Seite:Die Gartenlaube (1886) 394.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Die Lora-Nixe.

Novelle von0 Stefanie Keyser.
(Schluß.)


Der Arzt und der Ehirurg eilten herzu und leisteten dem Verwundeten, der bewußtlos geworden war, Beistand.

Heino, der vorwärts stürmen wollte, wurde von Ravensburgk zurückgezogen.

„Genug der Kopflosigkeiten!“ zürnte dieser ihn an. „Die Tochter des Spielers ist für Sie so verloren, wie seine Geliebte es gewesen wäre. Jetzt gilt es, den Verstand zusammen zu nehmen.“

Heino hörte nicht. Er starrte entsetzt auf Vater und Tochter.

Leonore war aus ihrer Ohnmacht erwacht. Langsam kam ihr die Erinnerung wieder. Mit verwirrtem Haar, todtenbleichem Antlitz kniete sie neben dem Verwundeten.

Der Wind raschelte im dürren Rohr, das Wasser gurgelte, und der wilde Schrei eines Falken tönte aus der Luft herab.

Der Arzt hatte unterdessen seine Untersuchung beendet und erhob sich.

„Es ist zu hoffen, daß die Kugel keine edlen Theile verletzt hat,“ sagte er. „Aber die zarte Konstitution des Verwundeten, seine augenscheinlich schwache Lebenskraft stellen die Heilung in Frage und machen die größte Vorsicht nöthig. Es ist recht unangenehm, daß wir so weit von Jungbrunnen entfernt sind. Eine verrückte Idee, die Duelle in der Nähe einer Burgruine und einer Herrnhutergemeine auszufechten.“

„Unsere Gemeine ist bereit, jeden Hilflosen bei sich aufzunehmen,“ sagte eine Stimme.

Die fahlen Weiden theilten sich. Bruder Johannes trat aus ihnen hervor, noch athemlos vom raschen Gang. Der Hall der Schüsse hatte ihn auf seinem Morgenspaziergang erreicht und hergetrieben.

Leonore wandte sich zu ihm. Sie hob die gefalteten Hände zu ihm empor.

„Ja, Bruder Johannes, nehmen Sie uns auf. Und damit Sie kein Aergerniß in ihrer Gemeinde erregen, wenn der Pächter der Spielbank dort einzieht, so sagen Sie ihr: der letzte Freiherr von Falkeneck bittet um ein Asyl auf dem ehemaligen Grund und Boden seiner Väter, bei der Brüdergemeine Himmelgarten. Als meine Legitimation wollen Sie einstweilen den Siegelring der Falkenecks gelten lassen. Das Wappen, welches in den Sapphir geschnitten ist, werden Sie als dasselbe erkennen, welches droben halb versunken am Thore liegt.“

Sie zog den Ring mit dem Sapphir von der Hand und bot ihn dem jungen Prediger dar.

Eine Todtenstille herrschte.

Bruder Johannes neigte sich; aber nicht vor Leonoren, nicht vor dem bewnßtlosen Freiherrn. Seine Augen glitten über Alle hinweg nach dem fernen Stückchen blauen Himmel hinüber. Meinte er das Rauschen von Engelsfittichen zu vernehmen?

„Die Gemeine,“ antwortete er, „übt mit Freuden Samariterdienste, sei es am namenlosen Spieler oder am Freiherrn. Aber sie wird Gott für Seine Fügung preisen, daß Er ihr gestattet, den Dank für einst empfangene Wohlthaten dem Hause Falkeneck abtragen zu dürfen.“

Noch einmal wollte Heino auf Leonoren zustürzen, und diesmal hielt ihn Ravensburgk nicht davon ab. Der stand seitwärts gewendet, und seine geballte Faust zeigte, wie er mühselig gegen eine furchtbare Erschütterung rang.

Aber Leonoren’s Gestalt schnellte empor. Hoch aufgerichtet stand sie neben ihrem Vater. Ihre Hand hob sich wie zur Anklage gegen Heino, ein heißer Zorn flammte aus ihren Augen, ihre Lippen offneten sich. Doch die Verwünschung, die aus ihnen zu schweben schien, blieb ungesprochen.

Johannes hatte das Antlitz ihr zugewendet. Sein Blick fiel ernst und mahnend auf sie herab.

Da sank der erhobene Arm, die zuckenden Lippen schlossen sich; ihr Haupt beugte sich demüthig.

Und ohne ein Wort zu sagen, trat der Priester mit einem leisen Schritt zwischen sie und die Welt.

Georg zog Heino mit sich zurück.

„Das Mädchen hat mehr Verstand als Du,“ sagte er streng, obwohl selbst in tiefster Seele erschüttert. „Ueber einen niedergeschossenen Vater hinweg drückt man sich nicht zärtlich die Hände.“

Er warf einen Blick auf den langsam zum Bewußtsein zurückkehrenden Falkeneck und sah dann nach seiner Uhr.

„Noch wissen wir nicht, welches Ende es mit Deinem Gegner nimmt, und so lässig sonst die Badepolizei in dergleichen Dingen zu verfahren pflegt, so muß sie bei dem Aufsehen, welches der ganze Vorfall erregt hat, schließlich doch Notiz davon nehmen. Mein Wagen steht Dir bis zur nächsten Eisenbahnstation zur Verfügung. Wenn ihr die Pferde ordentlich auftreten laßt, kannst Du noch bequem den Kurierzug nach der Schweiz erreichen. Ich gebe Dir heute Abend nach Zürich, Hôtel Bauer au lac, telegraphisch Nachricht über Dornheim’s Befinden. Morgen folgt ebendahin ein Brief nach.“

Heino preßte die Hand stöhnend vor die Augen. Aber er ließ sich doch von Georg zu dessen Wagen ziehen.

Dieser nÖthigte ihm noch seine Brieftasche auf, versprach Leonoren nach Kräften beistehen zu wollen, gab seinem Kutscher die nöthigen Befehle und kommandirte dann energisch:

„Fort!“

Mit keinem Blicke beachtete Leonore Heino’s Entfernung. Stark und sanft half sie ihren Vater auf die Trage betten, welche der Arzt aus dem Badeorte mitgebracht hatte und die unterdessen von den Dienern zusammengeschraubt worden war. Zärtlich streichelte und küßte sie die schlaffe bleiche Hand des noch immer halb Bewußtlosen.

„Um meinetwillen bist Du dem Tode entgegen getreten,“ flüsterte sie unter heißen Thränen. „Um Deinem Kinde ein glückliches glänzendes Leben zu schaffen, ließest Du Dich von ihm verleugnen, trugst einsam die Schmach der verachteten Stellung. Und ich Verblendete nahm das ungeheure Opfer an. Ich habe es in dieser Stunde furchtbar bezahlt.“

Die Diener wurden herbeigerufen, um den Verwundeten nach dem nahen Himmelgarten zu schaffen.

Der kleine Zug setzte sich in Bewegung. Neben der Trage mit dem Verwundeten gingen Leonore und Johannes.

Der Arzt folgte.

Wie immer hatten die heiteren Götter der Heiden die Unglücklichen verlassen; der Gott der Christen war zu ihnen getreten.




Mit schwerem Herzen fuhr Georg in einem der harrenden Wagen nach Jungbrunnen zurück. Er mußte Frau von Blachrieth von dem Vorgefallenen in Kenntniß setzen. Als er in einiger Entfernung von der Wohnung ausstieg, meinte er Hedwig’s Kopf an einem der Fenster zu sehen. Sie trat ihm auch schon im Vorgarten entgegen und winkte ihn unter das Zeltdach.

„Es geht etwas vor,“ sprach sie rasch, indem sie ihn durchdringend anblickte. „Diese ganze Nacht ist ein Hin- und Hergehen im Hause gewesen; Heino hat seiner Mutter weder eine Gute Nacht, noch einen Morgengruß geboten. Nur mit der größten Mühe habe ich die Tante beruhigt und unter dem Vorwand, daß der Brunnen ihr bei der Aufregung schaden könnte, sie zu Hause gehalten; denn ich war überzeugt, daß ihrer unter den Badegästen eine Alteration harrte.“

Georg mußte ihrer Umsicht Beifall zollen. Dann erzählte er die Ereignisse der letzten Tage.

Hedwig wurde bleich. Thränen traten in ihre Augen.

„Das arme Mädchen!“ sagte sie leise im Tone tiefsten Mitgefühls. „Wie hat Heino es über das Herz bringen können, sie in der furchtbaren Stunde zu verlassen?“

„Aber sie wollte ja nichts mehr von ihm wissen,“ entschuldigte ihn Georg.

Hedwig schüttelte unwillig den Kopf.

„Das durfte ihn nicht abhalten, mit nach Himmelgarten zu gehen und der unglücklichen Familie beizustehen, damit Leonore wenigstens an seiner Reue sah, daß seine Liebe zu ihr echt gewesen ist.“

„Ich habe ihn auch mit fort gedrängt,“ bekannte Georg, dessen selbstgerechtes Wesen vor den klaren Augen des jungen Mädchens sichtlich abnahm.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_394.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2020)