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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


„Vorgefallen? Nichts ist vorgefallen! Nur eine ganz kleine Aenderung im Studium, wie mein Herr Sohn sich auszudrücken beliebt. Aber wehe dem Jungen, wenn er mir wieder vor die Angen kommt, er soll mich kennen lernen!“

Damit ging Wehlau stürmisch in das Nebenzimmer und schlug die Thür hinter sich zu, während seine Schwägerin sich jetzt wirklich erschreckt an Michael wandte.

„Aber in des Himmels Namen, was ist denn eigentlich geschehen?“

„Eine Katastrophe! Hans hat dem Vater ein Geständniß gemacht, mit dem er nicht länger zurückhalten konnte. Er hat nicht studirt, sondern die Universitätszeit dazu benutzt, sich zum Künstler auszubilden. Aber verzeih, Tante, ich muß ihm nach, es ist wirklich nicht gut, wenn er dem Vater jetzt vor die Augen kommt.“

Damit verließ auch Michael eiligst das Zimmer, die Frau Bürgermeisterin stand einige Minuten lang starr, wie eine Salzsäule, dann aber verklärte sich ihr Gesicht förmlich und mit dem Ausdruck der tiefsten Genugthuung sagte sie:

„Da hat er dem unfehlbaren Herrn Professor eine Nase gedreht und was für eine! Der Goldbub’ der!“

(Fortsetzung folgt.)




Die bayerische Königstragödie.

II.

Das grausige Pfingstfest – so mag vielleicht einmal die bayerische Geschichte jene Junitage des Jahres 1886 bezeichnen, in welchen das Leben eines Königs ein Ende fand, wie es jammervoller und erschütternder kaum gedacht werden kann. War es doch, als ob der Weltgeist für einen Augenblick einen Abgrund aufgerissen hätte, schwarz und unermeßlich tief, um aus demselben ein riesenhaftes finsteres Gespenst emporsteigen zu lassen, das mit seinen schattenhaften Armen nach einem Herrscher griff, der umnachteten Geistes auf der Höhe seines Thrones stand. Und mit diesen schattenhaften Armen ihn umklammernd, zog es ihn hinunter in jenen Abgrund, schweigend und erbarmungslos. Aber nicht ihn allein, sondern mit ihm zugleich den treuen und edlen Wächter, den Priester hilfreicher Wissenschaft, der sein Hüter und Schirmer sein wollte. Darin liegt das furchtbar Ergreifende, daß hier nicht allein der hoffnungslose Wahnsinn, sondern mit ihm zugleich der klare Menschenverstand in die Nacht des Todes versinken mußte!

Blättern wir nur ein halbes Menschenalter zurück im Buch der Geschichte! Auf dem bayerischen Throne saß König Maximilian, ein edler und gütiger Fürst, ein Pfleger der Wissenschaften und Künste, der immer nur das Beste seines Volkes wollte. Zwei Söhne, Ludwig und Otto, hatte ihm Königin Maria geschenkt, die Prinzessin aus dem Hause Hohenzollern. Es waren blühende Knaben, die Hoffnung und der Stolz des Landes: Ludwig, der künftige König, eine ernste und träumerische Erscheinung; der jüngere Otto blond und von lebhaftem Ausdrucke. Kronprinz Ludwig ward streng und gewissenhaft erzogen, und obgleich er als Knabe schon von starkem Eigenwillen beseelt war, mußte er sich dieser Zucht fügen. Doch seine glühende Einbildungskraft fand Nahrung und Anregung genug in der prachtvollen Natur, in welcher er seine Jugendsommer zubringen durfte: in den Bergschlössern zu Berchtesgaden und Hohenschwangau. Da sah man ihn oft, wie einen Märchenprinzen, in grünem Sammetröckchen auf einem feuerigen arabischen Hengst durch die Wälder jagen, so rasch, daß ihm seine Diener kaum zu folgen vermochten.

Allgemeine Menschenscheu war schon früh ein Grundzug seines Wesens, obschon er von berückender Liebenswürdigkeit gegen jene Leute sein konnte, die seiner Laune gerade gefielen. Es ist heute sonnenklar, daß jenes Traumkönigthum, welches später des vierzigjährigen Mannes Verderben ward, in dem Knaben schon keimte und mit ihm großwuchs: Als Jüngling von 19 Jahren sollte er eine Universität beziehen, um dort Staatswissenschaften zu studiren. Der Aufenthalt in der Fremde, der Umgang mit Altersgenossen, die Lehren staatsmännischer Pflichten und Rechte hätten gewiß einen günstigen Einflnß auf sein künftiges Leben genommen; aber ein böses Geschick wollte ihm diesen Schatz an Lebenserfahrung nicht vergönnen. Denn in den Märztagen des Jahres 1864 starb König Maximilian nach kurzer Krankheit, und Ludwig bestieg den Thron von Bayern. Als er, während kein Auge ohne Thränen blieb, hinter dem Sarge seines vielbeklagten Vaters dahinschritt, eine hochgewachsene Jünglingsgestalt von apollinischer Grazie, wahrhaft königlich in Blick und Haltung: damals jauchzten ihm alle Herzen zu. Nicht seinem Lande allein, ganz Europa erschien der jugendschöne Bayernkönig als eine Idealgestalt ohne Gleichen. Alles drängte sich bewundernd in seinen Weg; in die aufrichtige Freude an seiner hoffnungweckenden Erscheinung mischte sich zudringliche Spekulation unedler Schmeichelei.

König Ludwig begann seine Regierung in einer Weise, die alle jene Hoffnungen, welche man von ihm gehegt hatte, voll zu berechtigen schien. Als er den Königseid auf die Verfassung geschworen hatte, sprach er zur Staatsrathsversammlung die schönen Worte: „Groß ist und schwer die mir gewordene Aufgabe. Ich baue auf Gott, daß er mir Licht und Kraft schicke, sie zu erfüllen. Treu dem Eide, den ich soeben geleistet, und im Geiste unserer durch fast ein halbes Jahrhundert bewährten Verfassung will ich regieren. Meines geliebten Bayernvolkes Wohlfahrt und Deutschlands Größe seien die Zielpunkte meines Strebens!“

Er ließ sich sofort jeden Tag durch die Minister persönlich Vortrag über die Regierungsgeschäfte halten und gab damit den Anfang zu einer völlig verfassungsmäßigen Regierung. Aber seine Freude an den Staatsgeschäften währte nicht lange. Nach wenigen Monaten schon zeigte sich an ihm jener Hang zur Einsamkeit, der dann im Laufe der Jahre immer mächtiger und verhängnißvoller ward. Und wohl mögen deßhalb die Irrenärzte im Rechte sein, wenn sie behaupten, daß schon vor zwanzig Jahren die ersten leisen Andeutungen seelischer Störung sich geregt hätten. Jene schreckliche Gewalt, deren Schattenarme den König in sein letztes Verhängniß hinunterzogen: kaum vernehmlich pochte sie schon an die Thüren der Münchener Residenz, noch ehe Ludwig den Thron seiner Väter bestiegen hatte.

Und als der jugendliche König noch in demselben Jahre den großen Meister Richard Wagner nach München berief und seine volle Herrschergunst ihm zuwandte; als dann die Münchener Hofbühne, auf die unmittelbarste Anregung des Königs hin, zu einer der glänzendsten Pflanzstätten hoher Kunstziele ward: da hätte ein vorahnendes Gemüth wieder und wieder jene unheimlich pochende Gespensterhand vernehmen können. Es hätte sie hören können mitten zwischen den rauschenden Klängen der Musik, im Lichtermeer des Hoftheaters wie in den einsamen Gemächern des ruhelos gewordenen Fürsten.

Es ist bekannt, daß der Aufenthalt Richard Wagner’s in München nicht lange währte. Die großen Pläne, mit welchen sich der König zu Gunsten Wagner’s trug, gingen nicht in Erfüllung. Ein neues Theater, hoch auf dem östlichen Isarufer, zu welchem eine neue Prachtstraße hinanführen sollte, war damals die Lieblingsidee des Königs. Semper, der geniale Architekt, sollte diese Bauten ausführen. Aber einem großen Theile der öffentlichen Meinung in München verursachte die lebhafte Neigung des Königs für Richard Wagner Besorgniß, wohl auch Neid. Es mißfiel, daß der König seine Gunst so ausschließlich dem einen Manne und seinen Zielen zuwandte, daß er ihm so fürstliche Mittel spendete; schließlich verbreitete sich sogar die Beschuldigung, daß Wagner sich in Staatsangelegenheiten mische. Der König gab dem Drucke der öffentlichen Meinung nach und entließ den Tonkünstler aus München, ohne ihm jedoch sein Wohlwollen zu entziehen. Nach Briefen, die aus jener Zeit vom König geschrieben wurden, war es ihm unsäglich schmerzlich, den Mann entlassen zu müssen, den er so hoch verehrte und der seinerseits eines so begeisterten Fürsten so dringend bedurfte, um seine künstlerischen Pläne zu verwirklichen.

Seit dem Abgang Wagner’s von München ward Ludwig’s Menschenscheu immer deutlicher bemerkbar. Zunächst zwar blieb noch Schloß Berg am Starnberger See sein Lieblingsaufenthalt. Es ward ihm nicht schwer, von hier aus tiefer in die Einsamkeit zu flüchten. Er war ein vorzüglicher und leidenschaftlicher Reiter,

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