Seite:Die Gartenlaube (1886) 404.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

bei uns zu Hause, wenn sie im Sommer mal probirt wurden, und das Wasser aus allen Schläuchen platzte. Weißt noch? Nein, sei ganz ruhig! Erstens betrinke ich mich nie, und zweitens würde sich das in der Gesellschaft von einem so noblen jungen Herrn auch gar nicht schicken.

Ich blickte zaghaft zu dem Schild über der Thür, auf dem noch eben „Mermaid“ zu entziffern war über einer Gestalt, welche vermutlich die betreffende Nixe in Person vorstellen sollte, wie sie im obligaten Kostüm aus spritzenden Wogen taucht und einem Herrn in Matrosenkleidung, der sich von einem Felsen zu ihr herabbiegt - auf die Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren - einen weitbauchigen, von dem edlem Inhalt überschäumenden Pokal kredenzt. -

„Es wird Dir schon gefallen," raunte mir Fritz mit vor anticipirtem Vergnügen rauher Stimme zu; „bi Gott!

Und wir gingen in das Haus.

Ein dunkler oder doch kaum erhellter Flur; Fritz faßte mich bei der Hand und führte mich gerade aus bis zu der hinteren Wand, in welcher er eine Thür öffnete, durch die er mich vor sich herschob, um dann selbst zu folgen.

Ich mochte mir von dem Lokal in der Eile ein schauerliches Bild gemacht haben niid war deßhalb angenehm überrascht, als nun, was ich sah, jenem Bilde in keiner Weise entsprach: ein sehr großer, allerdings drückend niedriger, mäßig beleuchteter, aber durchaus reinlicher, mit einem rohen, offenbar gut gemeinten Geschmack dekorirter Raum, der mit seinen glatten Dielen wohl als Tanzplatz dienen mochte, und von dem nach allen Seiten (außer der Flurseite) sich größere und kleinere, zum Theil mit rothen Vorhängen verhüllte Kojen offneten. Der große Raum war bis auf einige wenige Paare, welche sich nach den Klimpertönen eines verstimmten Klaviers, das ein alter Mann bearbeitete, im Walzer drehten, leer; in den Kojen mußten sich hier und da Gesellschaften befinden, denn man hörte Sprechen, lachen oder singen, aber keineswegs übermäßig laut, oder doch nicht viel lauter, als es in unserem ersten Restaurant auch zugegangen war, wenn mich Renten nach einem Hoffest abgeholt hatte, noch eine Flasche Sekt mit ihm und anderen Hofkavalieren en petit comité zu trinken.

Allmählich hatten sich die Räume gefüllt, die dadurch, und weil sich von der Decke der Tabaksrauch wie ein graues Tuch immer tiefer Senkte, um vieles kleiner und noch niedriger als im Anfang erschienen. Die verhältnismäßige Stille war einem wüsten Lärm gewichen, in welchem man nur noch manchmal das Klavier hörte, trotzdem der alte Mann ohne Aufhören die Tasten bearbeitete. Auch schienen die Tänzer der Musik nicht zu bedürfen, sondern machten sich solche nach Bedarf durch Schreien, jauchzen und Klappern mit Stückchen Holz, die sie zwischen den Fingern hielten, auch wirklichen Kastagnetten, welche ein paar braunschwarze Bursche mit großen Ringen in den Ohren aus den Taschen ihrer verschlissenen Sammetjacken genommen hatten. Und so wenig wie der Musik, bedurften die Lärmenden der Tänzerinnen - glücklicherweise! denn es waren schreckliche Tänze zum Theil, die da getanzt wurden, wenn man dies Gliederverrenken, dies Schleudern mit Armen und Beinen noch so nennen durfte. Tänze, vielmehr Tanzscheusale, wie sie nur die Lasterhöhlen überseeischer Hafenorte so grauenhaft hatten ausbrüten können. Der Anblick wäre unerträglich gewesen, hätte ich dabei nicht beständig das Gefühl gehabt, daß es die Bursche im Grunde gar so schlimm nicht meinten, ja, daß sie sich zum guten Theil gar nichts dabei dachten und in der Welt nichts wollten, als die überschüssige Kraft vertoben und eine Stunde lustig sein im Rückblick auf die monatelangen Entbehrungen und Strapazen, von denen sie gestern heimgekehrt waren, oder denen sie mit dem nächsten Morgen entgegengingen.

Dennoch sehnte ich mich von Herzen aus diesem traurigen Tempel der Lust, den ich doch ohne Fritz nicht verlassen konnte; und Fritz raste schon seit einer Stunde mit den Rasenden und war jetzt sogar gänzlich verschwunden.

„Er wird schon wieder kommen," tröstete mich die Wirthin, die sich, wie sie das schon mehrmals im Laufe des Abends gethan, zu mir gesellt hatte.

Ich saß auf glühenden Kohlen, und meine Situation wurde dadurch nicht weniger peinlich, daß ich wiederholt die Gesichter der vorüberstreifenden Gäste mit einem spöttischen Ausdruck auf das seltsame Paar in dem Winkel gerichtet sah. Denn wir befanden uns in einem äußersten Winkel des Lokals, den die Wirthin wohl für sich und etwaige bevorzugte Gäste reservirt hielt, deren einziger ich Aermster heute Abend war und keiner der Anderen wagte uns zu stören! und Fritz schien mich ganz vergessen zu haben! Wie sollte dies enden? Plötzlich wurde ich starr vor Schrecken. Meine Augen, die ziellos in dem weiten Lokal umherschweiften, hatten an dem entgegengesetzten Ende eine Gestalt entdeckt, welche auf den ersten Blick Weißfisch zu ähneln schien, und in der ich mit einem zweiten Blick Weißfisch. erkannte. Er war in Begleitung eines um einen Kopf kleineren Mannes, der sicher kein Schiffer war. Beide konnten eben erst eingetreten sein und standen noch in der Nähe der Thür, in diesem Augenblick im Gespräch, zu welchem Weißfisch, des Lärmens wegen, der in dem Lokal tobte, den Kopf tief zu dem Kleinen herabbog. Noch hatte er offenbar, den er suchte, nicht gesehen, denn daß er mich suchte, daß man die Spur des gehetzten Wildes, der Himmel mochte wissen wie, aufgefunden hatte und derselben bis hierher gefolgt war - daran zweifelte ich nicht einen Moment.

„Retten Sie mich“ flüsterte ich der Wirthin ins Ohr.

Mein starrer Blick hatte der Klugen gesagt, wovor und vor wem: vor dem Fremden, der da eben mit dem Kleinen, den sie nur zu gut kannte, hereingekommen war.

„Der verdammte Polizist!" murmelte sie durch die weißen Zähne.

Sie hatte sich schnell erhoben und vor mich gestellt, der Art, daß sie mich mit ihrer Gestalt, wenigstens gegen die in der Tiefe des Lokals, beinahe vollständig deckte. So schob sie mich vor sich her, nur zwei oder drei Schritte bis zu einer Thür unmittelbar neben dem "Bar", die ich vorher nicht bemerkt hatte, und durch diese Thür, die sie sofort hinter uns schloß.

Wir befanden uns in einem kleinen Zimmer, das wohl ihr eigenes war, und in welchem eine auf dem Tisch vor dem Sofa stehende Lampe ein maßiges Licht verbreitete.

„Ist es schlimm?" flüsterte die Frau.

„Was?"

„Was Du gethan hast?"

„Nein. Aber, die mich verfolgen, sind sehr in mächtig. Ich will lieber sterben, als wieder in ihre Hände fallen."

„Es ist gut."

Sie hatte mich wieder bei der Hand gefaßt und leitete mich so aus dem Zimmer auf einen dunklen Korridor, dann ein paar Stufen hinab, dann wieder durch dunkle Gange, in welchen es feucht und kühl war, bis zu einer Thür, deren Riegel sie vorsichtig zurückschob.

„Man kann nicht wissen," flüsterte sie.

Nun öffnere sie langsam die Thür und schaute hinaus.

„Es ist Alles sicher," flüsterte sie. „Halt Dich links den Hof hinauf! Du kommst direkt an den Hafen. Da nimm das erste beste Boot und laß Dich an das Schiff bringen! Hast Du Geld?“

„Dann geleit Dich Gott!"

Ich eilte mit so raschen Schritten, als die Dunkelheit erlaubte, durch die lange enge Passage in der von der Wirthin angewiesenen Richtung davon.

2.

Schneller, als ich gedacht, - denn der schmale Gang schien endlos, und ich hatte wiederholt über Bretter, Fässer oder was sonst im Wege lag, mühsam klettern müssen - gelangte ich ins Freie, das heißt auf jenen breiten Quai, der auf der einen Seite die Häuser und auf der anderen den Hafen hatte. Aber es war nicht jener Theil des Quai, den ich kannte, in der Nähe meines Gasthofes, dem gerade gegenüber eine „Abfahrt der Jollenführer" sich befunden hatte, nach der ich jetzt suchte, denn wie sollte ich anders an Bord der „Cebe" gelangen? Ich hielt mich auf gut Glück rechts, merkte aber bald, daß ich von der gesuchten Stelle mich nur noch weiter entfernte. So kehrte ich denn wieder um,

diesmal die Häuserseite wählend, die im Schatten lag, während

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_404.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)