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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Mann mit den blauen blitzenden Augen, den hatte ich gesehen an eben derselben Stelle, und eine Frau hatte vor ihm gelegen – gerade so auf den Knieen, seine Hand festhaltend, die er ihr entziehen wollte; in leisen, schluchzenden Worten, die ich nicht verstand, zu ihm emporsprechend. Nur Eines war nicht da und ich sah es doch: das Kind, das neben der Frau, die seine Mutter war, auf den Knieen gelegen und auf seiner Mutter Geheiß die gefalteten Händchen zu ihm emporgestreckt hatte – das Kind, das ich gewesen war!

Ich, der ich da stand und mich nach einem Gegenstände bückte, der dem Herzoge, als er sich niederbog. Adele aufzuheben, aus der Tasche geglitten, sich ihm von der Kette gelöst haben mochte – ich weiß es nicht – und auf dem Marmorboden bis zu mir gerollt war und jetzt zu meinen Füßen lag, der ich mich niederbog, es aufzuheben, und es jetzt in der Hand hielt’ mein Medaillon mit dem Bilde der Mutter, dessen Kapsel in dem Momente, als es zur Ruhe kam, aufgesprungen war, als wollte es dem Träumer zu Hilfe kommen und ihm seinen Traum deuten.

Es war nicht mehr nöthig gewesen: er hatte auch ohne das das Furchtbare voll begriffen.

Und nun packte es ihn und schüttelte ihn, daß ihm die Glieder flogen, es dunkel wurde um ihn her und er meinte, er müsse zu Boden sinken. Und daß ihn dann der Marmorboden verschlingen möchte!

Ich hatte mich doch aufrecht erhalten, aber wohl für einen Moment das Bewußtsein verloren, das mir erst von einer Berührung wiederkam. Es war Adele, die mich an beiden Händen gefaßt hatte und mit schreckensbleichem Gesichte zu mir ausschaute.

Und nun sah ich auch den Herzog wieder. Er stand, näher als vorhin, aber noch immer in einiger Entfernung, mit einer finsteren und doch gespannten Miene auf mich, auf uns blickend.

Auf uns! auf mich und auf sie, die ich so grenzenlos geliebt hatte!

Entsetzen!

Ich schleuderte das schöne Weid von mir, als wäre es eine giftgeschwollene Natter, und stürzte aus dem Saale in die Nacht hinein.

Wie ich den Weg durch die vielverschlungenen Pfade des Parks gefunden habe – ich weiß es nicht. Ich rannte nur fort, denselben Weg, den mich vorhin der alte Müller geführt hatte, denselben Weg, den mich meine Mutter getragen hatte in ihren Armen, während die Sterne droben schimmerten. Und blickte jetzt wieder zu ihnen auf, aber nicht mehr mit den wundernden Kinderaugen – mit den Augen eines Verzweifelten, den sie zu verhöhnen schienen in ihrer stillen Majestät.

Nun quellen sie hervor in unendlicher Zahl, die ich eben nur noch vereinzelt sah, denn der Park liegt hinter mir, und ich eile den schmalen Pfad über die Wiese hin dem Bache zu und dem Rauschen, das immer lauter wird. Aber ich weiß, es ist nicht der Bach, der so rauscht; es ist der Wasserberg, der ganz schwarz ist, nur daß weiße Streifen über ihn hingleiten, die im Lichte der Sterne flimmern. Und hart an ihm vorüber geht es über den Steg, von dem mich der Mann mit den blauen blitzenden Augen an jenem Morgen weggetragen hat, als ich hier auf der Wiese gespielt hatte, die aber keine Wiese war, sondern ein Wald von Hohen nickenden Halmen, über denen riesengroße bunte Schmetterlinge flogen.

Und da ist der Steg, und da ist der schwarze Wasserberg mit den flimmernden weißen Streifen. Hier hat die Mutter mit mir gestanden, hier an dieser Stelle. Und sich so über das schwanke Geländer gebogen, und so schoß unter dem Stege das Wasser siedend und gurgelnd dahin.

Das dünne Geländer, das eigentlich nur eine Stange ist, biegt sich unter meiner Last. Wenn es bricht! Es ist heute mehr Wasser im Bache, als dem Müller lieb ist! Und um das Schwimmen mit dem lahmen Arme wird es wohl mißlich stehen.

So kann’s bald vorüber sein.

Eine schwere Hand legt sich mir auf die Schulter, und eine große Gestalt steht neben mir. Ich habe sie vor dem Donner des Wasserberges nicht kommen hören, und es ist so dunkel, daß ich nur eben die Umrisse der Gestalt sehe. Aber er ist es nicht, vor dem ich fliehe. Er! wie käme auch er hierher!

„Wer sind Sie?“

„Ich bin der Müller Siebenpfeiffer. Wer Sie sind, junger Herr, das brauche ich nicht zu fragen. Ich habe Sie auf den ersten Blick erkannt an der großen Aehnlichkeit. Sie sind ihr wie aus den Augen geschnitten. Kommen Sie von hier weg, junger Herr! Der Ort ist schon einmal ein böser Ort für Sie gewesen. Und mir scheint, er könnt’ es noch einmal werden.“

Der Alte hat mich mit einer Kraft, die mir unwiderstehlich scheint, am Arme ergriffen und von dem Stege geführt. Ich kann eben keinen Widerstand leisten, denn meine eigene Kraft ist gebrochen, und als wir jetzt den Hof erreichen, muß ich mich schwer auf seine Schulter stützen.

„Kommen Sie ins Haus!“ sagte er.

„Ich kann nicht,“ erwiderte ich; „ich muß fort, fort. Ich bitte Sie, ich flehe Sie an, helfen Sie mir von hier!“

„Morgen, wenn Sie wollen; heute nicht mehr.“

„Sie versprechen es mir?“

„Ja, das thue ich.“

„Und wenn man mich hier sucht?“

„So soll man Sie nicht finden, wenn Sie nicht gefunden sein wollen.“

„Nein, nein! Lieber sterben!“

„Just so sagte Ihre Mutter auch.“

Wir stehen vor der Hausthür, in der eine Matrone erscheint, die, das Licht mit der Hand schützend, uns entgegen leuchtet.

„Bist Du’s, Alter?“

„Ja, Alle. Und ich bringe da Jemand, den Du schon kennst.“

„Herr Gott!“

„Still! Hinein ins Haus! und mach’ das Licht aus.“

Er hat uns durch die Thür geschoben, die er hinter uns zudrückt. Die Alte hat das Licht ausgeblasen. Ich stehe mit ihr auf dem dunklen Flur hinter der Hausthür. Auf dem Pflaster des Hofes klappern Pferdchufw. Eine unbekannte Stimme fragt; die tiefe Stimme des Alten antwortet. Dann wieder das Klappern von Pferdehufen. Als sie verklungen sind, öffnet der Alte die Thür, die er hinter sich abschließt, und dann ein Schwefelholz anreißt.

„Es war der Reitknecht Mariens,“ sagt er: „sie haben schon Boten nach allen Richtungen geschickt.“

Er leuchtet mir mit dem wieder angezündeten Lichte ins Gesicht.

Die alte Frau schlägt vor Verwunderung die Hände zusammen.

„Sagte ich es nicht? ganz wie seine Mutter. Und er will auch nicht gefunden sein. Hörst Du, Alte?“

„Ich höre schon,“ erwidert die Matrone. „Mir ist’s recht.

Wenn’s nach mir gegangen wäre, Der im Schlosse hätt’s nie erfahren, daß Du sie aus dem Wasser gezogen hast, und es auf denn Gewissen behalten müßen zu allem Anderen.“

(Fortsetzung folgt.)

„Kaufen Sie Kornblumen?“
Von Viktor Blüthgen.
(Mit Illustration S. 384)

„Kornblumen, Herr?“ – das Mädchen ruft.
Still halt’ ich im Vorüberwandeln,
Um diese Schönheit ohne Duft,
Dies holde Unkraut einzuhandeln.
Wie leuchtet’s her so tief und satt,
Der Aehren grellem Grund entzogen!
So strahlend blau, als ob sich’s hat
Am Blau des Himmels satt gesogen.

Reich her, schwarzhaarig Kind der Flur!
Du bist zum Handel just die Rechte,
Und wär’s um diese Augen nur
Und deines Lächelns holde Mächte:
Das blitzt wie Feld im Morgenthau,
Darüber Lerchentriller steigen,
Das buhlt um Gunst so kinderschlau,
Halb schüchtern, halb mit trautem Neigen.

Feldblume selber, frisch erblüht –
Behüt dich Gott vor üblen Händen!
Ein Weilchen noch, getränkt, besprüht,
Wird dieser Strauß mich reizend blenden:
Dann fruchtlos welkend, abgewehrt
Such ihn im Kehricht auf der Gassen – –
Behüt dich Gott! Sei dir beschert
Ein reines Blühen und Verblassen!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_387.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2023)