sie sprühten, mir und nicht dem Anderen. Und wäre dieser Haß denn unberechtigt gewesen?

Mochte er auch aus völlig selbstischen Gründen jene ganze Intrigue damals eingefädelt und fortgeführt haben – er hatte immer seine ganze Existenz dafür aufs Spiel gesetzt und – das Spiel verloren.

Andere, hätte er für sie dasselbe gethan, wie für mich, würden es ihm hoch gedankt und reich gelohnt haben. Ich durfte den Undank nicht so weit treiben, ihm, nachdem er indirekt durch mich ruiuirt war, jede Theilnahme zu versagen. Und dann: es war mir zum ersten Male unwiderleglich zu Gemüthe geführt, was ich bis dahin hartnäckig von mir gewiesen: daß ich dem Herzog, als ich mich von ihm losriß, einen schweren Seelenschmerz bereitet; ich, der ich Niemand geflissentlich weh thun konnte, dessen größte Lust es war, Schmerzen zu lindern! Und dann, wie ich nun so da saß, den Kopf aufgestemmt, vor mir die Reste des kärglichen Abendbrotes auf dem unsauberen Tische, wollte die Erinnerung wiederkommen jener halkyonischen Tage, in denen ich von goldenen Tafeln gespeist hatte, auf Wolken dahingetragen wurde, wie die seligen Götter – „Mußte es denn sein?“

Ich zuckte zusammen und starrte dem Manne, der das aus meiner Seele herausgesprochen hatte, erschrocken in das bärtige Gesicht. Er fuhr, mich mit den hellen Augen fixirend, bedächtig fort:

„Und wenn es sein mußte – ich meine, wenn Sie in jenem Momente nicht anders handeln konnten – muß es denn so bleiben? Ich spreche, glauben Sie es mir, nicht für ihn, den ich hasse und dem ich jede Kränkung gönne; nur für Sie, an den ich mein Herz gehängt habe von der ersten Stunde, als ich Sie in Nonnendorf sah und auch gleich beschloß, daß Sie fortan mein Herr sein sollten, dem ich zu allen Ehren und allem Reichthum und aller Lust der Welt verhelfen wollte und um ein Haar verholfen hätte, ja, schon verholfen hatte, und den ich nun da vor mir sehe – ja, ich weiß nicht, was Sie jetzt sind; das aber weiß ich, so wah rich lebe: es kostet Sie nur ein einziges Wort, und Sie sind wieder, was Sie damals waren: Ein Herzogssohn und mein gütiger, gnädiger Herr.“

Er hatte meine Hände, die ich auf den Tisch hatte sinken lassen, ergriffen und wollte sie an seine Lippen ziehen. Ich stieß den Versucher mit einer Heftigkeit zurück, der ich mich im nächsten Augenblick schämte. Wenn ich meiner selbst sicher war, was brauchte ich heftig zu werden?

„Sie fragen, was ich jetzt bin,“ erwiderte ich; „Sie sollen es morgen erfahren, wenn Sie mich besuchen wollen, worum ich Sie bitte. Jetzt aber sagen Sie mir erst, wovon, wie Sie leben, damit ich eher weiß und bis morgen überlege, wie ich Ihnen helfen kann.“

Der Mann blickte grollend vor sich nieder.

„Wie ich lebe?“ sagte er dumpf, „nun, wie ein Hund. Wovon ich lebe? nun, wovon die Hunde leben, die man auf die Straße gejagt hat, bevor sie der Schinder abfängt. Ich habe es auf alle Weise versucht, mich ehrlich durch die Welt zu bringen; es will mir nichts gelingen. Sie wissen ja: was Rechtes habe ich nicht gelernt und verstehe ich nicht. Als Kammerdiener nimmt mich keiner ohne Empfehlungen, die ich nicht habe; man läßt mich auch in dem Anzug schon gar nicht mehr vor. Hab’s auch mit Komödienspiel versucht – aber sobald ich auf den Brettern stehe, stolpere ich über meine eigenen Beine und die Leute pfeifen mich aus. So lebe ich denn von der Hand in den Mund, heute von Abschreiben, morgen von Teppichklopfen – was weiß ich! Und das Schlimmste ist, daß ich in all dem Elend dick und stark bleibe, als fräße ich mich aus der fettesten Herrenküche täglich dreimal dudelsatt. So mache ich sogar als Bettler Fiasko!“

„Sie sollen nicht betteln gehen,“ sagte ich, „so lange ich ein Stück Brot mit Ihnen zu theilen habe. Aber freilich, Sie müssen auch arbeiten wollen als ein ehrlicher Mann. Von dem Allen morgen. Für heute Abend –“

Und ich gab ihm das wenige Geld, das ich bei mir hatte.

Er wollte es anfangs nicht nehmen, that es dann aber doch. Ich nannte ihm meine Wohnung und schärfte ihm noch einmal ein, daß er mich morgen zu einer bestimmten Stunde aufsuchen solle.

Wir waren die Letzten im Lokal gewesen; der brummige Wirth, der bereits alle Gasflammen gelöscht hatte, außer der, unter welcher wir gesessen, geleitete uns hinaus. Wir standen auf der dunkeln menschenleeren Gasse. Ich reichte Weißfisch die Hand; er wandte sich der Stadt zu; ich schlug den Weg nach meiner Wohnung ein, körperlich tief ermüdet, in dem aufgeregten Geist all die sonderbaren Ereignisse wälzend, die mir dieser Tag gebracht hatte, der erste, an welchem ich das stille arbeitsfrohe Heim, das ich mir gegründet, verlassen, um sofort von dem Strudel des Lebens erfaßt zu werden. Aber ich tröstete mich der Hoffnung, daß mich der Strudel nicht fortreißen, das Leben nicht mehr von mir haben solle, als ich ihm gewähren könne, ohne mich selbst preiszugeben. Und entwarf schon meinen Plan, wie ich mich zu dem Zweck zu verhalten habe, uneingedenk des mahnenden Dichterwortes:

„Was sind Hoffnungen, was sind Entwürfe,
Die der Mensch, der flüchtige Sohn der Stunde,
Aufbaut auf dem betrüglichen Grunde?“

Dem betrüglichen Grunde fürwahr! Aber das ist ja der Fluch und zugleich der Stolz der Ehrlichkeit, daß sie dem Betrug gegenüber immer wieder dumm ist, und den Betrüger nicht erkennt trotz der Plumpheit der Maske, hinter der er sein Gräuelantlitz birgt.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Razzia auf Flußpiraten.

Scene aus dem New-Yorker Leben bei Nacht. Von Hermann Haardt.

Es mögen wohl zwölf Jahre her sein, als ich auf meiner Rückreise von Kalifornien nach Europa nach New-York gelangte, wo ich einen alten Freund hatte, den ich besuchen wollte. Durch Mr. Stevens veranlaßt, bewarb ich mich um die Stelle eines Reporters bei der großen Zeitung „New-York Herald“, dessen Begründer, der alte James Gordon Bennett, damals noch lebte. Auf meine Bitte wnrde mir die Stelle eines Reporters für den Hafen übertragen, und somit gab ich meine Idee, nach Europa zurückzukehren, vorläufig auf.

Als Hafenreporter hatte ich auch das Kommando der „Emma“, einer Dampfjacht des „Herald“, welche oft zwei- bis dreihundert Seemeilen hinaus auf den Ocean fuhr, mir um die letzten europäischen Nachrichten um wenige Stunden früher zur Stadt bringen zu können, als es den Oceandampfern möglich war.

Der Hafenreporter hatte in dem großartigen Organismus des Weltblattes eigentlich das dankbarste Amt, wurde auch am besten von allen Reportern honorirt, denn während bei den übrigen Reportern das Honorar

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_495.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2022)