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müssen, die der verdammte Bube angerichtet hat. Der Herr war heut sehr ungnädig, kaum daß er ein paar Worte mit mir sprach, aber einen Brief hat er mir gegeben, den soll ich Ihnen überbringen, Hochwürden.“

Er zog ein Schreiben hervor und reichte es dem Priester, der es in Empfang nahm.

„Es ist gut, Wolfram. Geht jetzt, und wenn sich Michael auf der Försterei blicken läßt, schickt ihn sofort zu mir. Aber ich verbiete Euch noch einmal jede Mißhandlung, erst will ich ihn hören.“

Der Förster ging, grollend darüber, daß er das Strafgericht an dem „Unheilsbuben“ noch aufschieben sollte, aber aufgehoben sollte es deßhalb nicht sein, das gelobte er sich. Als Valentin allein war, erbrach er den Brief, der nur wenige Zeilen von der Hand des Grafen enthielt.

„Hochwürden! Der vermißte Gegenstand hat sich gefunden, und der ausgesprochene Verdacht erweist sich somit als ungerecht. Was das Benehmen Ihres Schützlings dabei betrifft, der, anstatt sich zu vertheidigen und die Sache aufzuklären, sich wie ein Rasender geberdete und sogar zu einem Angriff auf mich fortreißen ließ, so werden Sie durch Wolfram wohl darüber unterrichtet sein und es begreifen, wenn ich nunmehr jedes Eingehen auf Ihre Wünsche ablehne. Dieser rohe, beschränkte Bursche, mit seiner zügellosen Wildheit, gehört einzig in die Sphäre, die ihm von Anfang an zugewiesen wurde, und in der er allein möglich ist. Wolfram ist gerade der rechte Mann, ihn zu bändigen, er bleibt in seiner Obhut. Bei einer solchen Natur wäre jede Erziehung verschwendet, und ich bin überzeugt, daß Sie mir nach dem Vorgefallenen darin beipflichten werden.

Michael, Graf Steinrück.“ 


Der Lesende ließ das Blatt sinken und blickte bekümmert vor sich hin.

„Kein einziges Wort des Bedauerns über den schmählichen Verdacht, der einen Unschuldigen getroffen hat, nur Verurtheilung und Verachtung. Und es ist doch Blut von seinem Blute!“

„Hochwürden!“ klang es mit halb unterdrückter Stimme von der Thür her. Valentin fuhr auf, und ein Athemzug der Erleichterung entrang sich seiner Brust.

„Michael! bist Du endlich da? Gott sei Dank!“

„Ich glaubte – Sie würden mich auch fortweisen,“ sagte Michael leise.

„Erst will ich Dich hören. Was stehst Du so fremd an der Thür? Komm herein!“

Der junge Mann kam langsam näher, er trug noch die Sonntagskleidung, die er an jenem verhängnißvollen Tage getragen, aber man säh es ihr an, daß sie inzwischen Sturm und Wetter ausgehalten hatte.

„Ich habe mich geängstigt um Dich,“ sagte Valentin vorwurfsvoll. „Seit zweimal vierundzwanzig Stunden keine Spur, keine Nachricht von Dir! Wo bist Du gewesen?“

„In den Wäldern.“

„Und wo hast Du die Nächte zugebracht?“

„In der leeren Sennhütte droben.“

„In Sturm und Kälte? Warum bist Du nicht nach Haus zurückgekehrt?“

„Der Vater hätte mich geschlagen, ich weiß es, aber ich lasse mich jetzt nicht mehr schlagen. Ich wollte es ihm und mir sparen, Was dann geschehen wär!“

Die Antworten klangen tonlos, aber es war nicht mehr die alte Gleichgültigkeit, es lag in dem ganzen Wesen Michael’s etwas Fremdes, etwas Starres, Finsteres, das nichts gemein hatte mit seiner früheren Art. Der Priester blickte ihn unruhig an.

„So hättest Du zu mir kommen sollen, ich wartete darauf.“

„Ich komme ja auch, Hochwürden, und was sie Ihnen von mir gesagt haben, es ist nicht wahr. Ich bin kein Dieb –“

„Das weiß ich! Ich habe nie auch nur einen Augenblick daran geglaubt, und jetzt ist der Verdacht überhaupt von Dir genommen. Das Vermißte hat sich gefunden, die kleine Gräfin Hertha hatte es als Spielzeug mitgenommen.“

Michael strich sich das durchnäßte Haar aus der Stirn, und ein eigenthümlich herber Ausdruck legte sich auf seine Züge.

„Ah, das Kind mit den rothgoldenen Locken und den schönen, schlimmen Augen, also dem danke ich das Unheil?“

„Die Kleine trägt keine Schuld, sie hat nach Art verwöhnter Kinder nach einem vermeintlichen Spielwerk gegriffen, das im Zimmer ihres Onkels lag, und es dann ihrer Mutter gebracht. Die Schuld ist Dein, hättest Du Dich ruhig und vernünftig vertheidigt, so wäre die Sache sofort aufgeklärt worden, statt dessen – Michael, ist es denn möglich, Du hast die Hand gegen den Grafen Steinrück erhoben?“

„Er nannte mich Dieb!“ stieß Michael mit zusammengebissenen Zähnen hervor. „Wenn Sie wüßten, was er mir angethan hat! Gestehen sollte ich, das Gestohlene, die Diebesbeute sollte ich herausgeben! Er fragte gar nicht, ob ich schuldig war, er hätte mich am liebsten mit dem Fuße fortgestoßen!“

Es lag eine wilde qualvolle Bitterkeit in den Worten, und Valentin schien sie zu begreifen, er sah es ja, daß sein Zögling bis zum Wahnsinn gereizt worden war.

„Man hat Dir Unrecht gethan,“ sagte er, „schweres Unrecht, aber Du durftest Dich nicht in dieser maßlosen Weise dagegen aufbäumen, und die Folgen Deines Jähzornes werden schwer genug auf Dich zurückfallen. Der Graf ist begreiflicherweise empört über den Vorfall. Du darfst hinfort nicht mehr auf seinen Schutz rechnen, er will nichts weiter von Dir hören.“

„Nicht? Aber er soll von mir hören! Wenigstens einmal noch.“

„Was willst Du damit sagen? Du willst doch nicht –?“

„Zu ihm! Ja, Hochwürden! Jetzt weiß er, welchen ungerechten Schimpf er mir angethan hat, jetzt soll er es zurücknehmen.“

Du willst den Grafen Steinrück zur Rede stellen?“ rief der Priester in äußerster Bestürzung. „Welch ein unsinniger Gedanke! Den wirst Du aufgeben.“

„Nein!“ sagte Michael kalt und hart.

„Michael!“

„Nein, Hochwürden, das thu’ ich nicht, auch wenn Sie es mir verbieten. Ich werde ihn fragen, warum er mich Dieb genannt hat.“

All’ seine Gedanken drehten sich nur um den einen Punkt, um den Schimpf, den man ihm angethan, und der wie ein glühendes Eisen in seiner Seele fortbrannte. Valentin stand rathlos da, er fühlte, daß er hier jede Macht verloren hatte, und die wilde Rachsucht, die aus jenem Vorhaben sprach, erfüllte ihn mit namenloser Angst. Wenn Michael es wirklich wagte, den Grafen zur Rede zu stellen, und dieser den Versuch machte, den „rohen zügellosen Burschen“ zu züchtigen – das konnte unabsehbares Unglück geben und das mußte verhindert werden um jeden Preis.

„Ich habe nie geglaubt, daß meine Stimme so machtlos bei Dir verhallen würde,“ sagte er schmerzlich. „Nun denn, so mag etwas Anderes zu Dir sprechen! Ob Dir der Graf Unrecht gethan hat oder nicht, es war ein Verbrechen, daß Du die Hand gegen ihn hobst; Du darfst ihm nie, hörst Du, niemals feindselig nahen – er steht Dir näher, als Du ahnst.“

„Mir? Der Graf Steinrück?“

„Ja. Ich wollte Dir das, was für Dich bis jetzt noch ein Geheimniß geblieben ist, erst später enthüllen, aber Dein unsinniges Vorhaben zwingt mich, jetzt schon zu sprechen. Du wärst im Stande, Dich zum zweiten Mal zu vergreifen – an Deinem Großvater!“

Michael zuckte zusammen, starr, mit weitgeöffneten Augen, blickte er den Sprechenden an.

„Mein Großvater! Er ist –?“

„Der Vater Deiner Mutter! Aber Du darfst keine Hoffnungen an jenes Band knüpfen, Deine Mutter ist enterbt, verstoßen worden, ihre Heirath riß sie auf immer los von ihrer Familie, und sie ist daran zu Grunde gegangen!“

Er schwieg und blickte auf Michael, der keinen Laut von sich gab, aber man sah es, wie die Enthüllung ihn erschüttert hatte, es arbeitete furchtbar in seinen Zügen, und seine Brust hob und senkte sich stürmisch, endlich, nach einer langen Pause sagte er dumpf:

„Und weiter – wollen Sie mir nichts sagen?“

„Nein, mein Sohn, für jetzt weiter nichts. Es ist eine unselige Geschichte, die in Elend und Jammer endigt, ein unlösliches Gewebe von Schuld und Unglück, das Deinem Verständniß noch fern liegt. Später, wenn Du älter und reifer geworden bist, sollst Du Alles erfahren, jetzt laß Dir an der Thatsache genügen, ich verbürge sie Dir. Du begreifst es nun hoffentlich, daß Dir die Person des Grafen Steinrück heilig sein muß.“

„Heilig? Vielleicht weil er mich als einen Dieb von seiner Schwelle jagte?“ brach Michael plötzlich wild aus. „Er wußte

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