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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

zwei Treppen hoch zum Fenster hinaus – hoffe, daß ich sie noch alle einmal an dem Strick baumeln sehe! Gehetzt von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, wie sie ihre Sauen hetzen, die Herren im rothen Frack – hinter den Hecken geschlafen, auf einem Heuboden, wenn’s hoch kam, bis hierher, wo sie mir auch schon wieder auf den Hacken sind, daß ich wohl nächstens das Quartier werde wechseln müssen, obgleich Peter soweit ein ehrlicher Kerl ist und so leicht keinen von der Partei verräth. Siehst Du, Brüderchen, das nennt man in der Patsche sitzen. Weiß nicht, in welcher Du sitzest; schlimm wird’s just nicht sein, wie ich Dich kenne. Aber, schlimm oder nicht, Du bist besser dran als ich. Denn Du hast Geld und hast ein Billet nach Amerika.“

„Da hast Du es!“ sagte ich.

Ich hatte das Papier aus meiner Brieftasche genommen und drückte es ihm in die Hand – „Und da hast Du Geld – hier und hier und hier! Du siehst, ich behalte nur den einen Schein für mich, und würd’ Dir auch den geben, wenn willst Du ihn haben?“

„Gar nichts will ich,“ sagte August, „bist Du betrunken?“

Er war es bis zu diesem Augenblicke gewesen; ich hatte es wohl aus seinem Schwanken und an der schweren Zunge gehört, mit der er mir die konfuse Geschichte seiner Mission nach Berlin und seiner Flucht nach Hamburg erzählte. Jetzt war der Rausch mit einem Male verflogen. Er stand fest auf den Füßen und blickte mich, wie ich im fahlen Licht des Mondes wohl bemerken konnte, mit prüfenden Augen an.

„Ich bin nicht betrunken,“ sagte ich; „aber Du brauchst es notwendiger, als ich. Nimm, und mach', daß Du an Bord kommst. Es ist die höchste Zeit.“

„Und Du? kannst Du denn noch einen Platz bezahlen?“

„Nein, ich bleibe hier. Es war das nur so ein Einfall. Ich habe drüben nichts zu suchen. Du mußt fort. Und ich geb’s Dir von Herzen gern. Nimm, nimm!“

Ich drückte ihm nun noch die Scheine in die Hand; er zögerte, sie einzustecken.

„Das habe ich nicht um Dich verdient,“ murmelte er.

„Du hast Dich ja schon meiner annehmen wollen, – nach des Vaters Tode – erinnerst Du Dich nicht? und mir eine Zuflucht bei Dir angeboten. Wollte ich hätt’s angenommen und nicht zu erleben brauchen, was ich jetzt erlebt habe. Komm. kommt oder es ist zu spät!“

„Wenn Du wenigstens von der Partei wärest,“ sagte er durch die Zähne.

„Und bin ich’s nicht?“ erwiderte ich in athemloser Hast, „von der Partei der Armen und Elenden, so gut wie Du? Die uns zu Brüdern machen würde, wenn wir es nicht schon wären? Bei dem Andenken an unseren Vater beschwöre ich Dich, thu' mir den Willen! Ich habe keine ruhige Stunde im Leben wieder, wenn Du es nicht thust!“

Ich weiß nicht, wie es gekommen war, aber wir hatten uns auf einen Haufen Bretter gesetzt, der in der Gasse in einem wüsten Winkel lag, ein paar Schritte vor dem Ausgang der Gasse auf den Hafenquai. Der Mond schien hell in den Winkel, und in dem Licht des Mondes betrachtete August das Papier, das er noch in den Händen hielt.

„Ist denn das ein richtiges Passagierbillet?“ fragte er.

Es war in der That nur ein Blatt Papier, auf welchem in des Kapitäus Karl Haltermann steifer Hand geschrieben stand, daß er den Inhaber dieses für so und so viel nach Rio in seinem Barkschiffe „Cebe“ mitnehmen wolle – Verköstigung inklusive – und daß Inhaber die Summe bezahlt habe.

Ich erklärte das Alles, und wie gut es sich treffe, daß es ein Segelschiff sei und der Kapitäu keine Legitimation verlange, die ich meinerseits auch nicht habe. Und weiter, wie Fritz Brinkmann, den August ja so gut und besser noch kannte, wie ich, mich habe an Bord schaffen wollen, und wie ich von dem Fritz auf so unglückliche Weise fortgekommen sei. Zu dieser Auseinandersetzung hatte ich nur wenige Minuten gebraucht, indem ich mich auf das durchaus Nothwendige beschränkte. Ich konnte die Zeit von der Uhr lesen: es war in fünf Minuten ein Uhr,

„Nur noch eine Stunde,“ rief ich aufspringend Er erhob sich langsamer.

„Es wird nichts helfen,“ sagte er; „wir kommen – oder ich komme nicht an Bord ohne Fritz. Sie halten scharf Wache am Hafen. Und wenn nicht wenigstens Einer dabei ist, der selbst unverdächtig, den Anderen legitimiren kann, geht es nicht.“

„Versuchen müssen wir’s,“ sagte ich; „auf alle Fälle.“

„Nun denn: auf alle Fälle,“ sagte er.

Er hatte schon vorher den Rock über dem Billete, das er mit dem Gelde in eine schmutzige Brieftasche gesteckt, zugeknöpft. Bei den letzten Worten hatte er in eine Seitentasche gegriffen und Etwas hervorgezogen, das er mir hinhielt. Es war ein langes Dolchmesser.

„Hast Du auch so was?“ sagte er mit finsterem Lächeln, das Messer halb aus der Scheide ziehend.

„Nein,“ sagte ich, „wozu?“

„Eben auf alle Fälle!“ erwiderte er, das Messer wieder in die Tasche gleiten lassend.

Ich weiß nicht, was ich zu einer andern Zeit, in anderer Stimmung dabei empfunden haben würde. Jetzt sah ich nichts als einen wilden Eber, den die Hunde verbellt haben und der seine Hauer wetzt. Und wahrlich, das Bild mußte mir wohl kommen, als im Scheine des Mondes das Messer in der Hand dieses finsteren, breitschulterig-stämmigen Mannes blinkte, dem ein stachliger schwarzer Bart bis beinahe in die funkelnden Augen starrte. Ich hatte immer einen tiefen Respekt vor seiner Alles wagenden Kühnheit und seiner schier übernatürlichen phhsischen Kraft gehabt, und die knabenhafte Bewunderung solcher Eigenschaften war dem Jüngling noch unverloren. Er wird’s schon durchwettern, sprach ich bei mir, besser, als Du’s irgend gekonnt hättest. Und so gebührt ihm die Fahrt ins Land der Freiheit und nicht Dir.

Wir waren eben aus unserem Winkel herausgetreten, als ein eiliger Schritt das Gäßchen herabkam.

„Es ist nur Einer,“ sagte August ruhig, mit der Hand in die Tasche fassend, wo das Messer stak. Ich reckte meine waffenlosen Arme – gutwillig gab ich mich nicht, das stand bei mir fest.

Da war der Eilige schon bei mir.

„Hollah! Lothar, bist Du’s?“

„Fritz!“

„Dammi! das war zur rechten Zeit. Ich lauf’ schon seit einer Stunde Gass’ auf, Gass’ ab. Wo zum Teufel hast Du denn gesteckt? Wer ist das?“

„Ein alter Freund, Fritz: der August!“

„Dammi! welcher Satan führt denn Dich hierher?“

„Er geht statt meiner mit Dir, Fritz.“

„Dammi! Warum?“

„Das kann Dir gleich sein und Deinem Kapitän auch. Mach nur, daß wir fortkommen!“

Fritz hatte als Junge stets Alles gethan, was ich gewollt, und an jenem Herbsttage, als wir auf dem wackligen Boot jene unsinnige Probefahrt machten, sein Leben für ein Gelüst von mir in die Schanze geschlagen. Es bedurfte auch diesmal nur weniger Worte, den Gutmüthigen unter meine Autorität zu beugen. Wenn ich darauf bestehe, nun, er hätte mich dammi gern mitgehabt, aber der August sei ihm auch recht, und der Kapitän wolle nur sein Geld. Das habe er, und einen tüchtigen Schlosser an Bord, das sei auch nicht bitter auf einer Fahrt von sechzehn Wochen – bi Gott! Das Boot liege schon seit einer Stunde da gerade vor uns. Aber ich solle nun zurückbleiben. Einen könne er schon herausreden, im Fall wir angehalten würden: zwei – dammi! das gehe über den Flaggenstock.

„Gut denn! so geht ihr Beide. Leb’ wohl, August! leb’ wohl, Fritz!“

Ich hatte August umarmt und Fritz die große harte Hand gedrückt; zu langem Abschied war nicht die Zeit. Ich begleitete sie ein paar Schritte, bis zum Ausgang des Gäßchens; da blieb ich im Schatten der Häuser stehen. Sie huschten über den mondbeschienenen Quai schräg weg nach der Stelle, wo unten an der Treppe, deren oberes Geländer ich noch eben sehen konnte, das Boot lag, und verschwanden hinter der Brüstung. Würden sie unbehelligt fortkommen? ich stand da, spähend, mit hochklopfendem

Herzen. Eine Militärpatrouille kam den Quai herauf gleichmäßig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_419.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2018)