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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

waren doch wenigstens der Abend und die Nacht untergebracht, denn der Mann hatte mir freies Quartier in dem Hause selbst zugesagt; und die Stelle an der Außenalster, die mir für mein Valet auf dieser Welt ganz besonders geeignet schien, war ich sicher, auch morgen wieder zu finden. Ich schlug also ein und spielte den Reinhold nicht schlechter und nicht besser, als ich ihn heute noch spielen würde. Das Vorstadtspublikum war in seiner Sonntagslaune, überhäufte den ,Gast‘ mit großmüthigem Beifall; mein Patron umarmte mich nach der Vorstellung, lud mich zum Abendessen im Kreise der Familie und – die deutsche Bühne hatte einen schlechten Schauspieler mehr.“

„Blieben Sie lange in Hamburg?“

„Kaum ein Vierteljahr. Mein Patron war ein roher Trunkenbold, der heute mit seinen ‚Künstlern‘ Bruderschaft trank und sie morgen ein gut Theil schlechter behandelte, als Mister Vox seine Automaten. Doch hatte ich mir während der kurzen Zeit einige Routine angeeignet, ein kleines Repertoire geschaffen, und fand leicht ein anderes Engagement. Seitdem bin ich noch auf sieben oder acht anderen Bühnen gewesen, ohne irgendwo festen Fuß fassen zu können.“

„Oder zu wollen,“ rief Lamarque. „Ich behaupte noch einmal, es liegt nur an Ihnen, wenn Sie, ich will nicht sagen, ein Ludwig Devrient oder Seydelmann, aber doch ein guter Schauspieler sind.“

„Ich habe die Hoffnung definitiv aufgegeben,“ erwiderte ich; „und, offen gestanden, der Gedanke, der mich früher allerdings begeisterte, hat jetzt allen Reiz für mich verloren. Auch bin ich entschlossen, daß dies mein letztes Engagement sein soll.“

„Ja, aber was wollen Sie dann anfangen?“

„Ich weiß es selbst noch nicht. Ich weiß bloß, ich möchte eine Thätigkeit, der ich wirklich gewachsen und von der ich überzeugt wäre, daß bei derselben, und sei sie noch so gering, wirklich etwas, und sei es noch so wenig, zum Vortheil und Nutzen der anderen Menschen herauskäme. Und eine, bei der man die leidigen Gedanken, die sich nur immer um unser eigen Ich drehen, los würde und Zeit und Geistesfreiheit behielte, an die Anderen und ihr Wohl und Wehe zu denken; – zum Beispiel die Thätigkeit eines Handwerkers.“

„Im ,Fest der Handwerker‘?“

„Nein, in der hausbackenen Wirklichkeit.“

„Als ob ich ein Wort von all dem Unsinn glaubte! – So – da wären wir. Ich will nur schnell die Fische zur Peller bringen. Sie kommen doch sicher?“

„Gewiß.“

„Also auf Wiedersehen in einer Stunde etwa!“

„Auf Wiedersehen!“




3.

Es war mir bei dieser Gelegenheit ergangen, wie das ja öfter im Leben vorkommt. daß man mit Jemand ein Gespräch beginnt, ohne eine andere Absicht als die einer ganz harmlosen Plauderei, und dabei zu einem folgenschweren, den weiteren Lebensgang bestimmenden Resultat gelangt, welches freilich wohl schon fertig in der Seele lag, aber doch jetzt erst gleichsam geboren und zum Entschluß erhoben wird. Von diesem Abend an war ich entschlossen, nicht nur dem Theater zu entsagen, das hatte schon so ziemlich festgestanden, – sondern alles Ernstes Handwerker zu werden.

Auf dem Wege ging es nicht weiter und wollte ich nicht weiter.

Mich aus meinen augenblicklichen Verhältnissen zu lösen, war herzlich leicht. Die Geschäfte der kleinen Truppe, zu der ich gehörte, gingen in diesem Jahre noch ganz besonders schlecht. Einen Direktor hatten wir eigentlich nur dem Namen nach, um dem Dinge vor den Augen des Publikums doch ein gewisses Ansehen zu geben. Im Uebrigen spielten wir bereits seit vier Wochen „auf Theilung“, und den Anderen war es ganz genehm, wenn durch mein Ausscheiden der Divisor in den schmalen Dividendus sich um eines verringerte. Man mußte dann freilich einige Stücke vom Repertoire streichen; aber das war kein Verlust, da dem wenig zahlreichen Publikum völlig gleichgültig war, was gespielt wurde, wenn nur gespielt wurde, und es so noch öfter als zuvor Gelegenheit hatte, Lamarque zu sehen, den es sich mit Recht zu seinem Liebling erkoren. Er hatte sich zum Winter ein Engagement an einem der besseren kleinen Berliner Theater zu verschaffen gewußt. Ich freute mich darüber seinethalben, der damit den Fuß auf die erste Sprosse der Leiter setzte, deren letzte zu erreichen er berufen und entschlossen war, und auch ein wenig um meinetwillen. Wir waren in der kurzen Zeit Freunde geworden, da ich ihn aufrichtig bewunderte und er keinerlei Veranlassung hatte, in mir einen Rivalen zu sehen. So nahm ich denn keinen Anstand, ihm mein Geheimniß mitzutheilen.

Auch ich wollte nach Berlin.

Ich war stets mit meinem Bruder Otto in Verbindung geblieben, wenn dieselbe auch nur darin bestanden hatte, daß ich ihm das wenige Geld schickte, welches ich erübrigen konnte, und er mir dafür, anstatt des Dankes, den ich nicht begehrte, mit Briefen antwortete, die unweigerlich nur die alten stereotypen Klagen über die bösen Menschen und die schlechten Zeiten enthielten und ebenso unweigerlich auf Blättern von verschiedenem Format geschrieben waren, zu denen aus Schulheften gerissene das Hauptkontingent stellten. Er trieb noch immer sein altes Metier eines Fenster- und Thürentischlers, manchmal mit, meistens ohne Hilfe eines Lehrlings; zu einem Gesellen hatte er sich meines Wissens noch nie aufgeschwungen. Ich hatte noch an dem Abend der Unterredung mit Lamarque bei ihm angefragt, ob er mich aufnehmen wolle. „Ich hoffe,“ schrieb ich ihm, „nicht lange Lehrling zu bleiben; übrigens kann ich auch ein kleines Lehrgeld zahlen als einen Zuschuß zur Wirthschaft, bis ich im Stande sein werde, mir meinen Unterhalt zu verdienen, und bald hoffentlich ein Uebriges, das ich dann brüderlich mit Dir theilen will.“

Die Antwort hatte auf sich warten lassen; es nahm mich bei dem allezeit Lässigen kein Wunder. Endlich war sie denn doch gekommen: er habe nicht früher schreiben können; ein fünftes Kind sei geboren worden; eine größere Bestellung gegen alles Erwarten eingelaufen – er wisse nicht, wo ihm der Kopf stehe – (als ob der Arme das jemals gewußt hätte!) –. Natürlich freue er sich außerordentlich, nach so langen Jahren wieder mit mir beisammen zu sein; aber bei ihm sei, wie ich wisse, Schmalhans Küchenmeister und – ich solle es mir doch ja noch einmal recht überlegen.

Ich schrieb ihm zurück: „Ich habe Alles überlegt; am nächsten Sonnabend treffe ich ein.“

Und nun, nachdem dieser entscheidende Brief abgesandt war, befiel mich jäh eine neue Sorge.

Ich hatte in allen diesen Jahren von den Menschen, die mir in meiner Jugend nahe gestanden, nichts gesehen und nichts gehort. Kein Wunder, da ich mich fast beständig fern von der eigentlichen Heimath (wenn anders ich von einer Heimath sprechen durfte), meistens in kleinen obskuren Orten der verlorensten Winkel des Vaterlandes umgetrieben! War auch nach Böhmen und Deutsch-Oesterreich, einmal sogar bis nach Pest verschlagen und so selten an meine Vergangenheit erinnert worden, daß sich mir dieselbe allmählich in ein Traumland verwandelte.

Denn nur zweimal während dieser ganzen Zeit hatte eine solche Erinnerung stattgefunden, das erste Mal vor etwa zwei Jahren, und peinlich genug war sie für mich gewesen.

Sie ging von einer Schauspielerin aus, welche kurze Zeit mit mir an demselben Theater wirkte. In jenen Reminiscenzen, denen sich alternde Bühnenkünstlerinnen so gern hingeben, war die Dame auch auf die Zeit zu sprechen gekommen, wahrend derer sie das Fach einer ersten tragischen Liebhaberin am herzoglichen Hoftheater bekleidete. Es war die Zeit ihrer Triumphe gewesen – eine glanzvolle Zeit nach ihrer Behauptung, in welcher es nur einen dunklen Punkt gegeben: daß sie sich in die Gunst des Publikums mit einer jungen Sängerin aus Amerika theilen mußte, einer Miß Howard. Freilich sehr ungerechter Weise. Denn die junge Dame habe eine zwar wohllautende, aber völlig ungeschulte Stimme gehabt, keine Ahnung vom Komödienspiel und den Leuten nur durch ihre allerdings große Schönheit und Anmuth die Köpfe verdreht. Nicht bloß den Leuten: nicht minder dem Chef – dem bekannten Kammerherrn von Trechow – und in erster Linie Serenissimus selbst. Das heißt, es sei immer zweifelhaft gewesen, wer von den beiden Herren in erster Linie gestanden; und auch die Katastrophe, in welcher die Unglückliche mit ihrem Kinde zu Grunde ging, habe diesen Zweifel nicht völlig gelöst. Denn hätte auch die Katastrophe in der unmittelbaren Nähe eines der Schlösser von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_436.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2021)