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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


„Ja, um aller Heiligen willen, wie kommen Sie denn zu meinem Schuh?“ rief sie und nahm das kleine Pantöffelchen vom Gesimse.

Ich stand wie versteinert.

„Gehört dieser Schuh Ihnen?“ fragte ich endlich kleinlaut.

„Jawohl,“ antwortete sie heiter, „und wenn Sie etwa daran zweifeln, so will ich Ihnen gleich beweisen, daß ich die rechte Braut bin, der der kleine Schuh paßt.“

Dabei streckte sie ihren niedlichen Fuß vor, nachdem sie das etwas gröbere Schuhwerk abgestreift hatte, und hielt das feine, von der Nässe eingeschrumpfte Pantöffelchen daneben.

Ich sah wohl, daß es ihr Maß hatte.

„Aber wie kommt es denn ins Meer?“ fragte ich noch immer in der äußersten Verwunderung.

„Damit hat es seine eigene Bewandtniß,“ antwortete sie lachend. „Sie kennen ja meinen Mann und seine geologischen Grillen. Nun sehen Sie, seit einiger Zeit hat ihn das wissenschaftliche Fieber wieder erfaßt, da klettert er den ganzen Tag in Geklüft und Dickicht herum, und mich schleppt er immer mit sich. Kommen wir dann an eine Pfütze oder einen Graben, so darf ich nicht etwa ausweichen, nein, ich muß mitten hindurch. So auch im Walde bricht er mit mir durch das dichteste Gesträuch, und wenn die schönste Fahrstraße nebenher läuft. Daß ich dabei alle Kleider zerreiße und hundertmal stolpere, ist ihm einerlei. Höchstens legt er los und schilt über wahnsinnige Moden. Weil ich nun diese Tyrannei nicht länger dulden wollte, lud er vor einigen Tagen ein paar befreundete Familien zu einem Ausfluge nach Portovenere ein. Ich glaubte wirklich, diesmal handle es sich um ein geselliges Vergnügen, und legte zum ersten Male diese zierlichen Schuhe an. Er selbst hatte sie mir von seiner letzten botanischen Reise in Spanien mitgebracht nebst einem andalusischen Schleier; das sei doch das einzige exotische Gewächs, wofür ich Sinn habe, sagte er. Zuweilen hat er doch auch menschliche Anwandlungen. Diese Schuhe also zog ich an, denn ich dachte, wir machen die Partie ja im Nachen, diesmal giebt es also nichts zu klettern. Aber ich hatte meine Rechnung ohne den Wirth gemacht. Gleich bei der Landung in Portovenere begann meine Noth. Da mußte der sogenannte Venustempel erstiegen werden, und von dort aus ging es trotz meiner Vorstellungen über Felsblöcke und Marmorquadern hinaus in das alte Festungsgemäuer. Wenn mein Mann dabei ist, so kann man sicher sein, alle Gemsenwege zu finden. Die ganze Gesellschaft schien von demselben Dämon besessen zu sein. Für mich war diese Anhöhe ein Leidensweg, ein Kalvarienberg. Sie wissen, ich bin nun einmal mit meinem ganzen Wesen nicht auf so schwindelhafte Unternehmungen eingerichtet. Kaum hatten mich die Herren mit vereinten Kräften auf irgend einen Felsblock hinaufgezogen, so blieb ich mit dem Absatze hängen und lief Gefahr, die ganze Höhe wieder hinunter zu stürzen.“

Während sie so sprach, zog sie an dem kleinen Schuh den lose gewordenen Absatz herunter und ließ ihn klappernd zurückschnellen.

„Sehen Sie, da sind noch die Risse im Leder von all den Felsenzacken, an denen ich hängen blieb. Ich könnte kein Ende finden, wenn ich Ihnen alle meine Drangsale schildern wollte.

Mein Mann, der anfangs sehr ungeduldig war und zornige Blicke auf mein Schuhwerk warf, sagte schließlich gar nichts mehr, aber er brütete über einem finstern Entschluß.

Endlich waren wir Alle lebendig wieder unten am Strand und ließen uns in der Venusgrotte nieder, um zu frühstücken.

Die Diener hatten unterdeß auf den Steinen Feuer angezündet und das Fleisch gebraten. Die übrigen Eßwaaren hatten wir in den Booten mitgebracht, der Wein war aus dem Ort beschafft worden, aber jetzt stellte es sich heraus, daß die Gläser fehlten.

‚Was Gläser,‘ rief mein Mann voll arger List. ‚Jeder galante Kavalier trinke aus dem Schuh seiner Dame!‘

Die andern Damen, die sich vorsichtiger als ich mit grobem Schuhwerk versehen hatten, machten jetzt verlegene Gesichter, und eilig wurde ein Fischerjunge beauftragt, Gläser aus dem Dorf zu holen.

Ich aber ließ mir arglos den Schuh vom Fuß streifen. Mein Mann goß ihn voll mit goldenem Cinque-Terre-Wein und leerte ihn auf einen Zug.

Dann schwenkte er ihn hoch wie einen Pokal und sagte feierlich. ‚Das war dein Letztes.‘

Ich ahnte jetzt, was folgen würde, und wollte ihm in den Arm fallen, aber er flüchtete sich mit seinem Raube blitzschnell auf die höchste Klippe.

‚Marterwerkzeug einer verirrten Kultur.‘ rief er, ‚Ausgeburt eines wahnwitzigen Schustergehirns! Jetzt ist deine Rolle aus, liege du bei den Ungeheuern der Salzfluth.‘

Damit schleuderte er den Schuh weit ins Meer hinaus. Ich sah ihn noch lange als schwarzen Punkt auf der Oberfläche treiben, die silberne Agraffe blitzte zuweilen auf wie ein Stern. Endlich schwand er mir aus den Augen, ich mußte unter den Neckereien der Gesellschaft barfuß nach Hause und hätte nicht gedacht, daß ich noch einmal im Leben meinen verlorenen Schuh wiedersehen sollte.“

In diesem Augenblick trat Giacomino herein.

„Der vermißte Schoner ist aufgefunden, Gott sei Dank!“ rief er mir zu. „Sie hatten mit Ihrer Phantasie mich selber angesteckt, daß ich die ganze Nacht von Schiffbruch träumte. Er ist allerdings in den Sturm gekommen und nach Korsika verschlagen worden. Dort hat er sich aber in Bastia vor Anker gelegt, um seine Schäden auszubessern. Gestern Mittag ist er in Spezia eingelaufen, alle Ladung ist gerettet. Der Kommandant ist gestern Abend im Boot nach Lerici gekommen. Aber er hat seiner Frau keine Schuhe mitgebracht, auch ist er kein schlanker, brauner Matros, sondern ein untersetzter, ziemlich beleibter Mann, auch schon bei Jahren. Ich habe ihn heute selbst im Hafen von Lerici gesehen.“

Wir lachten Beide herzlich. Signora Clelia nahm ihr wiedergefundenes Eigenthum an sich, das zwar durch die erlittene Havarie unbrauchbar geworden ist, ihr aber dazu dient, den Gemahl täglich an seine Unthat zu erinnern und ihn künftig vor ähnlichen Ausschreitungen zu bewahren. Ich höre auch, daß der Professor bereits ein neues Paar Schuhe genau nach dem Modell des ersten aus Madrid verschrieben haben soll.

Giacomino aber, der auch boshaft sein kann, meinte, ich hätte diesen Schuh eigentlich zum Andenken in meinem Zimmer aufstellen sollen, gleichsam als ein Warnungszeichen vor den Tiefen der Einbildungskraft.




Die Elektricität im Dienst der Heilkunde.
I.

Scheinet es nicht, geneigter Leser, als wenn wir jetzo in einem elektrischen Seculo lebten? Man höret in unseren Tage von keiner Materie so viel sprechen, als von der Elektricität. Die öffentlichen Zeitungen haben bishero beinahe mehr von dem elektrischen als kriegerischen Feuer Meldung gethan. Schon damalen, vor ohngefähr zehen Jahren, als die Elektricität in Deutschland wiederum mehrers getrieben und bekannt wurde, waren derselben Versuche als neue Wunder, ja, wenn ich es frey sagen darf, zuweilen als Hexereyen von vielen Zuschauern gehalten und aligesehen.“ Also beginnt Herr Johann Gottlieb Schäffer, der Weltweisheit und Arzneigelahrtheit Doktor und praktischer Arzt zu Regensburg, die Vorrede eines im Jahre 1752 herausgegebenen Werkes „Die elektrische Medicin oder die Kraft und Wirkung der Elektricität in dem menschlichen Körper und dessen Krankheiten“ in welchem er die mannigfachsten mittels elektrischer Apparate erzielte Heilungen, insbesondere gelähmter Personen, schildert. Sollte man nicht glauben, diese einleitenden Worte zu einem für die damalige Zeit höchst beachtenswerthen und mit wissenschaftlicher Strenge durchgeführten Werkchen wären in unserem Jahrzehnte geschrieben? In der That war das allgemeine Interesse, welches die großen Entdeckungen Benjamin Franklin’s auf dem Gebiete der Elektricitätslehre im vorigen Jahrhundert hervorriefen, ganz analog der heutige Bewegung! Es waren nicht nur Männer der Wissenschaft, welche im vorigen Jahrhundert diesem neuen Zweige der Naturlehre ihre Aufmerksamkeit zuwendeten, sondern in den höchsten Kreisen, an den großen und kleinen fürstlichen Höfen damaliger Zeit galt es als „standesmäßig“, sich mit elektrischen Studien und elektrischen Experimenten zu befassen.

Eine der damals üblichen Methoden der Elektricitäts-Erzeugung ist aus unserer Abbildung (S. 425) ersichtlich. Mittels des von einem Abbé gedrehten großen Schwungrades einer Guericke’schen Elektrisirmaschine wird eine Schwefelkugel in rasche Umdrehung versetzt, welcher der linksstehende Kavalier dadurch, daß er durch Andrücken seiner gut getrockneten Hände die Kugel reibt, Elektricität entlockt. Diese eigenthümlich erzeugte Reibungs-Elektricität findet ihren Weg durch den Körper eines Mannes,

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