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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


„Mein Gott, ich spreche ja nicht von den Leistungen des Herrn Professors, sondern von meinen eigenen, und die waren leider gar nicht bedeutend. Ich fühlte das selbst und deßhalb – habe ich mir eine kleine Aenderung im Studium erlaubt.“

„Gegen meine ausdrückliche Weisung? Ich hatte Dir Deinen Studiengang doch genau vorgeschrieben. Zu wem hast Du Dich denn eigentlich gehalten?“

Hans zögerte mit der Antwort und warf einen Blick nach der Fensternische, wo seine „Reserve“ stand, dann entgegnete er etwas gepreßt:

„Zu – dem Professor Walter.“

„Walter? Wer ist das? Ich kenne den Namen gar nicht.“

„Doch, Papa, Du hast sicher schon von Friedrich Walter gehört. Er hat ja einen weltberühmten Namen als Künstler.“

„Als was?“ fragte der Professor, der nicht recht gehört zu haben glaubte.

„Als Künstler, und das war auch der Grund, weßhalb ich nach B. wollte. Meister Walter lebt dort und würdigte mich des Vorzuges, in sein Atelier aufgenommen zu werden. Ich habe nämlich nicht die Naturwissenschaften studirt – ich bin Maler geworden!“

Jetzt war es heraus! Wehlau fuhr in die Höhe und starrte fast sprachlos seinen Sohn an.

„Junge, bist Du toll geworden?“ rief er, aber Hans, der sehr gut wußte, daß sein einziger Erfolg darin bestand, den Vater überhaupt nicht zu Worte kommen zu lassen, sprach schleunigst weiter.

„Ich bin sehr fleißig gewesen in den zwei Jahren, außerordentlich fleißig. Mein Lehrer wird es Dir bestätigen, er meint, daß ich jetzt auf eigenen Füßen stehen könne, und er sagte mir noch beim Abschiede: ‚Es wird Ihrem Herrn Papa sicher Freude machen, wenn er Ihre Leistungen sieht, berufen Sie sich nur auf mich.‘“

Er brachte das Alles mit unendlicher Geläufigkeit hervor, und die Rede floß wie Honigseim von seinen Lippen, aber das half ihm jetzt nichts mehr, der Professor hatte endlich begriffen, daß es mit der „kleinen Aenderung des Studiums“ Ernst sei, und nun brach er los.

„Und das wagst Du mir zu bieten! Du hast Dich unterstanden, heimlich, hinter meinem Rücken eine derartige Komödie zu spielen, meinem Verbote zu trotzen, meinen Willen zu verhöhnen, und bildest Dir jetzt ein, ich würde mich dieser sogenannten Thatsache beugen und Ja und Amen dazu sagen – da bist Du denn doch sehr im Irrthum.“

Hans ließ den Kopf hängen und nahm eine äußerst zerknirschte Miene an.

„Sei nicht so hart, Papa! Die Kunst ist nun einmal mein Ideal, die Poesie meines Lebens, und wenn Du wüßtest, was für Gewissensbisse ich mir schon gemacht habe wegen meines Ungehorsams!“

„Du siehst mir gerade nach Gewissensbissen aus!“ rief der Professor, der immer wüthender wurde. „Ideale – Poesie – da haben wir schon wieder die verwünschte Geschichte! Die Schlagworte, die allen Unsinn decken müssen, den die Menschen begehen. Aber bilde Dir nur nicht ein, daß Du diesen Unsinn wirklich bei mir durchsetzen kannst. Was Du auch da für Allotria getrieben haben magst, jetzt kommst Du nach Hause zurück, und jetzt nehme ich Dich in die Schule. Du wirst zunächst Dein Doktorexamen machen, hörst Du? Ich befehle es Dir!“

„Ich habe aber gar nichts gelernt,“ erklärte Hans mit einem förmlichen Triumphe. „Ich habe in den Vorlesungen nur die Herren Professoren und das Auditorium skizzirt oder karikirt, wie es gerade kam, und was Du mir von Gelehrsamkeit eintrichtertest, das habe ich längst wieder vergessen, damit bringe ich nicht drei Seiten der Dissertationsschrift zu Stande, und Du kannst mich doch nicht noch einmal auf die Universität schicken.“

„Du rühmst Dich ja förmlich Deiner Unwissenheit,“ sagte Wehlau schneidend, „und den unerhörten Betrug, den Du mir gespielt hast, rechnest Du Dir wohl auch als eine Heldenthat an?“

„Nein, aber als eine Nothwehr, zu der ich erst griff, als jedes andere Mittel versagte. Wie habe ich damals gebeten und gefleht, um Dich zur Nachgiebigkeit zu bewegen, es war Alles umsonst! Ich sollte mein Talent, meine ganze Zukunft einem Berufe opfern, für den ich nicht tauge und in dem ich nie etwas leisten würde. Du versagtest mir die Mittel zur künstlerischen Ausbildung und dachtest mich damit zu zwingen. Als ich Dir sagte: Ich will Maler werden, setztest Du mir ein unerbittliches Nein entgegen, jetzt sage ich Dir: ich bin Maler geworden! und dazu wirst Du Ja sagen müssen.“

„Das wird sich zeigen!“ brauste Wehlau von Neuem auf. „Ich will doch sehen, ob ich meinen eigenen Sohn nicht meistern kann. In meinem Hause bin ich Herr, da dulde ich keine Rebellion, und wer sich gegen meinen Willen auflehnt, der hat dies Haus fortan zu meiden.“

Der junge Mann erbleichte denn doch bei dieser Drohung, er trat dicht vor den Vater hin, und seine Stimme klang bittend, aber zugleich tief ernst.

„Papa, laß es nicht so weit kommen zwischen uns. Ich bin nun einmal anders geartet als Du, ich habe von jeher ein Grauen gehabt vor Deiner hohen, kalten Wissenschaft, die das Leben so klar macht und so – öde! Du begreifst nicht, daß es noch eine andere Welt, daß es noch eine Jugend giebt, der diese Welt so nothwendig ist, wie die Luft zum Athmen. Du zwingst der Natur unerbittlich ihre Geheimnisse ab, Alles, was darin lebt und webt, muß sich Deinen Regeln und Systemen fügen, von jedem Geschöpf kennst Du das Werden und Vergehen. Aber Deinen eigenen Buben, den kennst Du nicht, und den zwingst Du auch nicht in eines Deiner Systeme. Der hat sich das Bischen Ideal und Poesie noch glücklich gerettet und geht damit seinen eigenen Weg – und er wird Dir auch auf diesem Wege keine Schande machen!“

Damit wandte er sich um und schritt nach der Thür, der Professor aber war keineswegs gewillt, die Unterredung so zu beendigen, er rief ihm zornig nach: „Hans, Du bleibst! Du kommst auf der Stelle zurück!“

Hans fand es jedoch für gut, den Befehl zu überhören, er sah, daß sein „Hilfskorps“ jetzt heran rückte, und überließ es diesem, ihm den Rückzug zu decken, was denn auch geschah.

„Laß ihn gehen, Onkel,“ sagte Michael, der schon während der letzten Minuten hervorgetreten war und jetzt den erzürnten Mann zu beschwichtigen suchte. „Du bist jetzt zu gereizt, werde erst ruhiger.“

Die Mahnung blieb fruchtlos. Wehlau dachte gar nicht daran, sich zu beruhigen, und da der ungehorsame Sohn ihm nicht mehr erreichbar war, so wandte er sich gegen dessen Fürsprecher.

„Und Du bist auch mit im Komplott gewesen! Du hast um die ganze saubere Geschichte gewußt, leugne es nur nicht. Hans verschweigt Dir ja nichts. Ihr hängt ja zusammen wie die Kletteu. Warum hast Du geschwiegen?“

„Weil ich mein Wort gegeben hatte und das nicht brechen durfte, wenn ich auch mit der Heimlichkeit nicht einverstanden war.“

„So hättest Du auf eigene Hand eingreifen und Hans zur Vernunft bringen müssen.“

„Auch das konnte ich nicht, denn er ist in seinem Rechte.“

„Was? Fängst Du auch noch an?“ schrie der Professor, indem er ihm drohend auf den Leib rückte, aber Michael hielt Stand und wiederholte fest:

„Ja, Onkel, in seinem vollen Rechte! Ich hätte mir auch keinen Beruf aufzwingen lassen, den ich nicht mag und für den ich nicht tauge. Ich hätte allerdings offener und eben deßhalb schwerer gekämpft als Hans, der dem Kampfe einfach aus dem Wege ging. Von dem Tage an, wo Du ihn zu dem Studium zwangst, und er sich scheinbar fügte, hat er auch angefangen, seine Vorstudien in der Malerei zu machen, aber er sah schließlich die Unmöglichkeit ein, seine künstlerische Ausbildung unter Deinen Augen zu vollenden, deßhalb ging er nach B. Er muß dort wohl Tüchtiges geleistet haben, denn wenn ein Mann wie Professor Walter ihm das Zeugniß künstlerischer Reife giebt, so hat er sie, daran darfst Du nicht zweifeln.“

„Schweig!“ grollte der Professor, „ich will nichts hören. Ich sage nein und nochmals nein, und – kommst Du mir auch noch mit Deinem Triumphe? Du bist wohl auch mit im Komplott gewesen?“

Die letzten Worte waren an die Frau Bürgermeisterin gerichtet, die ganz harmlos zurückkehrte, um das vergessene Schlüsselkörbchen zu holen, und sehr verwundert war ob dieses grimmigen Empfanges.

„Was hast Du denn?“ fragte sie. „Was ist vorgefallen?“

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