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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

wollte grade darauf los, aber ich ergriff ihn noch rechtzeitig am Arme und hielt ihn fest.“

„Ich wollte mir den Spuk doch einmal in der Nähe anschalten,“ sagte Michael ruhig, der Förster zuckte ärgerlich die Schultern.

„Sehen Sie, Hochwürden, so ist der Bub' nun! Vor den Menschen läuft er, und solche Dinge, bei denen jedem Christenmenschen die Haut schaudert, wo Jeder sich scheu bei Seite drückt und sein Kreuz schlägt, die will er sich anschauen, da geht er mitten hinein! Ich glaube, er hätte sich in aller Ruhe mit den Gespenstern herumgeschlagen , wenn ich ihn nicht gepackt hatte. Dann läge er jetzt im Walde, denn wer in die wilde Jagd hineingerät, der ist hin.“

„Aber Wolfram, kommt ihr denn nie los von diesem sündlichen Aberglauben?“ mahnte der Priester. „ihr wollt ein Christ sein und steckt noch mit beiden Füßen im Heidenthume. Und den Michael habt ihr auch schon damit angesteckt, er hat den ganzen Kopf voll von den heidnischen Sagen.“

„Ja, eine Sünd' mag's sein, aber wahr ist's doch,“ beharrte Wolfram. „ich glaube es schon, daß sie nichts davon spüren. sie sind ein heiliger Mann, ein geweihter Priester, vor ihnen hat es Furcht, all das unheimliche Gesindels das Nachts in den Wäldern und Bergen sein Wesen treibt, aber unsereins sieht und hört oft mehr davon, als ihm lieb ist. Also der Michel bleibt hier?“

Gewiß, ich sende ihn am Nachmittage zurück."

„Nun, dann Gott befohlen,“ sagte der Förster, indem er den Riemen seiner Flinte fester zog. Er grüßte den Pfarrer und ging, ohne von seinem Pflegesohne weiter Notiz zu nehmen.

Michael, der im Pfarrhause vollständig heimisch zu sein schien, holte jetzt aus einem Wandschränkchen verschiedene Bücher und Hefte hervor, die er auf den Schreibtisch legte. Der gewohnte Unterricht sollte offenbar beginnen, aber noch ehe es dazu kam, hörte man draußen das Geläut eines Schlittens. Valentin sah befremdet auf, die wenigen und seltenen Besuche, die er erhielt, bestanden ausschließlich aus den Pfarrern der einzelnen Alpendörfer, und Wallfahrer waren um diese Zeit kaum zu erwarten. Sankt Michael gehörte nicht zu jenen großen und berühmten Gnadenorten, wohin die Gläubigen das ganze Jahr hindurch in Scharen pilgern. Zu dem kleinen, stillen Wallfahrtsorte, hoch oben im Gebirge, brachten nur die armen Aelpler ihre Gebete und Gelübde, und nur an hohen Kirchentagen sah er eine größere Zahl von Andächtigen dort versammelt.

Der Schlitten war inzwischen näher gekommen und hielt vor dem Pfarrhause. Ein Herr im Pelze stieg aus, erkundigte sich bei der alten Magd, die ihm an der Thür entgegen kam, ob der Herr Pfarrer daheim sei, und trat dann ohne Weiteres in das Studirzimmer.

„Ich wünschte seine Hochwürden zu sprechen," sagte er, noch aus der Schwelle.

Valentin zuckte zusammen bei dem Klange der Stimme, dann fuhr er mit dem Ausdrucke der freudigsten Ueberraschung empor:

„Hans! Du bist es!“

„Also erkennst Du mich doch noch! Ein Wunder wäre es freilich nicht. wenn wir das beiderseitig verlernt hätten,“ entgegnete der Fremde ihm die Hand hinstreckend, die der Pfarrer mit voller Herzlichkeit ergriff.

„Sei willkommen! Hast Du wirklich den Weg zu mir gefunden?“

„Ja, ein Freundschaftsstück war es allerdings, bis zu Dir heraufzukommen,“ meinte der Gast. Stundenlang haben wir uns durch den Schnee arbeiten müssen, bald lagen die gestürzten Tannen quer über den Weg, bald ging es mitten durch einen verschneiten Wildbach, und zur Abwechselung stäubte eine kleine Lawine von den Felsen nieder und dabei behauptet mein Kutscher hartnäckig, das sei eine Fahrstraße. Dann möchte ich Eure Fußwege sehen, die werden wohl nur für Gemsen gangbar sein.“

Valentin lächelte. „Du bist der Alte geblieben, immer spottend und kritisirend. - Laß uns allein, Michael, und sage dem Kutscher des Herrn, er möge ausspannen."

Michael gehorchte und entfernte sich, der Fremde hatte sich umgewandt und streifte ihn mit einem flüchtigen Blicke.

„Hast Du Dir einen Famulus angenommen? Wer ist denn dies Traumgesicht?"

„Mein Schüler, den ich unterrichte.“

„Nun, das mag eine Arbeit sein! In den Kopf da ist wohl nichts hineinzubringen, das ganze Talent des Burschen scheint in den Fäusten zu stecken, so steht er wenigstens aus.“

Der Gast hatte inzwischen seinen Pelz abgelegt. Er mochte fünf bis sechs Jahre jünger sein, als der Pfarrer, die Gestalt war kaum mittelgroß, aber der entschieden bedeutende Kopf mit der hohen Stirn und den geistvollen Zügen fesselte auf den ersten Blick. Die hellen, scharfen Augen schienen gewohnt zu sein, Alles und Jedes bis auf den Grund zu durchdringen, und in der Haltung wie in dem ganzen Wesen gab sich die Ueberlegenheit eines Mannes kund, der in seinem Kreise für eine Autorität gilt, Augenblicklich musterte er die Umgebung, das Wohn- und Studirzimmer des Pfarrers, das allerdings von einer wahrhaft klösterlichen Einfachheit war, seine Augen schweiften langsam um. her in dem engen Raume, dann sagte er, diesmal ohne jeden Spott, aber mit einem Anfluge von Bitterkeit:

„Also hier hast Du Anker geworfen. So öde und weltverloren habe ich mir Deine Einsamkeit denn doch nicht gedacht. Armer Valentin! Du mußt es büßen, daß ich mit meinen Forschungen so unerbittlich Euren Dogmen zu Leibe gehe, und daß meine Werke auf dem Index stehen.“

Der Pfarrer machte eine sanft abwehrende Bewegung. „Was fällt Dir ein. Es findet ja oft ein Wechsel in den Pfarrämtern statt, und ich bin nach Sankt Michael gekommen -"

„Weil Du Hans Wehlau zum Bruder hast!" ergänzte dieser.

„Wenn Du Dich öffentlich von mir losgesagt und auf der Kanzel einige Male gegen den Atheismus gedonnert hättest, wärst Du in eine behaglichere Pfarre gekommen , darauf gebe ich Dir mein Wort. Man weiß es recht gut, daß wir nicht mit einander gebrochen haben, wenn wir uns auch seit Jahren nicht mehr sahen, und das mußt Du büßen. Warum hast Du mich nicht öffentlich verdammt, ich hätte es Dir wahrhaftig nicht übelgenommen, da Du ja doch meine Lehre unbedingt verwirfst."

„Ich verdamme Niemand,“ sagte der Pfarrer leise. „Auch Dich nicht, Hans, wenn es mir auch wehe genug thut, Dich auf diesem Wege zu sehen.“

„Ja, Du hattest nie Talent zum Fanatiker, höchstens zum Märtyrer, aber daß ich auch helfen muß, Dich dazu zu machen, quält mich oft. ich habe übrigens dafür gesorgt, daß mein heutiger Besuch unbemerkt bleibt, ich bin gänzlich inkognito hier. Versagen konnte ich es mir nicht, Dich noch einmal zu sehen da ich jetzt nach Norddeutschland übersiedle "

„Wie! Du willst die Universität verlassen?“

„Schon im nächsten Monat. Ich habe einen Ruf nach der Hauptstadt selbst erhalten und habe ihn sofort angenommen denn ich fühle, daß dort erst der eigentliche Boden für mich und mein Wirken ist. Da wollte ich Dir doch vorher noch Lebewohl sagen und hätte Dich beinahe verfehlt, denn wie ich höre, warst Du gestern in Steinrück zur Bestattung des Grafen.“

„Auf ausdrücklichen Wunsch der Gräfin. Ich habe die Trauerceremonie vollzogen."

„Ich dachte es mir! ich bin gleichfalls telegraphisch nach Berkheim an das Sterbebett gerufen worden.“

„Und Du bist dem Rufe gefolgt?“

„Gewiß, wenn ich auch die ärztliche Praxis langst aufgegeben und mich dem Lehrstuhl zugewendet habe - das war ein Ausnahmefall. Ich habe es nicht vergessen, daß ich als junger, unbedeutender Arzt von den Steinrücks angenommen wurde, allerdings auf Deine Empfehlung, aber sie kamen mir doch mit vollem Vertrauen entgegen. ich konnte freilich nichts weiter thun, als dem Grafen die Todesstunde erleichtern, aber meine Anwesenheit war doch eine Beruhigung für die Familie.“

Der Wiedereintritt Michael's unterbrach das Gespräch. Er brachte die Nachricht, daß der Meßner den Herrn Pfarrer nur auf einige Minuten zu sprechen wünsche und draußen warte.

„ich komme sogleich zurück,“ sagte Valentin. „Lege Deine Schreibereien fort, Michael, der Unterricht fällt für heute aus.“

Er verließ das Zimmer, wahrend Michael sich daran machte, die Bücher und Hefte zusammenzupacken Der Professor sah ihm dabei zu und fragte flüchtig:

„Also der Herr Pfarrer unterrichtet Dich?“

Michael nickte nur und fuhr in seiner Beschäftigung fort. „Das steht ihm ähnlich!“ murmelte Wehlau. „Da quält

er sich damit ab, diesem beschränkten Burschen Lesen und Schreiben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_426.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2017)