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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Aber auch über das dunkle Holzgetäfel zuckten goldene Lichter und auf dem Fußboden einten sie sich mit dem Scheine des Kaminfeuers, das schon in Gluth zusammensank.

„Was thust Du hier?“ fragte auf einmal eine Kinderstimme.

Michael wandte sich um, auf der Schwelle des anstoßenden Schlafzimmers, dessen Thür offen geblieben war, stand ein etwa achtjähriges Kind, ein kleines Mädchen, und blickte verwundert auf den Fremden, der jetzt lakonisch antwortete:

„Ich warte.“

Die Kleine, das hinterlassene Töchterchen des Grafen Steinrück, kam näher und besah sich neugierig den Fremden, mußte aber wohl bald zu der Ueberzeugung kommen, daß dieser junge Mensch in der halb bäurischen Kleidung nicht als Gast im Schlosse war, denn sie rümpfte das feine Näschen, da er aber auf jemand wartete, so ließ sich gegen sein Hiersein füglich nichts einwenden. Sie ließ ihn deßhalb stehen und lief an den Kamin, wo sie sich damit unterhielt, in die Gluth zu blasen und sich an den sprühenden Funken zu ergötzen.

Es war ein kleines, zierliches Geschöpf, schlank und zart wie eine Elfe und unleugbar ein schönes Kind, trotz des stark röthlichen Haares. Aber gerade dies Haar, das in langen Locken über Hals und Schultern auf den schwarzen Krepp des Trauerkleidchens fiel, gab der Kleinen einen eigenthümlichen Reiz. Aus dem rosigen Kindergesichte blickten ein Paar große Augen von unbestimmbarer Farbe, sie glänzten wie Sterne, aber es lag ein seltsam schillernder Glanz darin, harmlose lachende Kinderaugen waren es nicht.

Es dauerte nur kurze Zeit, dann wurde die Kleine des Spiels mit den Funken überdrüssig und sah sich nach einer andern Unterhaltung um, ihr Blick fiel wieder auf Michael, der diesmal einer näheren Beachtung gewürdigt wurde.

„Wo kommst Du her?“ fragte sie, sich dicht vor ihn hinstellend.

„Aus dem Walde,“ versetzte er ebenso einsilbig wie vorhin.

„Weit von hier?“

„Sehr weit.“

„Und gefällt es Dir in unserem Schlosse?“

„Nein!“

Hertha sah ihn hochst verwundert an mit ihren glänzenden Augen, sie hatte die Frage sehr herablassend gethan, und nun unterstand sich dieser fremde Mensch, kurz und trocken zu erklären, daß es ihm in dem Grafenschlosse nicht gefalle. Die Kleine überlegte augenscheinlich, ob sie das übelnehmen solle, da fiel ihr Blick auf den Hut, den Michael in der Hand hielt, und den ein Strauß großer, prachtvoller Schneerosen zierte.

„O, die schönen Blumen!“ rief sie erfreut. „Gieb sie mir!“ Sie streckte begehrlich die kleinen Arme empor und hatte den Hut ergriffen und den Strauß losgenestelt, ehe Michael auch nur antworten konnte. Er sah etwas betroffen aus, als so ohne Weiteres über sein Eigenthum verfügt wurde, machte aber keinen Versuch, es zu hindern.

Die Kleine hatte sich in den Lehnstuhl am Kamine gesetzt mit ihren Blumen, von denen sie ganz entzückt schien, und begann jetzt unbefangen und zutraulich zu plaudern. Sie erzählte von dem großen Schlosse, wo sie gewöhnlich mit ihren Eltern wohne und wo es viel schöner sei als hier, von ihrem Pony, auf dem sie spazieren reite und der leider dort geblieben sei, von der Mutter, kurz von allem Möglichen. Die Blödigkeit ihres Zuhörers schien ihr großen Spaß zu machen, sie versuchte immer wieder, ihn zum Reden zu bringen, und brachte es denn auch wirklich heraus, daß er der Sohn des Försters sei und in der Försterei hoch oben in den Bergen wohne, sie schien sich sehr dafür zu interessiren.

Es lag etwas Berückendes in dieser süßen, schmeichelnden Kinderstimme und in der kleinen Elfengestalt, die sich so zierlich und geschmeidig in die Polster schmiegte, und dazu leuchtete das Haar förmlich auf dem dunklen Grunde. Michael kam langsam näher und fing allmählich an, Rede und Antwort zu geben, dies Schmeicheln, Lachen und Plaudern umspann ihn mit einer Macht, die er nur dunkel empfand, der er sich aber nicht zu entziehen vermochte.

Hertha hatte während der ganzen Zeit unaufhörlich mit ihren Blumen gespielt, die sie bald zusammenfügte, bald wieder trennte, jetzt aber schien sie auch dieses Spiels müde zu werden und begann den eben noch so heiß begehrten Strauß zu zerpflücken. Die kleinen Hände zerstörten erbarmungslos die weißen Blüthen, um sie dann achtlos auf den Boden zu werfeu, und waren unendlich flink dabei.

Michael zog die Stirn kraus, und mahnend zwar, aber doch im Tone der Bitte sagte er:

„Nicht zerpflücken! Die Blumen waren schwer zu finden.“

„Ich mag sie aber jetzt nicht mehr!“ erklärte Hertha, indem sie, ohne auf das Verbot zu achten, in ihrem Zerstorungswerke fortfuhr, da aber ergriff Michael ohne Weiteres ihren Arm und hielt sie fest.

„Laß mich los!“ rief die Kleine zornig, indem sie sich zu befreien versuchte. „Ich mag Deine Blumen nicht mehr, und ich mag Dich auch nicht mehr! Geh’ fort!“

Es lag nicht bloß ein kindischer Trotz in diesen Worten. Das „Ich mag Dich auch nicht mehr!“ klang höhnend und verächtlich, und dabei schillerten die Augen wieder in jenem seltsamen Glanze, der sie so unkindlich machte. Michael gab plötzlich die kleine Hand frei, die er festgehalten, aber in demselben Momente entriß er ihr auch den Strauß.

Hertha glitt von dem Armsessel, um ihren Mund zuckte es wie ausbrechendes Weinen, aber die Augen sprühten dabei im hellsten Zorne.

„Meine Blumen! Gieb mir meine Blumen zurück!“ trotzte sie und stampfte dabei mit ihrem Füßchen auf den Boden. Da trat Wolfram aus dem Kabinette. Die Entlassung mußte wohl sehr gnädig gewesen sein, denn er sah äußerst zufrieden aus.

„Komm, Michel, wir wollen gehen,“ sagte er, seinem Pflegesohne zuwinkend.

Hertha kannte den Förster, der zur Jagdzeit einmal auf dem Schlosse gewesen war, als einen Untergebenen ihres Vaters und begriff auf der Stelle, daß er ihr helfen werde, ihren Willen durchzusetzen, sie wandte sich schleunigst zu ihm.

„Ich will die Blumen wieder haben!“ rief sie mit der ganzen Heftigkeit eines verwöhnten, verzogenen Kindes. „Sie sind mein, er soll sie mir zurückgeben!“

„Was für Blumen?“ fragte Wolfram. „Die Seerosen dort? Nun, so gieb sie doch her, Michel. Es ist ja die kleine Gräfin, das Kind unserer Herrschaft.“

Die Kleine schüttelte triumphirend ihre Locken und streckte wie vorhin die Arme empor, aber diesmal war Michael auf seiner Hut, er hielt den Strauß so hoch, daß sie ihn nicht erreichen konnte.

„Nun, wird es bald?“ fragte der Förster ungeduldig. „Begreifst Du wieder einmal nicht? Du sollst der kleinen Gräfin die Blumen geben, auf der Stelle!“

„Auf der Stelle!“ wiederholte Hertha, die vorhin so süße Kinderstimme klang schneidend und befehlend. Michael blickte einige Sekunden stumm nieder auf die kleine Tyrannin und schleuderte dann plötzlich den Strauß in den Kamin.

„So hole ihn Dir!“ sagte er herb, wandte ihr den Rücken und schritt aus dem Zimmer.

„Wahrhaftig, mit dem Menschen leg’ ich heute Ehre ein! Gnade Dir Gott, wenn wir erst wieder daheim sind!“ murmelte Wolfram mit unterdrückter Wuth, indem er ihm folgte.

Hertha blieb allein zurück, sie stand regungslos da und sah mit großen Augen den Beiden nach, in der nächsten Minute aber besann sie sich und lief schleunigst wieder an den Kamin. Die Gluth sprühte auf und verzehrte knisternd ihre Beute, die zarten weißen Blüthensterne färbteu sich glühend roth und leuchteten einen Moment lang wie Wunderblüthen, dann krümmten sie sich und sanken in Asche zusammen.

Die Kleine hatte die Hände in einander geschlungen und sah zu, auf ihrem Gesichte lag noch der Ausdruck des Trotzes, aber ihre Augen füllten sich allmählich mit Thränen, und als die letzte der Blumen den Flammentod gestorben war, brach sie plötzlich in lautes Schluchzen aus. –

Als Graf Steinrück nach einer Weile in das Arbeitszimmer zurückkehrte, fand er Niemand mehr dort. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß die Zeit der Abfahrt gekommen war, und er trat rasch an den Schreibtisch, um den Orden anzulegen, der seine Uniform vervollständigen sollte. Das Etui lag noch an demselben Platze wie vorhin, aber es war leer, wahrscheinlich hatte der Diener das fehlende Band entdeckt und war eben damit beschäftigt, es zu ersetzen, Steinrück zog die Klingel.

„Meinen Orden,“ sagte er flüchtig zu dem Eintretenden. „Ist der Wagen da?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_443.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2021)